Die Rütli-Nazis marschieren mit der SVP

SonntagsBlick

EXTREMISMUS Während die SP sich immer wieder von den Links-Chaoten distanziert, duldet die SVP Rechtsextreme in ihren Reihen. Warum?

von Marcel Odermatt und Christof Moser

Samstag, 6. Oktober, beim Bärengraben in Bern, Treffpunkt für den SVP-Marsch zum Bundesplatz: Neben Parteiprominenz, Treichlern und Blasmusikanten reihen sich nach Schätzungen der Polizei auch etwa 100 Rechtsextreme in den SVP-Umzug ein.

Wie Bilder von SonntagsBlick beweisen, ist darunter auch eine Gruppe von Rechtsradikalen, die es am 1. August trotz scharfer Sicherheitsvorkehrungen an die Nationalfeier auf dem Rütli schaffte.

Während die Polizei die Neonazis auf der Nationalwiese umringte und streng bewachte, mischen sie sich in Bern unbehelligt unters SVP-Volk.

Ihre Stimmung ist gut, sie lachen über ihre eigenen Witze: «Du Schweizer, ich Eidgenosse.» Ihre Laune ändert sich, als sie ein SonntagsBlick-Reporter anspricht. Mit hasserfülltem Gebrüll schreit die Nazi-Truppe jede Frage nieder.

Rechtsextreme pfeifen auf Demokratie: Sie sind gegen das System, genau wie die linken Chaoten, die vergangenen Samstag die SVP-Einrichtung auf dem Bundesplatz zertrümmerten.

Die SVP unterscheidet sich von ihren rechtsextremen Mitläufern: Sie achtet die Demokratie und übernimmt Regierungsverantwortung. Seit 1929 ist die Partei ununterbrochen in der Regierung vertreten. Antidemokraten haben in der SVP eigentlich keine Heimat, sie ist keine rechtsextreme Partei. Was also haben sie im SVP-Umzug verloren? Und warum also grenzt die SVP die Extremisten nicht aus?

Was für die SP und die Links-Chaoten gilt, hat auch für die SVP und die Rechtsradikalen Gültigkeit: «Sie gehören zur gleichen ideologischen Familie», sagt Damir Skenderovic (42), Historiker an der Uni Freiburg. Der Mitverfasser einer neuen Studie («Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik»), die Ende Oktober veröffentlicht wird, sieht zwischen der SVP und den rechten Antidemokraten drei Gemeinsamkeiten:

· Die SVP will ausgrenzen, wie Rechtsextreme auch. Beide wollen bestimmen, was schweizerisch ist.

· Beide sind anti-egalitär. Das heisst, sie sind gegen Gleichberechtigung, sozialen Ausgleich.

· Drittens sind SVP und Rechtsextreme anti-pluralistisch. Sie lehnen eine Multikulti-Gesellschaft ab.

Dafür, dass die Neonazis Positionen der SVP unterstützen, kann die Partei nichts. Im Gegensatz zu den Linken, die am 1. Mai immer wieder Opfer der Chaoten werden, scheint sich die SVP an ihren Anhängern von rechts aussen aber auch nicht zu stören. «Solange sich die Teilnehmer friedlich verhalten, sind alle willkommen», sagte SVP-Sprecher Roman Jäggi im Vorfeld der SVP-Demo.

SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (62, ZH) scheut sich nicht, in Deutschland vor Gruppierungen aufzutreten, die der deutsche Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Von Distanzierungen gegen rechts aussen hält er nichts: «Ich kenne viele Leute mit kurzen Haaren. Hätten wir Gewissensprüfungen machen sollen?» Am SVP-Umzug hätten sich alle an die Regeln gehalten, niemand habe provoziert. «Deshalb hatten wir keinen Grund, Leute wegzuweisen.»

Heikel wird es, wenn die SVP Rechtsextreme verteidigt. Nachdem Bundesrat Samuel Schmid (60) am 1. August 2005 auf dem Rütli von Neonazis niedergebrüllt worden war, schrieb die SVP Luzern in einer Mitteilung, Schmid habe die Extremisten in seiner Rede gegen Rassismus mit «bewussten Provokationen» angestachelt. Das Gleiche auch dieses Jahr, als Calmy-Rey auf dem Rütli sprach. SVP-Nationalrat Hans Fehr (60, ZH) sagte in der TV-«Arena»: Wer meine, auf dem Rütli für Asylanten einstehen zu müssen, dürfe sich über den Zorn der Rechtsextremen nicht wundern.

Damit sichert sich die SVP Wählerstimmen von ganz rechts. Hat sie das nötig? Toni Brunner (33, SVP/SG), der den SVP-Marsch in Bern organisiert hat, sieht es pragmatisch: «Solange die Rechtsextremen uns nachlaufen, machen sie nichts Dümmeres.»

Georg Kohler (61), Polit-Philosoph an der Uni Zürich, ist anderer Meinung: «Ich nehme es der SVP sehr übel, dass sie sich nicht klar gegen Rechtsextreme abgrenzt.»

Auschwitz, 1945: Die Nazis quälten alle, die nicht zum «Volk» gehörten – auch Kinder.

Immer wieder kommt es am 1. August auf dem Rütli zu Aufmärschen von Neonazis. Dieses Jahr schafften es wegen aufwändiger Sicherheitsvorkehrungen nur wenige auf die Nationalwiese, darunter dieser Glatzkopf (Kreis) mit seiner Gruppe.

Beim Marsch der SVP auf Bern mischte sich die Gruppe um den Glatzkopf vom Rütli unter das Parteivolk. Die Polizei zählte am vorletzten Samstag rund 100 Rechtsextreme , die sich in den Umzug der Volkspartei einreihten. Ganz rechts: SVP-Nationalrat Toni Brunner.

Wie denken Neonazis? Woher beziehen sie ihre Ideologie?

Rassenhass Für Neonazis gibt es keine Menschenrechte. Sie glauben an das Recht des Stärkeren.

Im Mittelpunkt steht für sie das «Volk», an die Spitze gehört für sie der totale Herrscher. Er ist nicht abwählbar.

Wer zum Volk gehört, bestimmen sie am liebsten selbst. Wer nicht dazugehört, hat so gut wie keine Rechte – im Extremfall nicht einmal das Recht zu leben.

Ihre Ideologie beziehen die Neonazis von den Nationalsozialisten im «Dritten Reich». Deren «Führer» Adolf Hitler (1889-1945) begann den Zweiten Weltkrieg. Folge: schätzungsweise 50 Millionen Todesopfer.

Hitler liess durch seine SS (Schutzstaffel), durch Angehörige der Waffen-SS, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), Wehrmacht und Polizei etwa sechs Millionen «Volksfeinde» in Lager stecken und töten. Zu jenen, die Hitler ausrotten wollte, gehörten Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, «Asoziale», bekennende Christen, Homosexuelle, Sinti und Roma, Behinderte sowie alle Gegner seines Regimes. Die Übergänge zwischen Neonazis, Rechtsradikalen und Rechtsextremen sind fliessend, aber all diese Gruppen verachten die Demokratie.

Manche von ihnen leugnen lediglich, dass die Nazis Millionen Menschen vernichtet haben. Aber auch sie sind nicht einfach nur Provokateure: Sie wollen einen anderen Staat.

Die Brutaleren unter ihnen wollen die Macht erobern. Und da weitermachen, wo die Nazis 1945 aufgehört haben.