Immer mehr Frauen sind unter den Extremisten
MARTIN FURRER, BENEDIKT VOGEL
Lose strukturiert, doch gut organisiert: Rechtsextreme breiten sich nicht nur auf dem Rütli aus. Immer mehr Frauen machen mit.
Wer genau steckt hinter den verbalen Ausschreitungen, die SVP-Bundespräsident Samuel Schmid bei seiner 1.-August-Ansprache am Montag auf dem Rütli so erschütterten, dass er den Tränen nahe war? Es waren rund 700 Mitglieder der rechtsextremen Szene, die dem Vertreter der Landesregierung Parolen wie «Verrat, Verrat, Halbbundesrat», «Lügen haben kurze Beine, Samuel Schmid, zeig? uns deine» oder «Wer hat uns verraten – die Scheissdemokraten» entgegenschleuderten.
Doch diese Szene ist alles andere als homogen. Sie sei nur «lose strukturiert», schreiben die Experten des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) in ihrem im Mai veröffentlichten «Bericht über die innere Sicherheit der Schweiz 2004». Laut Fedpol umfasst sie rund 1000 Personen. Diese gehören verschiedenen kleineren Gruppen an.
HOHE MOBILISIERUNG. Treibende Kraft hinter dem Aufmarsch vom Montag war die «Partei national orientierter Schweizer» (Pnos). Dies sagte Urs von Daeniken, Chef des Inland-Nachrichtendienstes im Fedpol, gestern der baz. Die Pnos, im Jahr 2000 gegründet, zählt heute 100 bis 130 Mitglieder. Gemäss ihrem Parteiprogramm fordert sie eine «echte Volksherrschaft statt heuchlerischer Scheindemokratie».
Die Partei «propagiert öffentlich den Gewaltverzicht», weiss das Fedpol, «was ihr unter anderem den Einstieg in die institutionelle Politik ermöglichte». Bei den Nationalratswahlen 2003 kandidierten Pnos-Vertreter zwar ebenso erfolglos wie bei den Gemeinderatswahlen vom Februar 2004 im Kanton Aargau. Im Oktober wurde jedoch mit Tobias Hirschi (20) ein Pnos-Vertreter ins Stadtparlament von Langenthal (BE) gewählt. Und in Günsberg (SO) sitzt seit April dieses Jahres mit Dominic Bannholzer (20) ein weiterer Pnos-Aktivist sogar im Gemeinderat (Exekutive).
Noch nie sind so viele Glatzköpfe auf dem Rütli aufmarschiert wie dieses Jahr. Ihre Zahl sei in den vergangenen Jahren stets gestiegen, bestätigt Hans Stutz, Kenner und Beobachter der rechtsextremen Szene, gegenüber der baz.
Von einer hohen Mobilisierung spricht auch der Soziologe Herbert Ammann, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, welche die Rütlifeier seit Jahren mitorganisiert. Er hat die Entwicklung der rechtsextremen Präsenz auf der Rütliwiese in den letzten Jahren genau verfolgt.
IMMER AGGRESSIVER. 1997 und in den folgenden Jahren seien zunächst nur vier, fünf miteinander nicht verbundene Grüppchen mit je einer Handvoll Personen aufs Rütli gekommen, sagt Ammann. Als 1999 der Obwaldner Regierungsrat Toni Röthlin als Festredner eine demokratische Meinungsbildung zur Schweizer Europapolitik einforderte, sei er «sehr aggressiv» angegangen worden – von Rechtsextremen, aber auch von älteren Semestern mit gegenteiliger politischer Auffassung.
Breite Aufmerksamkeit der nationalen Medien erlangte die Rütlifeier im Jahr 2000 mit dem Auftritt des Luzerner Bundesrats Kaspar Villiger. Damals schnellte die Zahl der Rechtsextremen laut Ammann von zuvor rund 50 auf zirka 150 Personen hoch. Mittlerweile ist «aus Sicht der Rechtsradikalen die Bundesfeier auf dem Rütli quasi zu ihrer zentralen nationalen Feier geworden», so Ammann zur baz.
KEINE LEITFIGUR. Am Montag waren «ein Viertel bis ein Drittel» der pöbelnden Teilnehmenden Frauen, schätzt Ammann. Noch vor wenigen Jahren seien Frauen unter den Rechtsextremen nur vereinzelt aufgetaucht. Für den Soziologen Ammann ist dies ein «neues Phänomen» und insofern erstaunlich, als die rechtsextreme Szene traditionell von männlichen Werten geprägt sei.
Diese Werte werden nicht von einer einzigen oder einigen wenigen rechtsextremen Leitfiguren vorgelebt. Zwar verlangte Samuel Schmid am 1. August, die «Rädelsführer» seien jetzt in die Pflicht zu nehmen. Doch «das bringt nichts», sagt Hans Stutz: «Denn die Szene ist nicht autoritär aufgebaut, sondern im Gegenteil sehr vielschichtig.»