Schweiz am Sonntag: Die Schläger des FC Basel haben ein neues Feindbild: Die Polizei tritt anstelle der gegnerischen Fans
Die Muttenzerkurve übernimmt den Kampf von linken Chaoten: gegen Repression und Kommerz. Die Szenen vermischen sich.
Die Polizei stufte das Fussballspiel Basel gegen Zürich nur als «mittleres Risiko» ein. Die Fans der beiden Clubs rivalisieren sich nicht mehr wie früher. Sie solidarisieren sich sogar. Vor vier Jahren verliessen die Anhänger der Zürcher Südkurve aus Protest ihr eigenes Stadion, um sich für die angereiste Muttenzerkurve einzusetzen. Die Zürcher demonstrierten damit gegen den Polizeieinsatz, der die Basler vom Matchbesuch abhielt. Basler und Zürcher Ultras prügeln sich seltener, weil sie einen neuen Feind haben: die Polizei. Am Sonntag kam es zum Strassenkampf mit Verletzten auf beiden Seiten.
Die Basler Ultras wurden 1993 durch den Dokumentarfilm «Faustrecht» von Alain Godet auch dem Sofa-Publikum vorgestellt. Die Protagonisten fanden in den Schlägereien ein Ventil für den Frust ihres Lebens. Es sind Prototypen von Verlierern: Sie stammen aus armen Verhältnissen, wurden vom Vater verprügelt, haben keine richtigen Jobs und keine langjährigen Freundinnen. Dafür haben sie die Treue ihrer Fan-Brüder, Tätowierungen und den Kick in der dritten Halbzeit.
Alain Godet, der seine bösen Buben mit den Fortsetzungen «Einmal Schläger, immer Schläger» (2000) und «Narben der Gewalt» (2012) über deren Karrierenende hinaus begleitete, erinnert sich. Im alten Joggeli hätten sich die Ultras am Bahndamm mit Schottersteinen aufmunitionieren können. Doch das hätten sie nicht gemacht. Sie hätten einen guten Kontakt zur Polizei gepflegt: «Man re spektierte sich und grüsste sich freundlich. Es waren Partner in einem gemeinsamen Spiel.» Die Detektive schätzten den Fussballdienst, da sie für die Spiele durch die Schweiz reisen durften. Godet kann sich nicht vorstellen, «dass die Ul tras damals je einen Polizisten angefasst hätten». Das hätte die Täter in der Szene in ein schlechtes Licht gerückt.
Polizisten bestätigen, dass sie zu den früheren Ultras ein gutes Verhältnis hatten. Man erzählt sich, dass Polizisten die Handfesseln bei den Ultras weniger eng anzogen als bei linken Chaoten.
Den Generationenwechsel datiert Godet auf 2005: «Die alten Schläger waren damals weg vom Fenster.» Ihre Nachfolger seien wohl keine frustrierten Loser mehr, sondern junge Leute mit guten Jobs und einem geregelten Leben. Ihre Kriminalität falle im Alltag vermutlich kaum auf – vergleichbar mit koksenden Bankern. Die grobschlächtigen Ultras aus den 90ern werden heute als Hooligans bezeichnet.
Für Gabriel Duttler, Sportwissenschafter der Universität Würzburg, ist für das aktuelle Ultra-Phänomen ebenfalls ein Bruch vor zehn Jahren massgebend. Nachdem die Sicherheitsvorkehrungen an der WM 2006 massiv verschärft worden waren, fand die junge Generation der Ultras ein neues Feindbild; gemeinsam gegen die Repression und die Kommerzialisierung.
Die Ultras besinnen sich wieder auf ihren Ursprung im Italien der 68er-Jahre. Die damals linke Bewegung wurde mit der Zeit entpolitisiert und stand nur noch für kreative Choreografien. Teilweise tauchten aber rechtsextreme Symbole auf. Der Basler Soziologieprofessor Ueli Mäder berichtet: «Es gab vor ein paar Jahren gezielte Versuche, die Szene rechtsextremistisch zu beeinflussen.» Doch diese habe sich bemüht, ihre Unabhängigkeit zu betonen. Teilweise entstand eine Gegenbewegung. Die Soziologen zählten in der Muttenzerkurve wieder mehr Che-Guevara-Leibchen.
Einige Ultras entdecken mittlerweile Gemeinsamkeiten mit linksradikalen Bewegungen. Beide agitieren gegen Repression und Kommerz sowie für rechtsfreie Räume. Linksautonome wiederum erkennen ihre Anliegen in den Fankurven wieder. Die Szenen vermischen sich. In Deutschland ist dies gemäss Duttler vor allem in Bremen zu beobachten, wo Antifaschisten und Ultras Seite an Seite an Demonstrationen aufmarschieren. Auch an linken Demos in Basel tauchen dieselben Symbole und Verhaltensmuster auf: bengalische Fackeln, ähnliche Fahnen und Sprechchöre.
Die Ultras hegen eine vergleichbare Abneigung gegen den einstigen Freund und Helfer wie linke Chaoten. Beide fühlen sich provoziert durch gepanzerte Polizisten. Diese wiederum würden teilweise vermummte Fussballfans als Provokation empfinden, sagt Duttler. Dies sorge für eine Stimmung, in der kleine Vorfälle eskalieren können. Das Risiko wird unberechenbar.