Beobachter vom 25.6.2010
Ausgerechnet Liechtenstein hat ein massives Problem mit Rechtsextremismus. Auf Spurensuche im kleinen reichen Land, wo jeder jeden kennt.
Andrea Haefely
Schaut der Fürst von seinem Schloss hinunter in die Ebene zu seiner Rechten, schaut er zu den Rechten. Dort, im Liechtensteiner Unterland, genauer in der Doppelgemeinde Eschen-Nendeln, lebt ein Grossteil der Liechtensteiner Rechtsextremen. Und dort verüben sie meist auch ihre Straftaten.
Zum Beispiel den Brandanschlag auf das Kebab-Bistro «Abra Kebabra» in Nendeln. Am Freitag, dem 26. Februar 2010, gegen fünf Uhr morgens werfen Unbekannte mit Steinen die Scheiben des Lokals ein. Dann folgt ein Molotow-Cocktail. Der Brand wird zum Glück bald entdeckt – in dem Haus wohnen zwei Familien.
Das Haus steht schräg vis-à-vis vom Bahnhof Nendeln, einem winzigen Bahnhof aus den Gründerjahren, wo nur morgens und am späten Nachmittag Pendlerzüge halten. Der Intercity nach Wien bremst nicht. Ennet den Gleisen ist Industrie. Um die Ecke an der Strasse nach Vaduz bietet «Herberts Militärstüble» Militaria und neuzeitliche Waffen vom «2. und 1. Weltkrieg bis zurück in die Kaiserzeit» zum Verkauf an. Ein handgeschriebenes Zettelchen, mit Klebstreifen an der Glasscheibe der Tür befestigt, informiert in verblichener Schrift potentielle Kunden über die Öffnungszeiten. Der Handel mit antiquarischen Nazi-Devotionalien ist legal.
«Wer dieses Feuer legte, hat in Kauf genommen, dass Menschen sterben», sagt Erdal Kilic, der mit seinen beiden Brüdern das «Abra Kebabra», das zum Zeitpunkt des Brandanschlags noch nicht eröffnet war, betreiben wollte. Angst vor weiteren Anschlägen hat Kilic nicht: «Das bringt nichts.» Fassungslos ist der 37-Jährige aber auch noch Monate nach dem Anschlag.
40 Rechtsradikale sind der Polizei bekannt
Mitte Mai wird ein Hauptverdächtiger, ein 22-jähriger, bislang nicht vorbestrafter Liechtensteiner, festgenommen. Ihm werden zwei weitere Brandanschläge zur Last gelegt, bei denen in der Nacht auf den 22. November 2009 Brandsätze gegen zwei Nendler Wohnhäuser geworfen wurden. Noch sucht die Polizei nach Mittätern.
Der junge Mann ist teils geständig. Er bezeichnet sich als Nationalsozialist und Türken als «die Juden der Neuzeit». Mit seinem Fremdenhass, der sich offensichtlich vor allem gegen Liechtensteiner Türken richtet, ist er nicht allein: Rund 40 Personen gehören einer rechtsradikalen Gruppierung an oder orientieren sich an einer solchen und sind deswegen polizeilich registriert. Mitläufer und Sympathisanten nicht mitgerechnet. Das ist jeder 900. Einwohner von Liechtenstein. Zum Vergleich: In der Schweiz gehören laut Schätzungen des Bundesamts für Polizei gegen 1200 Personen zum harten Kern der rechtsextremen Szene, eine auf 6500 Einwohner.
Seit Anfang der neunziger Jahre hat Rechtsextremismus im Fürstentum hässliche Tradition. 1999 und 2006 kamen Untersuchungen des Liechtensteiner Amtes für Soziale Dienste zum Schluss, dass rund 20 Prozent der Jugendlichen mit nationalsozialistischen Ideen sympathisieren und vier Prozent solche Ideen offen unterstützen. Wieso aber fällt rechtsextremes Gedankengut ausgerechnet im Ländle auf so fruchtbaren Boden? In einem Land, wo praktisch jeder einheimische Jugendliche beste Bildungschancen hat, mit 18 ein Auto fährt und wo so gut wie kein Lehrstellenmangel herrscht? Wieso neigen sozial und beruflich bestens integrierte junge Menschen aus alteingesessenen Familien, teils sogar mit Hochschulabschluss und in Kaderposition, zu Rechtsextremismus?
Auf Anregung des Uno-Überwachungsausschusses gegen Rassendiskriminierung und der Liechtensteiner Regierung gab die Gewaltschutzkommission des Landes vor zwei Jahren eine Studie in Auftrag, die das Phänomen untersuchen sollte. Der Bericht, erschienen im September 2009, zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die mit ihren traditionalistischen und konservativen Milieus durchaus rechtsradikale Tendenzen begünstigt.
«Speerspitze der Gesellschaft»
Es ist eine Gesellschaft von 36 000 Einwohnern auf 160 Quadratkilometern, in der jeder jeden kennt und man sich unter Einheimischen grundsätzlich duzt. In der man nicht leichtfertig gegen den Nachbarn stänkert. Wo die Kirche noch im Dorf steht und der erzkonservative Erzbischof Wolfgang Haas wohlgelitten ist. Wo die soziale Kontrolle allgegenwärtig ist und ortsfremde Autos im Quartier die Menschen an die Fenster locken. Wo man sich als Auswärtiger nicht nur beobachtet fühlt, sondern es ist.
Es ist eine Gesellschaft, in der sich Unterländer und Oberländer voneinander abgrenzen, auch wenn nur zehn Kilometer sie trennen. Eine Gesellschaft, die ihren Nationalstolz aus einem 800 Jahre alten Fürstenhaus, ihre Zukunftsängste hingegen aus ihrer Kleinheit nährt. Die Eigenständigkeit und Identität durch den Druck von Europa, durch die Globalisierung in Frage gestellt sieht.
Und auf eben diese Gesellschaft berufen sich die Rechtsradikalen. Behaupten, dass sie lediglich das sagen und tun, was sich die andern nicht trauen. Verstehen sich als «Speerspitze der Gesellschaft». Ab und an mag das wohl stimmen: «Wir treffen manchmal tatsächlich auf Eltern von rechtsradikalen Jugendlichen, die finden, ihre Kinder müssten sich doch wehren gegen die Türken», sagt Jules Hoch, Chef der Liechtensteiner Kriminalpolizei und Präsident der Gewaltschutzkommission. «Die sehen nichts Falsches am Tun ihrer Kinder.»
«Wir wissen», liess auch Innenminister Hugo Quaderer diesen Frühling verlauten, «dass rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet sind.» Seine Erklärung: «Die Tendenzen, die in Europa erkennbar sind, haben auch vor den Grenzen Liechtensteins nicht haltgemacht. Auch unser Land ist betroffen von Zuwanderung und Internationalisierung.» Und das könne durchaus Angst vor Identitätsverlust auslösen.
Tatsächlich hat das Fürstentum in den letzten 30 Jahren einen strukturellen Wandel vollzogen von einer homogenen, bäuerlich geprägten hin zu einer industrialisierten Region. Statt ländlicher Idylle findet der Besucher heute einen Landstrich, der sein Gesicht verloren hat an Fabrikhallen und biedere Einfamilienhäuschen mit Eternitschindeln, Rauverputz und schmiedeeisernen Treppenhandläufen. Die Bevölkerung hat um rund ein Drittel zugenommen, der Ausländeranteil ist auf 33 Prozent angestiegen. Dabei entfällt das Gros auf Deutsche, Österreicher, Schweizer und Italiener. Türkische Staatsangehörige, primäres Ziel der Liechtensteiner Rechtsradikalen, zählte die Bevölkerungsstatistik per Mitte 2009 gerade mal 767.
Neu fürs Ländle ist die zunehmende Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen. Die bekam auch Ayhan Gündogdu zu spüren. Seit neun Jahren betreibt der 36-Jährige mit seiner Frau Meryem den «Anatolia Dorf Imbiss». Das Lokal liegt gleich hinter dem Dorfplatz von Eschen, einem kahlen, von der Kirche dominierten Platz mit Bushaltestelle. Ohne das «Anatolia», das nicht nur Kebab und Pizza, sondern auch Bratwurst mit Pommes und Gulaschsuppe serviert, wäre Eschens «Dorfzentrum» selbst an Samstagabenden völlig tot. Das Ehepaar Gündogdu gilt allgemein als ausgesprochen freundlich und zuvorkommend.
«Wir wollen keine Ausländer hier»
Es ist der 16. Mai 2009, gegen zwei Uhr nachts. Ayhan Gündogdu ist noch am Aufräumen, als ein Skinhead an die Scheibe klopft und mit Gesten andeutet, er brauche Zigaretten. Obwohl er schon geschlossen hat, lässt der gastfreundliche Bistrowirt den jungen Mann ein. Kaum drin, fängt der Rechtsextreme an, Gündogdu zu beschimpfen: «Wir bringen dich um. Wir wollen keine Ausländer hier.» Dann greift er zum Handy. «Ich bin jetzt drin», will Gündogdu gehört haben. Sofort tauchen zwei weitere Neonazis auf. Sie werfen mit Gegenständen nach dem Wirt, der vom grossen Abfalleimer am Kopf getroffen wird, den schweren gläsernen Wirtshaus-Aschenbechern aber ausweichen kann: «Wirst du von so einem getroffen, bist du schnell tot.» Mit dem Kebabmesser versucht Gündogdu, der Todesängste aussteht, die jungen Männer auf Distanz zu halten. Schliesslich hören ein Nachbar und dessen Sohn den Tumult. Sie alarmieren die Polizei, die nach einer Viertelstunde eintrifft.
Gündogdu muss ins Spital und kann zweieinhalb Monate nicht arbeiten. Der Flachbildfernseher, die Kebabmaschine, die Kasse, alles in Trümmern. 12 500 Franken Schaden richten die Angreifer an. Der jugendliche Haupttäter wird erstinstanzlich zur Zahlung von 1000 Franken Schmerzensgeld verurteilt, sein Anwalt hat das Verfahren weitergezogen. Die Mittäter wurden freigesprochen.
Als Fremde gelten hier viele
Gündogdu fühlt sich von der Justiz im Stich gelassen und ist schockiert: «Irgendwann gibt es wirklich mal einen Toten.» Er, der schon seit 20 Jahren im Ländle lebt, ist als Einwohner des Fürstentums tief verletzt. Das Wort Ausländer hat für ihn seine ursprüngliche Bedeutung verloren, ist ein Schimpfwort geworden. Ein Mensch sei doch ein Mensch, sagt er, nicht ein Ausländer. Faktisch muss Gündogdu noch weitere zehn Jahre durchhalten, erst dann steht ihm – nach 30 Jahren – die erleichterte Einbürgerung offen. Wer hier geboren ist, darf schon nach 15 Jahren dazugehören. Zumindest auf dem Papier.
Man muss im Ländle nicht Türke sein, um nicht dazuzugehören. Selbst wer hier geboren und aufgewachsen ist, aber keinem der Liechtensteiner Geschlechter angehört, kein Hoch, kein Quaderer, kein Hasler ist, wird immer ein fremder Fötzel bleiben. «Wer nicht von hier stammt, hat es eindeutig schwerer, die Fremdenfeindlichkeit ist unterschwellig immer da», sagt Stefanie von Grünigen, die Einzige im Eschener Gemeinderat, die keinen Namen einer alteingesessenen Familie trägt. Die Ur-Liechtensteinerin, eine geborene Sele, hat durch Heirat ihren Namen gegen den eines Bernbieters eingetauscht. «Und das kriege ich immer wieder zu spüren.» Lokalchauvinismus als Steigbügel für Rechtsradikalismus?
Kripochef Jules Hoch sitzt in seinem Büro im Vaduzer Polizeigebäude, vor sich eine beschlagnahmte Neonazi-Fahne. Kinderzeichnungen hängen an der Wand. FBI-Plaketten, in Acrylharz gegossen, stehen auf der Fensterbank. Dass die Gewalt zugenommen hat, kommt nicht von ungefähr, weiss der Mann mit den ernsten Augen: «Die Rechtsextremen der jüngeren Generation pflegen enge Kontakte zur ‹Blood and Honour›-Bewegung in Österreich, Deutschland und der Schweiz.» Diese Neonazi-Organisation strebt nach eigenen Angaben einen dritten Weltkrieg an, um «zu beenden, was Hitler begonnen hat», ist hierarchisch organisiert und sehr gewaltbereit.
Trotzdem muss schon sehr genau hinschauen, wer Zeichen von Rechtsradikalismus im Fürstentum finden will. Die Rechtsextremen scheinen gar auf dem Rückzug. «Das liegt daran, dass Schmierereien meist sofort entfernt werden und dass sich die hiesigen Neonazis sehr angepasst geben», erklärt Jules Hoch. «Sie haben gemerkt, dass sie so bessere Chancen haben, wenn sie etwa eine Banklehre machen wollen.» Statt mit gut sichtbaren Insignien wie Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln geben sie sich untereinander durch Kleidermarken und Zahlencodes zu erkennen: Die Zahl 18 beispielsweise steht für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet, die Initialen Adolf Hitlers, 88 entsprechend für «Heil Hitler». Doch die Codes wechseln ständig. Das Versteckspiel macht es der Polizei schwerer, neue Szene-Angehörige zu identifizieren. «Im Prinzip hinken wir immer ein wenig hinterher», sagt Hoch.
Die Folgen rechtsextremen Tuns beschränken sich nicht nur auf Straftaten. Gerade Jugendliche fühlen sich durch das Auftauchen von Neonazis in ihrer Freiheit eingeschränkt. «Wir wollen und dürfen nicht tolerieren, dass Rechtsradikale das Leben in der Öffentlichkeit dominieren», betont der Kripochef Jules Hoch.
Das Fürstenhaus schweigt
Doch die Angst vor Vergeltungsschlägen hält manchen Beobachter davon ab, einen Vorfall zu melden oder eine Aussage zu machen. Und auch die Kleinräumigkeit, die Nähe, macht die Polizeiarbeit nicht einfach. Wenn der eigene Sohn beim Vater eines rechtsradikalen Jugendlichen ins Fussballtraining geht, wird man es sich zweimal überlegen, ob man Anzeige erstatten will. «Das erschwert uns die Arbeit, allerdings nicht nur bei rechtsradikal motivierten Taten, sondern generell», sagt Hoch.
Aufgeschreckt durch die Studie der Gewaltschutzkommission, hat die Regierung ein Massnahmenpaket gegen Rechtsextremismus verabschiedet. Grundpfeiler ist eine Sensibilisierungskampagne mit Inseraten in der Presse. Sie soll vermitteln, dass rechtsextreme Positionen wie Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in Liechtenstein keine Akzeptanz hätten. Und Innenminister Hugo Quaderer rief unlängst zu mehr Zivilcourage auf.
Das Fürstenhaus hoch über der Ebene hüllt sich in vornehmes Schweigen. Fürst Hans-Adam II. sah sich nicht bemüssigt, Stellung zu nehmen. Und Erbprinz Alois, der seit 2004 die Regierungsgeschäfte führt, liess über seinen PR-Berater gegenüber dem Beobachter verlauten: «Wir sehen keine zwingende Notwendigkeit, uns zu diesem Thema zu äussern.»