NZZ am Sonntag
Der Nachrichtendienst des Bundes warnt vor dem Gewaltpotenzial rechtsextremer Kampfsportler
Lukas Häuptli
Corona stoppte auch die Neonazis. Tomasz Szkatulski, Chef des rechtsextremen Labels «Pride France», hatte die Veranstaltung am 6. Juni 2020 irgendwo «zwischen Basel und Zürich» geplant. Vorgesehen waren Kämpfe Mann gegen Mann, bei denen es kaum Regeln gibt. Vorgesehen waren aber auch Auftritte rechtsextremer Bands. Es hätte ein eigentliches Fest für Szkatulski und seine Gesinnungsgenossen werden sollen: für die vereinigten Neonazis von Europa.
Doch dann kam Corona, und es fanden weder Kämpfe noch Konzerte statt. Jetzt will der Franzose den Anlass im Sommer 2021 nachholen.
Szkatulski stammt aus der französischen Stadt Lille, pflegt enge Beziehungen zu Schweizer Rechtsextremen und ist eine wichtige Figur in einer Szene, die bei Neonazis immer beliebter wird: die der Mixed-Martial-Arts-, K1- und Free-Fights. «Die Bedeutung des rechtsextremen Kampfsports ist in den letzten Jahren stark gewachsen», sagt Robert Claus. Er ist Extremismusexperte und Verfasser des eben erschienenen Buchs «Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert» (siehe Interview unten).
Mittlerweile beschäftigt die Szene auch den Schweizer Geheimdienst. «Der Nachrichtendienst des Bundes hat Kenntnis von mehreren grossen Treffen pro Jahr in Europa, an denen aus der Schweiz stammende Mitglieder der rechtsextremen Szene teilnehmen, sei es als Kämpfer, sei es als Zuschauer», sagt Sprecherin Isabelle Graber. Und: «Der Nachrichtendienst weiss auch von Trainings- und Wettkampforten rechtsextremer Kampfsportler in der Schweiz.»
Wie lang die Liste des Geheimdienstes zu den rechtsextremen Kampfsportlern, deren Trainings und deren Veranstaltungen in der Schweiz ist, will der Dienst nicht bekanntgeben. Kurz wird sie, so viel steht fest, nicht sein.
Personal Trainer
Einer der Kämpfer ist der Westschweizer J. M. Der 29-Jährige wohnt in einem Genfer Aussenquartier und arbeitet als Personal Trainer. Auf Instagram sieht man ihn – tätowiert und muskelbepackt – beim Training und im Ring. Daneben soll er den Schweizer Hammerskins angehören, einer Rechtsextremen-Gruppierung, und an verschiedenen Neonazi-Anlässen gekämpft haben, wie es in Claus’ Buch heisst.
Ebenfalls aus der Westschweiz stammt O. K. Er ist 46-jährig, lebt im Kanton Freiburg und soll enge Beziehungen zum eingangs erwähnten Tomasz Szkatulski haben. Auf Facebook tritt O. K. in T-Shirts mit Aufschriften wie «White Boy», «Ultragewalt» oder «Thor Steinar» auf. Das deutsche Label «Thor Steinar» gilt als Erkennungsmerkmal von Rechtsextremen.
Ein wieder anderer Kampfsportler ist der 27-jährige R. P, der im Kanton Basel-Landschaft wohnt. Er war Teilnehmer am «Kampf der Nibelungen». Dieser gilt im deutschsprachigen Raum als wichtigster Neonazi-Kampfanlass und fand zum letzten Mal 2018 im ostdeutschen Städtchen Ostritz statt. Letztes und dieses Jahr ist er von deutschen Behörden verboten worden.
Er und seine beiden Schweizer Kampfsport-Kollegen haben in der Vergangenheit wiederholt betont, sie hätten sich vom Rechtsextremismus losgesagt. Kenner der Szene bezweifeln das aber.
«Die Männlichkeit»
Warum aber wird Kampfsport bei Neonazis immer beliebter? Bei der Antwort auf die Frage hilft ein Blick in eine Schrift der rechtsextremen Kleinpartei «Der III. Weg» aus Deutschland. Darin steht: «In Zeiten des drohenden europäischen Untergangs ist der Ruf zur Wehrhaftigkeit stärker denn je. Fast täglich muss die autochthone Bevölkerung zuschauen, wie Volksangehörige durch kulturfremde Migranten drangsaliert werden.» Und: «In Zeiten der propagierten Geschlechtsneutralität und Gleichmacherei ist Kampfsport eins der wenigen Bindeglieder, in der der deutsche und westeuropäische Mann sich seiner Männlichkeit noch bewusst sein darf.»
Robert Claus geht allerdings weiter: Rechtsextreme würden Kampfsport längst nicht mehr zum Selbstzweck machen, sondern als Training für den Kampf auf der Strasse und im Feld. «Rechtsextreme Kampfsportler sagen selbst, dass sie für den gesellschaftlichen Umsturz trainieren», sagt Claus. Als entsprechend gefährlich stuft er sie ein.
Auch der Nachrichtendienst tönt diese Gefahr an. «Wichtig im Zusammenhang mit der Einschätzung des rechtsextremen Gewaltpotenzials ist der Hinweis auf das Training von Kampfsportarten und auf die Verfügbarkeit funktionstüchtiger Waffen», sagt Sprecherin Isabelle Graber.
Einer, der bereits jetzt den Kampf ins Feld trägt, ist der französische Neonazi Marc de Cacqueray-Valmenier, der ebenfalls enge Verbindungen in die Schweiz pflegt. Er sei dieser Tage nach Armenien aufgebrochen, um im dortigen Krieg gegen das muslimische Aserbaidschan zu kämpfen, sagt Robert Claus. Von diesem Kampf gegen den Islam hält de Cacqueray offenbar selbst Corona nicht ab.
«Hier darf sich der westeuropäische Mann seiner Männlichkeit noch bewusst sein.»
Rechtsextremismus
«Sie trainieren für den Umsturz»
Rechtsextreme würden nicht zum Selbstzweck Kampfsport machen, sagt Buchautor und Experte Robert Claus.
NZZ am Sonntag: Welche Rolle spielt der Kampfsport bei den Neonazis?
Robert Claus: Die Bedeutung des Kampfsports in der rechtsextremen Szene ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Das ist in fast allen europäischen Ländern so, auch in der Schweiz. Die Strukturen der jeweiligen Szenen sind überall ähnlich.
Nämlich?
Es gibt überall rechtsextreme Kampfsportler, Anbieter von entsprechenden Trainings, Wettkampfveranstalter sowie Händler, die Ausrüstungen verkaufen und mit Neonazi-Rockbands eng verbunden sind. Rechtsextreme haben aufgrund ihrer Gewaltideologie schon immer das Kämpfen trainiert. Aber in den letzten Jahren gab es einen kommerziellen Boom. Sie haben ihre Gewalt professionalisiert.
Warum gewann der Kampfsport derart an Bedeutung?
Da ist zum einen der wirtschaftliche Faktor: Mit Ausrüstungen, Trainings und Wettkämpfen lässt sich viel Geld verdienen. Zum anderen gibt es den ideologischen Faktor: Rechtsextreme beschwören das Bedrohungsszenario eines Europas weisser Christen, das von muslimischer Migration bedroht wird. Deshalb wird für sie der physische Kampf immer wichtiger. Die ideologische Klammer teilt die rechtsextreme Kampfsport- und Hooligan-Szene übrigens mit allen politischen Parteien am äusseren rechten Rand.
Das heisst, dass Rechtsextreme nicht nur zum Selbstzweck kämpfen?
Nein. Rechtsextreme Kampfsportler sagen selbst, dass sie für den gesellschaftlichen Umsturz trainieren. Sie machen sich in ihrem nationalen Sinn wehrhaft. Die rechtsextremen Aufmärsche 2018 in Chemnitz waren in dieser Beziehung eine entscheidende Phase. Da lief das gesamte rechte Spektrum auf, darunter Neonazis, die dank ihren Nahkampf-Fähigkeiten Polizisten in Vollmontur überwältigen konnten. Kurze Zeit später flog die Terrorgruppe Revolution Chemnitz auf, die einen bewaffneten Umsturz geplant hatte.
Rechtsextreme Kampfsportler sollen auf den griechischen Inseln auch Flüchtlinge angegriffen haben. Ist das so?
Ja. Ein anderes Beispiel: Der rechtsextreme französische Kampfsportler Marc de Cacqueray-Valmenier, der enge Verbindungen in die Schweiz hat, ist dieser Tage nach Armenien gereist, um dort im Krieg gegen Aserbaidschan zu kämpfen. Neonazis sammeln auch Waffen- und Kriegserfahrung.
Offenbar sind die rechtsextremen Kampfsportler international sehr gut vernetzt.
Ja, vernetzt sind sie in Europa und selbst bis in die USA. Es gibt Verbindungen zu dortigen Rechtsextremen, die mit ihrer Gewaltbereitschaft gerade im Zusammenhang mit den amerikanischen Wahlen von sich reden machen.
Interview: Lukas Häuptli