Die Neonazis rüsten auf

FACTS 23.09.1999
 
Ausgeprägte Organisationsstrukturen, rassistische Zeitschriften, Präsenz im Internet: Die Skinhead-Szene breitet sich aus.
 
Von Hans Stutz
 
Die Beamten der Neuenburger Kantonspolizei wurden rasch fündig. Anfang März 1999 statteten sie dem Neuenburger Hammerskin Olivier Kunz und dessen polnischer Lebensgefährtin Karolina einen unerwarteten Besuch ab. Die beiden betreiben zusammen den Skinhead-Versand Mjölnir Diffusion. Die Polizisten fanden ein Warenhausangebot rassistischer Hetze vor. Sie beschlagnahmten mehrere tausend CDs, Dutzende verschiedener Skin-Magazine, T-Shirts und Videos von Skin-Konzerten, die Kunz und seine Kameraden zwischen November 1997 und Mai 1998 in der welschen Schweiz organisiert hatten. Von einer in Deutschland verbotenen, bei Naziskins aber sehr begehrten CD der deutschen Gruppe Kraftschlag fanden die Beamten annähernd zweitausend Stück. Es sei die bedeutendste Menge rassistischen Materials, das je in der Schweiz beschlagnahmt wurde, gab die Neuenburger Kantonspolizei nach der Razzia bekannt. 

 
Die erschreckenden Funde belegen, wie die Neonazi-Szene weiter anwächst. Die Zahl der militanten Skinheads in der Schweiz hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt. Sie beträgt derzeit ungefähr 500 Personen, sagt Jürg Bühler, Chef-Stellvertreter der Bundespolizei. Auch die Organisationsstrukturen der Naziskins werden immer ausgeprägter. Schweizer Glatzen betreiben zurzeit mindestens drei Internet-Seiten. Daneben erscheinen vier Skin-Zeitschriften, drei in der deutschen, eine in der französischen Schweiz. Zwei Bands verbreiten ihre rassistische Botschaft. Schweizer Skins können bei mehreren Versandgeschäften einschlägiges Material beziehen. Und über ein «Nationales Infotelefon» erfahren die Anhänger des braunen Sumpfes, wo sie am Wochenende unter ihresgleichen die Kappe mit Bier füllen können. 
 
Den bis anhin letzten Aufrüstungsschritt tat die Schweizer Naziskin-Szene in den letzten Wochen. Im Gegensatz zu den Schweizer Hooligans verfügten die Naziskins bis vor kurzem über keine eigenen Internet-Homepages. Das ist nun anders. Gleich drei Deutschschweizer Skins schalteten ihre Webseiten kürzlich ins Netz. Einer nennt sich «Saccara», der andere «Dragon88», der dritte «Keyn». Die Saccara-Homepage gibt sich patriotisch und bieder: «Ich bin jetzt so frech und stecke Patrioten und Skinheads zu dem Begriff Skinheads zusammen», schreibt der noch unbekannte Verfasser. «Skins wollen Ordnung in das Land bringen.» Saccara aber hat nicht nur Mühe mit der Rechtschreibung, sondern auch mit den historischen Zusammenhängen: «Wenn Ausländerhass entsteht, wird es einen Grund geben. Bsp: Nicht die Schwarzen wurden als erstes Versklavt, sondern die Weissen!» Das entspricht einer szenenüblichen Vertauschung von Opfer und Täter. Saccara bietet nur einen einzigen «Patriotischen Link» an: die Homepage von SVP-Nationalrat Christoph Blocher. Ein weiteres Beispiel, in wessen politischen Schatten die Skins sich bewegen.
 
Nationalsozialistisch gibt sich die zweite Homepage eines Deutschschweizer Skins. «Sieg Heil Kameraden», tönt es aus dem Lautsprecher. Auf der Homepage flattert die Hakenkreuzfahne. «Dragon88» nennt sich der Betreiber. 88 steht für «Heil Hitler» – H ist der achte Buchstabe des Alphabets. Erst am vergangenen Wochenende ins Netz geladen wurde die dritte Schweizer Skinhead-Homepage auf der «Parasiten, Kanaken, Homosexuelle, Hippies, Punks und Drogensüchtige» nichts zu suchen hätten, «denn ihr seit es, die unser Land verschmutzen». Sie werden unverblümt zum Selbstmord angehalten. Die Seite ist noch im Aufbau. Einen Hinweis auf den mutmasslichen Betreiber gibt das verwendete Hammerskin-Wappen.Noch immer beanspruchen die Schweizer Hammerskins die Führungsrolle innerhalb der Glatzen-Szene. Noch immer übernehmen sie die «Security» bei einschlägigen Veranstaltungen, das letzte Mal beim Konzert in Gretzenbach SO. Nach dem Skinhead-Überfall auf eine antifaschistische Musikveranstaltung gaben sich die Schweizer Hammerskinheads (SHS) neue interne Strukturen. Skin-Gruppierungen existieren in der welschen Schweiz (Hammerskinheads Romandie), in der Ostschweiz (Patriotischer Ostflügel), in der Agglomeration Bern (Nationale Offensive) und im Fricktal (Bösen Patrioten Fricktal). Viele Skins bewegen sich zudem in Cliquen und Gruppen ohne Namen und ohne feste Mitgliedschaft. Vermehrt stellt die Bundespolizei fest, sagt Jürg Bühler, dass militante Skinheads auch bei Aktivitäten der völkisch-heidnischen Gemeinschaft Avalon mitmachen. Dort treffen sich Holocaust-Leugner, Alt- und Neonazis und auch vereinzelte Islamisten. Avalon riskiert damit, auf die Beobachtungsliste des Staatsschutzes gesetzt zu werden. Um die übers ganze Land verstreuten Glatzen zu mobilisieren, wird oftmals auch zum herkömmlichen Telefon gegriffen. Über das «Nationale Infotelefon», das vom 28-jährigen Hammerskin Reini Fischer aus Mutschellen AG betreut wird, verbreiten sie Hinweise auf politische Veranstaltungen – manchmal auch nur auf Saufgelage. Für das letzte Juliwochenende beispielsweise warben sie für eine dreitägige Naziskin-Party bei Mainz. Das sinnige Motto des Treffens lautete: «Freude durch Alkohol». Seit Anfang Jahr ruft das Infotelefon immer wieder zur Solidarität mit «den zwei politischen Gefangenen in Haft» auf. Als politische Gefangene gelten die beiden Hammerskins Pascal Lobsiger und Hermann Legenstein, die im vergangenen Herbst vom Luzerner Obergericht zu unbedingten einjährigen Gefängnisstrafen