In Bussen und Hunderten von Autos reisen mehr als 5000 Neonazis aus ganz Europa im Toggenburg an. Hotels und Restaurants sind voll besetzt, auch der lokale Getränkehändler profitiert. «Wo liegt das Problem?», fragt ein Mann, der an jenem Abend die Szenen ausserhalb der Tennishalle beobachtet. «Die Leute haben am nächsten Tag sogar Papierfetzen vom Boden aufgelesen.» Was der anonyme Zeuge ebenfalls mitbekam: Die Polizisten, darunter viele in Zivil, hätten Angst gehabt. «Klar, dass sie sich nicht in die Halle trauten.»
Unter den Augen der Beamten konnten die Neonazis ungestört ihre Hasslieder grölen. SonntagsBlick liegt ein Video aus der Halle vor, das die Schande vom Toggenburg belegt. Die Aufnahme zeigt die Band Frontalkraft, sie präsentiert ihren Song «Schwarz ist die Nacht». Darin heisst es: «Keine Angst, ihr Volksverräter, keinen werden wir verschonen (…) Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiss die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut auf dem Asphalt.»
«Deutlicher Aufruf zu Gewalt»
Für die Aargauer FDP-Nationalrätin und Anwältin Corina Eichenberger (62) sind die Textzeilen ein «deutlicher Aufruf zu Gewalt», also strafrechtlich relevant. Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus erstattete am Dienstag Strafanzeige gegen die Organisatoren des Konzerts. Mit dem Video hat die Staatsanwaltschaft jetzt handfeste Beweise.
Es sollte die Aufnahmen aus der Halle gar nicht geben, Handys waren verboten. Damit nichts nach aussen dringt. Ein 150 Mann starker Sicherheitsdienst filzte die Besucher am Eingang. Neonazis wissen: Ihre Lieder und Symbole stehen nicht nur in Deutschland auf dem Index, auch in der Schweiz können sie strafrechtlich verfolgt werden. Die meisten Bands auf der Bühne in Unterwasser waren darum vorbestraft.
Headliner des Konzerts war Stahlgewitter, eine der wichtigsten Bands der Neonazi-Szene. SonntagsBlick besitzt auch die Set-Liste der Songs von jenem Abend: In «Deine Asche, deine Ehre» huldigt Stahlgewitter Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess. «Ruhm und Ehre» feiert die Elitekämpfer des Dritten Reichs, die Waffen-SS. «Einen Tag regieren», der zweite Song des Abends, träumt vom Umgang mit Gegnern: «Einen Tag regieren, das wär‘ schön. Keiner würd‘ den Pöbel jemals wieder seh’n.» Auch was sie von der Polizei hält, macht die Band klar: «Bullen sind Nullen.»
«Adolf Hitler lebt!»
Sänger Daniel Giese (47) wurde rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er in dem Lied «Döner-Killer» die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) guthiess. Der Song vom Album «Adolf Hitler lebt!» steht in Deutschland auf dem Index.
Organisiert werden Konzerte wie jenes in Unterwasser von rechtsextremen Kameradschaften, meist Mitgliedern des in Deutschland verbotenen Netzwerks Blood & Honour. Die Konzerte dienen der Unterhaltung, vor allem aber der Finanzierung, zur Deckung von Anwaltskosten und zur Unterstützung von Neonazis im Gefängnis, wie NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben (41). Die Konzertbesucher vom Toggenburg überwiesen 30 Euro pro Ticket – 150’000 Euro flossen auf ein Konto der deutschen Postbank. Der deutsche Blog «Thüringenrechtsaussen» nannte als Kontoinhaber den bekannten Neonazi David H.*
Die Einnahmen eines Open Airs in Thüringen vom letzten August flossen auf dasselbe Konto. Damals ging das Geld an eine Neonazi-WG in Ballstädt (D). Deren Bewohner stehen wegen des Angriffs auf ein Dorffest mit zehn Verletzten im Februar 2014 vor Gericht. Onlinefotos zeigen: Mindestens einer der Schläger von Ballstädt, Blood-&-Honour-Aktivist Ricky N.* (41), war am Konzert in Unterwasser.
Auf der Bühne stand auch die Schweizer Neonazi-Band Amok. Im September 2005 wurde sie von einem Undercover-Journalisten im Wallis gefilmt, wie sie das sogenannte Judenlied sang. Der ReÂfrain: «Wetzt die langen Messer, lasst die Messer flutschen in den Judenleib.» Knapp vier Jahre später wurden 18 Organisatoren des Konzerts zu bedingten Freiheits- und Geldstrafen verurteilt. Bereits am 5. November ist das nächste Konzert geplant – in Thüringen, wie es heisst.
*Namen der Redaktion bekannt
Publiziert am 23.10.2016 | Aktualisiert vor 10 Minuten