bajour.ch. Juso-Präsidentin Ronja Jansen fordert von Bürgerlichen ein klares Statement gegen Rechtsextremismus. Zu oft würden Links- und Rechtsextreme in denselben Topf geworfen. Basler Politiker reagieren.
Ronja Jansen ist sauer. Sie sieht mehr Empörung über linke Antifaschist*innen als über die Tatsache, dass Nazis in der Schweiz unbehelligt marschieren. Aus Sicht der Juso-Frau werfen Bürgerliche und Journalist*innen Nazis und Linksextreme in denselben Topf.
Wie zuletzt am 12. Februar 2022. Da versammelten sich Corona-Skeptiker*innen in Zürich. Die Zürcher Antifa, das feministische Streikkollektiv und andere Linksalternative riefen zur Gegendemo unter dem Slogan «Zürich Nazifrei» auf. Die NZZ titelte: «Polizei mit Gummischrot gegen Antifa», und beim Tagesanzeiger hiess es: «Ausschreitungen gab es am Samstag hauptsächlich von linker Seite.» Linke hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Einsatzkräften geliefert. Und FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen warf dem SP-Politiker Fabian Molina vor, an der Nazifrei-Demo teilgenommen zu haben.
Ähnliche Diskussionen kennt auch Basel. Im November 2018 demonstrierte die rechtsextreme Pnos in Basel. Linke und bürgerliche Parteien organisierten eine bewilligte Gegendemonstration. Doch Linksalternative veranstalteten auch eine unbewilligte Demonstration, wobei es zu Ausschreitungen und Verletzungen auf Seiten der Demonstrant*innen und der Polizei kam. Bis heute beschäftigt sich die Justiz mit diesen Ausschreitungen. Bis sich die Staatsanwaltschaft auch mit den antisemitischen Parolen an der Pnos-Demo beschäftigte, dauerte es länger.
Die Gegenüberstellung von Links- und Rechtsextremismus in diesem Zusammenhang sei gefährlich, sagt Jansen gegenüber Bajour. Sie kritisiert: «Leute, die an einer unbewilligten Demo teilnehmen gegen Nazis als genauso extrem wie die Nazis selbst zu bezeichnen, zeugt von einer verschobenen Wahrnehmung. Die Leute der Jungen Tat sind Neonazis wie sie im Buche stehen. Das sind Leute, die sich hinter NS-Verbrechen stellen. Das hat wenig mit chaotisch sein zu tun.» Im Nachhinein dreht sich die öffentliche Diskussion allerdings hauptsächlich um Sachbeschädigungen aus der linken Szene, dabei wurden links und rechts einander gegenübersgestellt.
Jansen wünscht sich weniger Diskussionen über linksextreme Krawalle und mehr Engagement der Bürgerlichen gegen Nazis.
An die bürgerlichen Politiker*innen hat sie deshalb eine klare Forderung: «Statt gegen jene zu schiessen, die sich gegen den aufkeimenden Faschismus wehren, nehmt eure eigene demokratische Verantwortung wahr. Kommt an Demonstrationen und macht sie breiter oder organisiert eure eigenen Proteste. Wenn ihr Antifaschismus nicht linken Gruppierungen überlassen wollt, dann werdet selber aktiv und holt ihn in die Mitte der Gesellschaft.»
Die Haltung ist klar, aber …
Was sagen Mittepolitiker*innen aus Basel dazu? Balz Herter, Präsident Die Mitte Basel-Stadt, und David Wüest-Rudin, Fraktionspräsident der Grünliberalen Partei Basel-Stadt, machen ihre Haltung gleich zu Beginn der Gespräche klar: «Dass man dezidiert gegen rechts und Nazis ist, ist für mich ein Selbstverständnis», so Herter. Und auch Wüest-Rudin erklärt, alles, was einer demokratisch-rechtsstaatlichen Haltung zuwiderlaufe, sei zu verurteilen.
Die beiden lassen es sich aber nicht nehmen, in dieser Diskussion auch die Ausschreitungen auf der linken Seite zu verurteilen. Klar seien Rechtsextremismus und die Neonaziszene ein «No-Go», sagt Wüest-Rudin, «es ist aber auch Aufruf zu Mord, wenn Leute aus der linken Szene ‹Killt die Bullen› an Wände schreiben. Verfassungswidrige Aktionen und Aufrufe dazu sind grundsätzlich zu verurteilen und zu bekämpfen.»
Herter findet insbesondere das Thema der Sachbeschädigung «leid». Es sei richtig, gegen Nazis aufzustehen, aber wenn es «jedes Mal ausartet», sende das ein falsches Zeichen. «Meistens sind so Nazitreffen ja schwindend kleine Gruppen und solche Konfrontationen geben ihnen mehr Publicity. Und dann wird wieder gesagt, Linksextremismus sei ja auch so schlimm. Das nützt dem Anliegen nichts.»
Mit einem verfehlten Effekt argumentiert auch Wüest-Rudin: «Wenn ein Gegenaufmarsch stattfindet, bei dem es Krawall gibt, ist das wahrscheinlich eher eine Beförderung der Aufmerksamkeit, denn sonst würde ja vielleicht niemand über so ein Grüppchen Neonazis berichten.» Er sehe sowohl rechte als auch linke Politiker*innen in der Pflicht, jegliche Gewalt abzulehnen. Aber er findet nicht, «dass wir auf jede Demonstration reagieren müssen, wenn sie vom Ausmass her begrenzt ist.» Man müsse darauf achten, dass man «extremistischen Kreisen nicht zu viel öffentliche Aufmerksamkeit widmet.»
«Keine Gefahr»
Trotz klar sichtbaren Nazi-Aufmärschen, der Unterwanderung der Corona-Gegner*innen-Demos in den Schweizer Städten und dem zunehmenden Antisemitismus in den letzten zwei Jahren sehen Herter und Wüst-Rudin keine Gefahr. Der GLP-Politiker räumt aber ein, dass «wir liberale Parteien manchmal zu zurückhaltend sind und vielleicht tolerieren wir generell in der Schweiz auch mehr als in anderen Ländern.»
Wüest-Rudin verstehe, wenn sich gewisse Personen oder Parteien Sorgen würden und sich engagieren, er habe aber nicht das Gefühl, dass politisch aktuell eine akute Gefahr vom Rechtsextremismus ausgehe. Vielmehr glaubt er, dass es in der Schweiz ein demokratisches Selbstvertrauen gebe, im Sinn von «Sollen die Extremisten halt marschieren, ihnen hört eh niemand zu». Und er vertraue auch auf die staatlichen Behörden.
Herter zeigt sich ebenfalls nicht besorgt: «Naziparolen werden nicht salonfähig», sagt er. «Es ist unbestritten, dass es in Hinterhöfen Leute gibt, die diesem Gedankengut frönen, aber im politischen Diskurs sehe ich diese Leute wirklich nicht.»
Sich für die Öffentlichkeit sichtbar dagegen stellen
Beide Politiker erinnern an die Gegendemonstration 2018 auf der Dreirosenanlage, zu welcher bis auf die SVP alle Parteien aufgerufen hatten. «Das war ein gutes Miteinander», findet Herter. Eine Demo an einem neutralen Ort und mit Bewilligung sieht Herter denn auch als zielführend. Die direkte Konfrontation führe immer zu Ausschreitungen. «Ich bin aber am konstruktiven Dialog interessiert, anstatt da vor den Nazis zu stehen», erklärt der Mitte-Politiker. Er gehe nicht davon aus, dass mit Neonazis konstruktiv diskutiert werden könne, aber man könne sich klar gegen sie aussprechen, mit einer Mahnwache ein Zeichen setzen oder in der Politik «auf konstruktiver Ebene wirken».
Auch Wüest-Rudin kann sich eine Wiederholung des Szenarios von 2018 auf der Dreirosenanlage vorstellen, «wenn eine grössere Demo von Rechtsextremen – oder Linksextremen – geplant wäre.» So würde man sich klar für die Öffentlichkeit sichtbar dagegen stellen. Er schlägt zudem gemeinsame Medienmitteilungen aller Parteien vor und findet, «Wir von den Parteien könnten uns bei Gelegenheit gegenseitig und der Öffentlichkeit versichern, dass wir zusammen gegen Rechtsextremismus einstehen.»
Die beiden Politiker schlagen also aktuell nicht Alarm. Ein paar Ideen haben sie allerdings. Vielleicht wäre das ja ein konstruktiver Ausgangspunkt für die politische und mediale Debatte. Denn diese geht wohl nicht nur die Zürcher*innen etwas an.