Berner Zeitung: Stammtisch · Kein Tag vergeht ohne Horrormeldungen über neue Gräueltaten der IS-Terroristen. Fanatische, gewaltbereite Islamisten sorgen für Abscheu, Angst, Kopfschütteln. Islamismus: ein Thema auch am «Forum»-Stammtisch.
«Radikale Islamisten planen Auftritt in Freiburg», «Bern setzt Grossaufgebot gegen IS-Sympathisanten ein», «Jihadisten: Aus der Schweiz in den Krieg»: Dies sind nur einige aktuelle Schlagzeilen mit Schweizer Bezug zum Thema Islamismus. Müssen wir uns hier vor Extremisten und militanten Strömungen fürchten?
Michel Gygax (wiegt den Kopf, überlegt kurz): Im Moment wohl nicht direkt. Aber es geht ganz allgemein sicher eine Gefährlichkeit von den Netzwerken islamistischer Extremisten aus. Schliesslich ist das Endziel solcher Leute die Weltherrschaft.
Hanspeter Buholzer: Ich glaube ebenfalls nicht an eine akute Gefährdung seitens solcher Strömungen. Zudem: Jeder, der heute irgendwo einen Anschlag verüben will, findet Möglichkeiten dazu. Nicht nur Jihadisten.
Thomas Müller: Bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA gab es Befürchtungen, auch bei uns könnte es zu Anschlägen kommen. Passiert ist aber nichts.
Christian Haas: Also ich glaube schon, dass jedes demokratische Land potenziell gefährdet ist. Jihadisten sind ja zutiefst undemokratisch. Sie akzeptieren ausschliesslich ihre eigenen Gesetze, ihre eigene Religion. Und sie kennen keine Grenzen…
Rosmarie Bernasconi: …aber Grenzen bestehen insofern, als demokratische Gesellschaften ja einen absolut gegensätzlichen Pol bilden zu den Ideologien solcher Bewegungen.
Hanspeter Buholzer: Nicht zuletzt deshalb werden islamistische Strömungen hier nichts wirklich bewirken können.
Der IS ist eine menschenverachtende Terrororganisation, die insbesondere Frauen auf brutalste Weise misshandelt. Wo bleibt bei uns der Aufschrei traditionell linker friedens- und frauenbewegter Kreise?
Buholzer (aufgebracht): Also sorry, das ist doch nicht einfach eine Angelegenheit der Linken. Da habe ich jetzt gerade selber als Linker das Gefühl, ich werde einfach wieder mal in eine Schublade gepresst.
Aber wenn es um Menschen- und Frauenrechte geht, sind es in der Regel eher Leute aus dem linken politischen Spektrum, die sich dazu äussern oder gar zu Aktionen aufrufen. Und in diesem Fall passiert praktisch gar nichts.
Gygax: Das stimmt. Und es erstaunt mich wirklich. Es ist eine Tatsache, dass sich zum Thema Islamismus momentan fast ausschliesslich christliche und eher konservative Kreise öffentlich kritisch äussern und klar Stellung beziehen. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, als würden die Linken das Thema tabuisieren, ausklinken. Aus welchen Gründen auch immer.
Buholzer: Vielleicht hat es damit zu tun, dass viele Linke immer versuchen, alles zu verstehen.
Müller: Und die Frage sei an dieser Stelle erlaubt: Was würde beispielsweise eine Demo schon nützen? Die Islamisten trifft man damit nicht…
Haas: …aber mich als Bürgerlichen befremdet es unter dem Strich trotzdem etwas, dass man von linker Seite bis zum jetzigen Zeitpunkt so gar nichts Konkretes vernommen hat.
Wird beim Thema Islamismus zuweilen überreagiert? Oder handkehrum eher verharmlost?
Bernasconi: Also wenn sich ein ganzes System mit seinen Wertvorstellungen angegriffen fühlt, wird vielleicht automatisch überreagiert. Das liegt wohl in der Natur der Sache.
Gygax: Bei uns sind es sicher die Rechten, die überreagieren. Und die Linken verharmlosen es.
Müller (energisch): Das stimmt jetzt überhaupt nicht. Die Linken verharmlosen das Thema ganz und gar nicht.
Buholzer: Seit 150 Jahren bauen wir auf Demokratie und Sicherheit. Die Islamisten verschwinden wieder.
Warum fühlen sich in der westlichen Welt junge Menschen von einer blutrünstigen Organisation wie dem IS angezogen?
Gygax: Mir kommt das vor wie bei den Neonazis: Es geht um Status, man gehört dazu, kann in der Hackordnung aufsteigen.
Haas: Genau. Solche Leute leben in einer totalen Schizophrenie: Einerseits geht es ihnen gut – andererseits hassen sie die Gesellschaft. Sie wollen einfach zurückschlagen.
Bernasconi: Man will dazugehören. Und in jedem Menschen steckt irgendwo ein Killergen. Eine solche Organisation weckt dieses auf, instrumentalisiert es. Das ist schlicht pervers.
Buholzer: Zu Beginn ist es wohl einfach ein Protest, ein Sichaufreiben gegenüber der Norm.
Müller: Dabei spielt sicher auch Todessehnsucht mit und verklärte religiöse Romantik.
Haas: Und dadurch entsteht ein interreligiöser Hass gegen alles…
Bernasconi: …durch den sich Feindbilder noch verstärken.
Müller: Es entwickelt sich eine Eigendynamik. Eine Spirale aus Hass und Gewalt.
Wie soll man dem begegnen?
Haas: Ganz wichtig wäre in diesem Zusammenhang, mögliche Mitläufer frühzeitig zu erkennen und zu stoppen. Aber wie das gehen soll, weiss ich auch nicht.
Können Konflikte mit islamistischen Verbänden wie dem IS in absehbarer Zeit dauerhaft beigelegt werden?
Haas: Das bezweifle ich. Solange bei solchen Organisationen jegliches Demokratieverständnis fehlt und kategorisch bekämpft wird, sehe ich schwarz.
Gygax: Echte Lösungen sind nicht voraussehbar. Solche Konflikte werden uns wohl noch lange beschäftigen.
Müller: Ich denke schon. Am Schluss siegt die Vernunft. Das zeigt die Geschichte.
Stammtisch
Bunter Themenmix
Das «Forum» trifft sich regelmässig mit interessanten und interessierten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zu einem Stammtischgespräch. Diskutiert wird dabei über die verschiedensten Themen: Politik, Sport, Gesellschaft, Kultur, Unterhaltung und so weiter. Die «Stammcrew» (siehe Kasten links) wird je nach Thema ergänzt durch weitere Gesprächs- partner.cw
Die Crew
Debattierfreudige Truppe
Diese fünf waren beim aktuellen «Forum»-Stammtisch im Berner Restaurant Du Nord dabei: Hanspeter Buholzer (61), Gestalter, Langnau im Emmental; Michel Gygax (40), Gastronom, Bern; Rosmarie Bernasconi (59), Verlegerin, Bern; Christian Haas (44), Informatiker, SVP-Mitglied, Stettlen; Thomas Müller (45), PC-Supporter, SP-Mitglied, Thun. Sie bilden die «Stammcrew» der Gesprächsrunde.cw