Der Bund vom 05.05.2012
Die Antifa beleuchtet in einer Broschüre die rechte Szene. Zwei Experten streiten sich, ob das der Sache diene – und wie gefährlich die rechte Szene sei.
Timo Kollbrunner
Vor kurzem haben die Gruppierungen Antifa Bern, Antifa Oberland und Revolutionäres Projekt Burgdorf (Repro) eine sorgfältig gestaltete Broschüre präsentiert. «Die braune Szene der Schweiz» heisst sie. Es ist eine Tour d’Horizon durch die rechte Szene der Schweiz – von der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) über den Schweizer Arm der Hammerskin-Bruderschaft oder Bands wie «Indiziert» und «Amok» bis hin zur SVP, die «als Nährboden und Legitimation für Rechtsextreme» fungiere.
Im 40-seitigen Bericht listet die Antifa 102 Ereignisse der letzten zwei Jahre auf: Versammlungen, Äusserungen, das Verteilen von Flugblättern, rassistische Sprayereien – alles wurde vermerkt. Das Fazit der Antifa: «Die extreme Rechte – vorab die Pnos als ihre wichtigste Akteurin – schwächelt und steht im Schatten der übermächtigen SVP, welche ähnliche Themenfelder besetzt.» Seit etwa 2008 stagniere die extreme Rechte «auf hohem Niveau».
Während die Antifa Fotos und Namen von Rechtsradikalen abdruckt, bleiben die Verfasser der Revue anonym. Die Antifa schreibt auf Anfrage, sie habe in ihrer Broschüre bewusst «nicht den kleinen Mitläufer», sondern «fast ausschliesslich rechtsextreme Personen abgebildet, die als Exponenten in der Öffentlichkeit auftreten.» Die Autoren selbst träten nicht mit ihren Namen in Erscheinung, weil ihre Arbeit «nicht ganz ungefährlich» sei. «Es kommt immer wieder zu Übergriffen von Neonazis auf Andersdenkende.»
Althof vs. Antifa
Samuel Althof, der im Kanton Basel eine Fachstelle für Extremismus- und Gewaltprävention betreibt, kennt die Antifa-Broschüre. Die Veröffentlichung von Fotos und Namen bezeichnet er als «datenschutzmässig äusserst problematisch.» Inhaltlich attestiert Samuel Althof der Broschüre «ein gewisses Mass an Objektivität». Dennoch sei die Antifa-Revue nicht geeignet, um Rechtsextremismus zu bekämpfen. «Die Antifa ist ein Teil des Problems und nicht Teil der Lösung», sagt Althof. «Rechts- und Linksextreme beziehen sich aufeinander.» Er wirft der Antifa vor, mitunter selbst Gewalt anzuwenden und Selbstjustiz zu üben – etwa im Fall der Royal Aces Tattoo Bar, des rechten Treffpunkts in Burgdorf, der nach zwei Anschlägen im Sommer 2010 geschlossen wurde. Die Antifa entgegnet, sie habe gegen die Bar – «den ersten öffentlichen Treffpunkt der Neonazis in der Schweiz» – lediglich eine Informationskampagne geführt. «Wer hinter den militanten Aktionen steckt, wissen wir nicht. Gewalt gegen Personen lehnen wir ab.»
Auf den «selbst ernannten Extremismusexperten Samuel Althof» ist die Antifa schlecht zu sprechen. Die Medien übernähmen dessen Gewaltvorwürfe «völlig unkritisch», obwohl er nie «irgendwelche Belege geliefert» habe. Noch nie sei ein Mitglied der Gruppe Antifa Bern wegen Gewaltakten verurteilt worden. Rechtsextremismuskenner wie etwa Hans Stutz «würden sicher ein differenzierteres Bild unserer Arbeit zeigen», schreibt die Antifa.
Der Luzerner Journalist Hans Stutz ist neben Althof jener Mann, der in den Medien am Häufigsten als Extremismusexperte zitiert wird. Und tatsächlich zeichnet er ein anderes Bild. Die Broschüre der Antifa hat er zwar noch nicht gesehen. Grundsätzlich aber seien die Informationen der Antifa Bern «praktisch immer überprüfbar und korrekt», sagt er. «Sie macht gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen öffentlich und belegt sie auch.» Die Gewaltakte der Antifa dagegen bezeichnet auch Stutz als «problematisch». Wenn die Antifa schreibe, sie wisse nicht, wer für die Aktionen in Burgdorf verantwortlich sei, möge das zutreffen. Die Aktionen seien jedoch ganz im Sinne der Antifa gewesen.
20 Rechtsextreme – «das ist gaga»
Auch bezüglich der Potenz der rechten Szene gehen die Meinungen zwischen der Antifa und Samuel Althof auseinander. Althof sagt, die rechte Szene stagniere «auf einem niedrigen Level». Die Antifa mache das Phänomen grösser, als es wirklich sei – auch, um das eigene Tun zu rechtfertigen. Die Rechtsextremen hätten in der Schweiz keine politische Programmatik, die funktioniere. «Die Pnos ist politisch absolut irrelevant.» Schaue man sich Bilder des letzten Parteitages an, sässen dort kaum mehr als 40 Leute. Auch hätten die extremen Rechten – im Gegensatz zu den Linksradikalen – keine funktionierende Gewaltprogrammatik. Der harte Kern der rechtsextremen Szene bestehe schweizweit aus «nicht mehr als 20 Personen».
«Das ist gaga», sagt Hans Stutz. «In der Schweiz sind grundsätzlich gegen 1000 Leute durch rechtsextreme Kreise mobilisierbar.» Und die Akzeptanz von Gewalt «bis hin zur Gewaltausübung» sei «ein konstituierender Bestandteil jeder rechtsextremen Ideologie.» Seit einigen Jahren stagniere die extreme Rechte – verglichen mit der Situation von vor zehn Jahren aber nach wie vor «auf hohem Niveau». Und die Pnos habe politisch zwar wenig Bedeutung, «aber Fakt ist: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg hat es eine rechtsradikale Partei geschafft, zehn Jahre am Stück zu politisieren.»Einig sind sich Stutz und Althof darin, dass es im Kanton Bern besonders viele rechte Aktivisten gebe. Und Stutz stimmt Althof auch darin zu: Viel gefährlicher als die rechtsextremen Gruppierungen sei der «gesellschaftliche Alltagsrassismus», der auch durch die Agitation von etablierten Parteien salonfähig gemacht werde.
2010: 55 Ereignisse registriert
Offizielle Informationen zu rechtsextremen Vorfällen liefert der Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Die neusten Zahlen stammen von 2010. Damals wurden schweizweit 55 rechtsextreme Ereignisse registriert (2009: 85; 2008: 76). Die 13 Ereignisse mit Gewalttaten im Jahr 2010 bedeuten einen Tiefststand. Der Trend gehe hin zu rein politisch geprägten Veranstaltungen, steht im Bericht – diese stünden nicht unter Beobachtung des NDB. Sprecher Felix Endrich sagt auf Anfrage, die NDB-Beurteilung sei keine umfassende Analyse der rechten Szene. «Wir beurteilen nur Ereignisse, bei denen zu Gewalt aufgerufen, Gewalt angedroht oder Gewalt ausgeführt wird.» Und auch die seien für sie nur dann relevant, wenn sie die innere Sicherheit gefährdeten. «Wir dürfen keine Gesinnungsschnüffelei betreiben.»
Zu den Entwicklungen seit dem Jahr 2010 äussert sich Endrich nicht, bevor nächste Woche der neuste Jahresbericht erscheint. Er sagt nur: Die Verbindungen der Zwickauer-Zelle ins Berner Oberland oder der Fackelzug von 50 Rechtsextremen durch die zürcherische Gemeinde Hombrechtikon seien nicht «staatsschutzrelevant» und hätten «die Lageeinschätzung nicht grundsätzlich verändert». Nach wie vor gilt somit, was im Jahresbericht 2010 steht: Die Lage im rechtsextremen Bereich habe sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert, «inbegriffen der Trend, dass die Zahlen rückläufig sind».