In Deutschland wurden in den letzten zehn Jahren von Rechtsradikalen oder anderen ausländerfeindlichen Kräften rund 5000 Gewaltdelikte begangen. Die Bevölkerung reagiert kaum.
*Werner Bosshardt/TA
Seit dem Bombenanschlag von Düsseldorf – dessen Urheberschaft nach wie vor nicht ge-klärt ist – beherrscht das Thema Rechtsradikalismus die deutschen Medien: Reportagen, Analysen, Interviews, Rat- und andere Schläge. Dies liesse sich positiv als Rückwendung zu einem schwierigen gesellschaftlichen Problem Deutschlands deuten. Doch der plötzliche bundesweite Wettbewerb um die besten «Geschichten» zu diesem Thema löst auch Skepsis aus, die der Potsdamer Bürgermeister Matthias Platzeck und andere mit einem Vergleich zum Ausdruck bringen: Werde ein Kind von einem Kampfhund gebissen, löse dies eine nationale Welle der Empörung aus. Werde hingegen ein Ausländer zusammen geschlagen, sei Achselzucken bisher stets die verbreitetste Reaktion gewesen.
«Einzelne Vorkommnisse»
In der Tat hatten die Medien – von gewichtigen Ausnahmen abgesehen – das rechtsextreme Treiben lange Zeit mit einiger Zurückhaltung begleitet. Sowohl der Brandanschlag auf die Synagoge von Erfurt als auch die Ermordung eines Mosambikers in Dessau (Sachsen-Anhalt), sowohl der Übergriff auf ein Asylbewerberheim in Ludwigshafen als auch der Terror in mehreren Städten über die Ostertage wurden eher routinemässig behandelt. Und die Ermordung von Obdachlosen durch jugendliche Rechtsextreme in Mecklenburg-Vorpommern begann erst eine Woche nach dem dritten Fall die Gemüter zu bewegen.
Mag sein, dass auch bei den Medien die Auffassung weit verbreitet war (ist?), man dürfe die Rechtsextremen nicht durch zu grosse öffentliche Beachtung aufwerten. Und manch einer machte sich wohl auch die Argumentationskette zu eigen, die vor allem von CDU-Politikern bis hin zu Thüringens Ministerpräsidenten Bernhard Vogel zu hören ist: Das Problem werde von der Linken hoch geredet, um daraus politisches Kapital zu schlagen, vor «Schnellschüssen und Aufgeregtheiten» sei zu warnen. Schliesslich gehe es immer noch um «einzelne Vorkommnisse», und die Auseinander- setzung mit dem Rechtsradikalismus dürfe nicht dazu führen, alle ostdeutschen Bürger «unter den Generalverdacht der Ausländerfeindlichkeit» zu stellen.
Nun ist überall von einer «neuen Welle der Gewalt», von einer «neuen Qualität» rechtsextremer Umtriebe zu hören und zu lesen. Bei Lichte betrachtet handelt es sich im Kern indessen um ein altes, zeitweise verdrängtes Phänomen, das in der ganzen Bundesrepublik auftritt, in besonderen Ausprägungen in den neuen Bundesländern.
Die rechtsextremistischen Umtriebe äussern sich – seit einigen Jahren – in Anschlägen auf Häuser, Klubs oder Imbissbuden von Ausländern, in der Schändung jüdischer oder islamischer Einrichtungen, in Mord, Drohung und Einschüchterung, in der Verbreitung nazistischer Symbolik.
Vor allem Skinheads
Nach statistischen Angaben der Bundesregierung gab es von 1990 bis 1999 mindestens 18 vollende und 117 versuchte Tötungsdelikte sowie 4864 Gewaltdelikte allein aus ausländerfeindlicher Motivation. Die rechtsextrem motivierte Gewalt geht dabei grösstenteils von Skinheads aus. Der (partei)politisch organisierte Rechtsradikalismus hat an Bedeutung verloren, auch wenn die braune Suppe noch lange nicht ausgelöffelt ist.
«Viel zu viel Wegschauen»
Seit einiger Zeit beobachten die Verfassungsschutzorgane und die Polizei neuere beunruhigende Tendenzen. So etwa die breite Nutzung des Internets: Es spielt eine wachsende Bedeutung bei der Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut und bei der Mobilisierung der Anhänger. Zudem wird es skrupellos zur Denunzierung von «linken» Gewerkschaftern, Künstlern und Politikern eingesetzt. Diese zunehmende Vernetzung kann zudem in kleineren, überschaubaren Städten weitere fatale Folgen haben:
Wenn rechtsradikale und ausländerfeindliche Gruppen glaubhaft machen können, dass sie über ausreichende Mittel verfügen, um Widerstand zu «rächen», wird die nun viel beschworene Zivilcourage schwerlich zu mobilisieren sein. Dabei erscheint den meisten Wissenschaftern, Politikern und Kommentatoren eine wirksame Bekämpfung des Rechtsradikalismus allein durch staatliche Repression kaum erfolgversprechend. Vielmehr müsse den gewaltbereiten Jugendlichen auch von Bürgerinnen und Bürgern deutlich signalisiert werden, dass Hass und Gewalt gegen Ausländer nicht geduldet würden.
Die Realität ist allerdings häufig eine andere. «Es gibt zu viel klammheimliche Zustimmung und viel zu viel Wegschauen», sagt Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Und laut Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm kommt es in «bestimmten Teilen Deutschlands» fast flächendeckend immer wieder zu Übergriffen: «Die Täter gehen offenbar davon aus, dass sie bei der Bevölkerung nicht mit grossem Widerstand gegen ihre Aktionen rechnen müssen.» *