Die Bomberjacke legen sie ab, die Ideologie nicht

TagesAnzeiger

Jugendlichen fällt es schwer, aus rechtsextremen Kreisen auszusteigen. Die Nazi- Utensilien verschwinden zwar, das Gedankengut meist nicht.

Von Thomas Knellwolf, Basel

Wer als Rechtsextremer linksum kehrt macht, lebt gefährlich. Aussteiger können Opfer von Szenenneulingen werden, die sich über Gewalt an «Verrätern» profilieren wollen. Doch die meisten Rechtsextremen machen gar nicht linksum kehrt, selbst wenn sie die engere Szene verlassen. Dies zeigt eine gestern präsentierte Studie der Universität Basel, die vom Nationalfonds finanziert wurde. Viele Rechtsextreme distanzieren sich zwar räumlich, aber nicht im Kopf von ihren Cliquen oder Kameradschaften.

Was die Gesellschaft verlangt

«Wer also die Bomberjacke und die geistigen Pfeiler des Rechtsextremismus fein säuberlich in den Kleiderschrank entsorgt, kann jeden Tag im Privaten darauf zurückgreifen», sagt Wassilis Kassis, einer der Verfasser der Studie. Damit würden die jungen Männer genau so weit gehen, wie dies die Gesellschaft mit einem gewissen Druck einfordere.

Viele Rechtsextreme gebärden sich mit zunehmendem Alter nicht mehr öffentlich, aber noch immer privat ausländerfeindlich und antisemitisch. Die Einstellung bleibt die alte, doch das aggressive, provokante Auftreten und die Gewaltbereitschaft nehmen ab. Die Basler Soziologen sprechen in solchen Fällen nicht von einem Ausstieg, sondern von einem Austritt (wie aus einem Verein). Die Ausgetretenen fänden durch einen Beitritt in eine rechte Partei «eine gesellschaftlich anerkannte Bestätigung ihrer fundamentalen Überzeugung».

Die Gründe für Ausstieg wie für Austritt liegen zum Teil in enttäuschten Erwartungen. So suchen die Jugendlichen in rechtsextremen Gruppierungen Halt. Doch gerade persönliche Probleme und Gefühle gelten dort als Schwäche. Oft stellt auch die Freundin ihren rechts abdriftenden Partner vor die Wahl: Hakenkreuz und Glatze oder ich. Zum Abgang motivieren zudem gute Erfahrungen mit Repräsentanten von «Feindgruppierungen» – also mit Ausländern und Linken.

Laut Samuel Althof, dem Leiter der «Aktion Kinder des Holocaust», ersetzt allerdings nicht selten eine extreme Geisteshaltung die andere. Aus seiner psychologischen Beratungstätigkeit weiss er von ehemaligen Rechtsradikalen, die sich linksradikalen oder fundamentalreligiösen Gruppen anschlossen.

Durch Interviews mit 40 (Ex-)Rechtsextremen isoliert die Studie weitere Ausstiegsfaktoren wie «Übersättigung auf Grund ausgelebter Bedürfnisse», «Burnout» und als «belastend wahrgenommene Strafverfahren». Viele haben es satt, zu provozieren, politisch nichts zu bewirken, aber immer wieder mit einem Springerstiefel im Gefängnis zu stecken. «Irgendwann löscht es einem auch ab», sagte ein Befragter.

Die Studienresultate decken sich weit gehend mit den Erfahrungen von Szenekennern. Rechtsextremismusexperte und Journalist Jürg Frischknecht geht von «Kiste und Chischte» als wichtigsten Ausstiegsgründen aus: von der Zweierkiste mit einer Freundin und vom drohenden Gefängnisaufenthalt, schweizerdeutsch «Chischte».

Für seinen Kollegen Hans Stutz betont die Basler Studie allerdings das gesellschaftspolitische Umfeld zu wenig. An verschiedenen Orten hätten Bürgerbewegungen den rechtsextremen Gruppierungen erfolgreich den öffentlichen Raum streitig gemacht. Samuel Althof vermisst auch jene Fälle, in denen der Rechtsextremismus auf eine krankhafte Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen ist, die sich «in mehrjähriger Arbeit» therapieren lasse.

Die Austretenden nicht allein lassen

«Viele Pubertierende bewegen sich nur kurz in rechtsextremen Gruppierungen und wenden sich dann oft einer anderen Jugendszene zu», sagt Jürg Frischknecht. Er schätzt, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen die rechtsradikalen Zirkel nach «ein, zwei Saisons» wieder verlassen. Auch bei ihnen bleibt oft extremes Gedankengut hängen. Von einer «vorübergehenden Pubertätsphase» könne in der Regel nicht gesprochen werden, hält die Studie fest. Umso wichtiger ist für Samuel Althof, dass die Austretenden nicht allein gelassen werden. Es brauche niederschwellige Angebote wie etwa Gassenarbeit.