Schweiz am Sonntag: Der Lausanner hatte enge Beziehungen zu den Terrorchefs der Palästinenser – er galt als ihr Berater
Drei Monate vor der Swissair-Entführung im September 1970 traf François Genoud den Chef der Terroristen in Paris. Die Schweiz ging nie gegen den Antisemiten vor. Warum?
Es ist Ende Juni 1970. François Genoud reist nach Paris. Mit der Metro fährt er bis zur Station Porte Maillot. An einer Strassenecke erwartet ihn «sein Freund Wadi Haddad». Dieser trägt eine Perücke, er ist unter falschem Namen in Paris.
Die Sequenz beschrieb der französische Genoud-Biograf und Journalist Pierre Péan 1996 im Buch «L’Extremiste. François Genoud, de Hitler à Carlos».
Wadi Haddad ist nicht irgendwer. Er ist neben George Habash Führer und Terror-Chef der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Diese war eine gewaltbereite Gruppe innerhalb der PLO.
Dreimal schlägt Haddads Truppe in dieser Zeit auch gegen die Schweiz zu. Im Februar 1969 greifen vier Mitglieder der PFLP auf dem Flughafen Kloten mit Kalaschnikows eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al an. Ein Attentäter und der israelische Co-Pilot sterben.
Im Februar 1970 wird eine Swissair-Maschine bei Würenlingen durch ein Sprengstoffpaket zum Absturz gebracht, 49 Personen sterben. Wohl ein Irrtum, denn der Anschlag galt vermutlich einer El-Al-Maschine. Aber die PFLP übernimmt die Verantwortung.
Im September 1970 entführen PFLP-Terroristen drei Flugzeuge, darunter eine Swissair-Maschine mit 157 Menschen an Bord, in die jordanische Wüste. Alle Geiseln werden später freigelassen.
Danach gab es keine nennenswerten Angriffe mehr auf die Schweiz. «NZZ»-Reporter Marcel Gyr enthüllt jetzt im Buch «Schweizer Terrorjahre» den Grund: Der damalige Aussenminister Pierre Graber schloss im September 1970 ein geheimes Stillhalteabkommen mit dem PLO-Aussenbeauftragten Farouk Kaddoumi. Unter Vermittlung von alt SP-Nationalrat und Soziologieprofessor Jean Ziegler (siehe Kasten).
Aber es bleiben beunruhigende Fragen. Welche Rolle spielte aufseiten der PFLP der Lausanner Alt-Nazi François Genoud? War er ein Strippenzieher des Terrors, den Graber bändigen musste?
Genoud kannte alle PFLP-Terrorfürsten persönlich. Wadi Haddad lernte er gemäss Péan nach dem Attentat in Kloten kennen, traf ihn im Sommer 1969 im Libanon. Der Lausanner besuchte die Attentäter im Gefängnis, bezahlte den arabischen Anwalt. Daraus soll sich der Kontakt zu Haddad ergeben haben.
Genoud, bekennender Nazi und Bankier in Genf (Banque Commerciale Arabe), stand seit je aufseiten der Israel-Hasser. Er finanzierte die Verteidigung von Adolf Eichmann, Klaus Barbie oder dem Terroristen Carlos.
Aber er stand auch immer auf erstaunlich gutem Fuss mit Bern. Der Militärgeheimdienst führte ihn im Zweiten Weltkrieg als Mitarbeiter. In den Jahrzehnten danach wurde der Terroristenfreund regelmässig bei verschiedensten Bundesbehörden vorstellig. Er hielt ihnen Informationen zu, beriet sie etwa bei Geiselnahmen, horchte sie aber zweifellos auch aus. Die Bundespolizei observierte ihn jahrzehntelang, fand aber angeblich nie etwas. Der deutsche Autor Willi Winkler kommt im Buch «Der Schattenmann» zum Schluss: «Genoud wird offensichtlich geschützt.»
Für Haddad und Konsorten war er einer, der offene Türen hatte in Bern und Geld dazu, Gold wert. Autor Péan trieb Mitstreiter von Haddad auf, sie bestätigten alle die wichtige Rolle von «Scheich François». Einer, Hani al-Hindi, sagte: «Er lieferte uns Analysen über den Westen, die uns erlaubten, unsere Aktionen genauer zu definieren. (. . .) Er war ein guter Berater, der uns in unserem Kampf half.»
Ein Teil des Geheimdeals von Graber war, dass die PLO ein Büro in Genf eröffnen konnte. Aber auch hier kommt «Schattenmann» Genoud ins Spiel: Zum späteren Leiter dieses Büros, Daoud Ba rakat, hatte der Nazi enge Kontakte, wie 1973 die Bundespolizei festhielt: «Es existiert eine Querverbindung zwischen Barakat, Genoud und Mohammed Boudia. Die drei treffen sich gelegentlich u. a. in Lausanne.»
Der Algerier Boudia, ein alter Freund von Genoud, war als PFLP-Operationschef in Europa aktiv. Der Mossad führte ihn nach dem Blutbad bei den Olympischen Spielen in München als «Staatsfeind Nummer 1» und sprengte ihn 1973 in Paris in die Luft. Boudias Nachfolger war ein anderer Genoud-Freund: der Terrorist Carlos.
Ziegler: «Ich bin kein Held. Ich hatte Angst»
Über 45 Jahre lang hat Alt-SP-Nationalrat Jean Ziegler geschwiegen. Im Buch «Schweizer Terrorjahre» von NZZ-Journalist Marcel Gyr hat er nun bestätigt, dass es 1970 einen Geheimdeal mit der Befreiungsorganisation PLO gab. Die Schweiz erhielt die Zusicherung, vor weiteren Attentaten bewahrt zu werden. Im Gegenzug durfte die PLO, die um internationale Anerkennung kämpfte, ein Büro in Genf eröffnen.
«Meine Rolle war nur die des Türöffners», sagt Ziegler. «Ich konnte Bundesrat Graber dank meiner Beziehungen in Kairo und Beirut sagen, mit wem er auf Seite der PLO reden muss. Bundespolizei und Geheimdienst hatten keine Ahnung vom äusserst komplexen Organigramm der PLO.» Ziegler geht die Sache noch heute sehr nahe. «Ich bin kein Held. Ich hatte Angst. Zwei meiner engsten Freunde, Kardiologe Issam Sartawi und Elektroingenieur Ezzedine Kalak, Chef des Pariser PLO-Büros, wurden ermordet, wohl von israelischen Kommandos.»
Heute Sonntag trifft er Hinterbliebene von Opfern des Würenlinger Attentats. «Sie haben das Recht, die Wahrheit zu erfahren», sagt Ziegler. Er betont auch: «Ich habe grosse Hochachtung für Bundesrat Graber. Die Schweiz hat damals Staatsräson dem Rechtsstaat vorgezogen. Sie hat richtig gehandelt.» (hay)