«Die Attacken werden brutaler»

BernerZeitung

Der Rütli-Auftritt hat ihn bekannt gemacht. Jetzt steht Lobsiger wieder vor Gericht. Experte Jürg Bühler beobachtet, dass die rechte Szene brutaler vorgeht und immer häufiger Einzelpersonen attackiert.

Interview: Gregor Poletti

Pascal Lobsiger muss sich derzeit wegen einem Angriff auf zwei Schwarze vor Gericht verantworten. Welche Rolle spielt der 28-jährige in der rechten Szene?

Jürg Bühler: Pascal Lobsiger erhielt nach seinem Rütli-Auftritt sehr viel Auftrieb und spielte sich danach als Leaderfigur in der rechtsextremen Szene auf.

Aber spätestens seit der Schlägerei in St. Gallen ist dieser Status zusammengebrochen, und er verhält sich seitdem auffällig ruhig. Weshalb?

Er hat schon verschiedene Verfahren hinter sich und weiss, dass es vor einem Prozess besser ist, etwas in Deckung zu gehen. So kann er sich besser als geläutert darstellen, was er ja auch dieses Mal wieder getan hat. Aber nachdem er nur bedingte Strafen kassierte, hat er seine Aktivitäten wieder aufgenommen.

Jetzt droht ihm aber der Gang ins Gefängnis.

Deshalb betont er jetzt auch, dass er sich von der Szene zurückgezogen habe und hofft so auf eine günstigere Sozialprognose.

Hat eine unbedingte Strafe heute noch eine abschreckende Wirkung?

Die Erfahrung zeigt, dass strafrechtliche Massnahmen und das resolute Vorgehen der Behörden zumindest für den Einzelnen abschreckend wirken. Aber auch der ständige behördliche Druck auf die Szene zeitigt Erfolge: Deshalb gelang es uns im Fall der beiden brutal zusammengeschlagenen Türken im Kanton Aargau, die Täter, welche wir in der rechtsextremen Szene vermuteten, schnell zu fassen. Einer hat sich gar selbst gestellt, nachdem er bemerkte, dass sich das Ermittlungsnetz immer stärker zusammenzog.

Andererseits besteht die Gefahr, dass Skins Prozesse wie in St. Gallen zu Propagandazwecken missbrauchen?

Das würde ich nicht überschätzen. Im Gegensatz zu Deutschland werden Strafprozesse gegen gewalttätige Extremisten nur äusserst selten zu Propagandazwecken genutzt. Die Angeklagten essen hier meist ein bisschen Kreide und versuchen, den Tatbestand herunterzuspielen. Dies im Gegensatz zur ideologisch- rassistischen Szene: Holocaust-Leugner beispielsweise versuchen meistens, aus solchen Auftritten Kapital zu schlagen.

Bei beiden angesprochenen Fällen gingen die Skins äusserst brutal vor. Wird die rechte Szene radikaler?

Radikaler im Gedankengut können diese Skins kaum mehr werden. Aber in ihren Handlungen werden sie immer rücksichtsloser und brutaler im Kampf Mann gegen Mann. Seit rund zwei Jahren stellen wir zudem fest, dass vermehrt Einzelpersonen attackiert werden. Dies im Gegensatz zu früher, als sich die Aggression gegen symbolhafte Einrichtungen wie Asylbewerberheime richtete.

Haben Sie bei Ihren Beobachtungen in der rechtsextremen Szene weitere neue Tendenzen ausgemacht?

Nebst der vermehrten Nähe zur Hooliganszene macht uns insbesondere die Politisierung der Szene Sorgen. So beobachteten wir mit grosser Aufmerksamkeit die kürzlich erfolgte Gründung der Partei der national orientierten Schweiz (PNOS) in Liestal. Bemerkenswert ist bei dieser Bewegung, dass erstmals ein beachtlicher ideologischer Unterbau geschaffen wurde. Diese Art eines Parteiprogramms geht weit über reine Schlagwörter und Slogans hinaus.

Aber gerade die Politik tut sich schwer mit Massnahmen wie beispielsweise der Einrichtung von Ausstiegshilfen für Rechtsextreme?

Diese können vielleicht individuell ihre Wirkung entfalten. Aber gross angelegten Aktionen wie im Ausland stehe ich skeptisch gegenüber. Dies aus zwei Gründen: erstens sind Schweizer Skins im Gegensatz etwa zu deutschen meistens sozial relativ gut integriert, arbeiten oder machen eine Lehre. Zudem haben mir mehrere ausländische Kollegen bestätigt, dass dies mehr plakative Aktionen seien, die dort vor allem eine politisch beruhigende Wirkung hätten. Sinnvoller ist, die Prävention noch weiter auszubauen, sei dies durch Informationen in Schulen oder eine verbesserte Integration.

Jürg Bühler arbeitet beim Bundesamt für Polizei als Rechtsextremismusexperte.