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Deutsche Neonazis haben vor einem Jahr in ihrer Heimat zwei Journalisten attackiert. Ein mutmasslicher Täter lebt mittlerweile im Oberwallis. Und arbeitet in einem Unternehmen, das sich gegen eine Vorverurteilung wehrt.
Er absolviert eine Lehre als Heizungsinstallateur in einem Oberwalliser Betrieb, besucht die Gewerbschule in Visp, wohnt in Brig, lebt unauffällig. Auffällig ist sein Bezug zur rechtsextremen Szene. Der heute 19-jährige N.H.* soll im April 2018 zusammen mit einem Kollegen im ostdeutschen Bundesland Thüringen zwei Journalisten attackiert und verletzt haben. Bewaffnet mit Schraubenschlüssel, Baselballschläger, Reizgas und Messer machten sie Jagd auf die Medienschaffenden. Einer der Journalisten trug eine Platzwunde am Kopf und einen gebrochenen Stirnknochen davon, der andere wurde von einem der Angreifer mit dem Messer im Oberschenkel verletzt.
Die zuständige Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Die Vorwürfe: gefährliche Körperverletzung, schwerer gemeinsamer Raub und Sachbeschädigung. Ob die Anklage zugelassen wird, entscheidet das Landgericht Mühlhausen. Wann, ist unklar. Für die mutmasslichen Täter gilt die Unschuldsvermutung.
Am Eichsfeldtag
Der Vorfall ereignete sich in Fretterode, einem verschlafenen Dorf mit etwa 170 Einwohnern im thüringischen Landkreis Eichsfeld. In die Schlagzeilen geriet die Gemeinde als Wohnort des Neonazis Thorsten Heise, einer der mächtigsten Neonazi in Deutschland und stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD. Er ist mehrfach vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Nötigung und Volksverhetzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es ist Heises Sohn, der im Verdacht steht, die beiden Journalisten attackiert zu haben. Dass dieser mittlerweile im Oberwallis lebt und in einem etablierten regionalen Unternehmen arbeitet, hat die «Süddeutsche Zeitung» kürzlich publik gemacht. Die «Wochenzeitung» sowie das Online-Portal «Infosperber» haben die Geschichte aufgegriffen.
Wieso ist N.H. in der Schweiz? Wieso im Wallis? M.N.* ist wenig überrascht. Er ist einer der beiden Journalisten, die von den Nazis angegriffen wurden. Die Rechtsextremen seien gut vernetzt, sagt er, europaweit und bis in die Schweiz. «Es ist bekannt, dass auch Walliser immer wieder Naziveranstaltungen in Deutschland besuchen. Zuletzt am sogenannten Eichsfeldtag der NPD, wo zwei junge Oberwalliser zusammen mit N.H. anwesend waren», so der Journalist. Fotos auf verschiedenen Online-Portalen belegen seine Aussage. Organisator des Eichsfeldtages: Thorsten Heise.
«Sauber und anständig»
Im August 2018 hat N.H. seine Lehre im Visper Betrieb begonnen. Seither sei es nie zu Zwischenfällen oder Auffälligkeiten gekommen, sagt der Geschäftsleiter, im Gegenteil: «Er arbeitet zuverlässig, sauber und ist anständig.» Auch die Verantwortlichen der Gewerbeschule sagen, dass sich N.H. korrekt verhält. Die Unternehmensleitung versichert weiter, dass man über den Vorfall in Fretterode keine Kenntnis hatte. «Auch nicht, dass der Vater von N.H. in der Neonaziszene aktiv tätig ist.» Dies habe man erst nach Unterzeichnung des Lehrvertrags aufgrund einer Reportage im deutschen Fernsehen erfahren. Das war im November 2018.
In der Ecke
Der Betrieb, ein traditionelles Familienunternehmen, wird mittlerweile von der zweiten Generation mitgeführt und feiert im kommenden Jahr sein 30-Jahr-Jubiläum. Rund 60 Angestellte aus neun verschiedenen Nationen werden beschäftigt. Man lege grossen Wert auf eine familiäre Mitarbeiterkultur, organisiere regelmässig Firmenanlässe und Ausflüge. «Wir sehen uns als Unternehmen, das seine soziale Verantwortung für die Region wahrnimmt. Mit rechtsradikalem Gedankengut haben wir nichts am Hut», wird betont. Vielmehr arbeite man beispielsweise mit verschiedenen regionalen Institutionen zusammen, um auch lernschwachen oder suchtkranken Menschen eine Chance zu geben. Daher sei es frustrierend und belastend, dass der gesamte Betrieb nun in die Nazi-Ecke gedrängt werde.
«Er wurde durch einen unserer Mitarbeiter vermittelt»
Verständlich der Frust – trotzdem bleibt ein zwiespältiges Gefühl: Heisst es doch, dass gleich mehrere Angestellte des Betriebes dem rechtsnationalem Milieu zuzuordnen seien. So sei auch der Kontakt zu N.H. zustande gekommen. Die «Wochenzeitung» spricht von einem internationalen «Neonazinetz». Bekannt ist, dass ein Angestellter des Betriebes im September 2005 in Gamsen ein Gedenkkonzert für den Neonazi-Sänger Ian Stuart mitorganisiert hat und wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm verurteilt wurde. Ein Bekannter des Angestellten: Thorsten Heise.
Gratwanderung
«N.H. wurde durch einen unseren Mitarbeiter vermittelt. Er hat sich unser Unternehmen vorgängig angeschaut. Er wirkte sehr anständig und motiviert», sagt die Geschäftsleitung. Man sei sich zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass N.H.’s Anstellung ein Problem sein könne. «Es gab nie Anzeichen, dass es hier um ein rechtsradikales Netzwerk geht, wie es derzeit dargestellt wird.» Natürlich sei man sich bewusst, dass die Konstellation unglücklich sei und irritierend wirke, doch habe man keine Kenntnis, «dass sich Angestellte von uns derzeit in einem radikalen Umfeld bewegen. Und die Freizeitaktivitäten unserer Angestellten kontrollieren wir nicht und nehmen auf diese auch keinen Einfluss», so das Oberwalliser Unternehmen.
Trotz der Anschuldigungen soll N.H. die Ausbildung im Oberwallis weiterführen können. Weil es im aktuellen Fall soweit noch zu keiner definitive Anklage oder gar Verurteilung gekommen sei. Ändere sich dieser Sachverhalt, müsse man die Situation sicherlich neu beurteilen, sagt der Geschäftsleiter.
*Namen der Redaktion bekannt.
DER TAGESKOMMENTAR | Über die aufkeimende Neonazi-Szene im Oberwallis
Klare Kante
Ein Oberwalliser Unternehmen stellt einen jungen Deutschen ein, der in der Naziszene verkehrt und verdächtigt wird, zwei Journalisten attackiert zu haben. Im Betrieb arbeiten weitere Angestellte, die dem rechtsnationalen Milieu zugerechnet werden. Eine Konstellation mit üblem Nachgeschmack. Und zwei Erkenntnissen: Rechtsradikale Netzwerke funktionieren grenzübergreifend. Und sie agieren mit neuen Strategien.
Glatzköpfe mit Bomberjacken und Stiefeln sind heute nur noch selten anzutreffen. Die extreme Rechte agiert bewusst zurückhaltend und verzichtet auf offensichtliche Provokationen. Die rechten Gruppierungen rechnen sich so Chancen aus, mit ihren kranken Ideen bei breiteren Kreisen Zustimmung zu finden.
Der Nachrichtendienst des Bundes stellt in seinem aktuellen Sicherheitsbericht fest, dass die rechtsextreme Szene in der Schweiz im Aufbruch ist: Gewalttaten werden zwar seltener, andere Ereignisse mit rechtsradikalem Hintergrund indes häufiger. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich im 2018 entsprechende Vorfälle verdreifacht. Übrigens: Auch der Linksextremismus legte um 13 Prozent zu – und das auf höherem Niveau.
Zurück ins Oberwallis: Die Kontroverse um den 19-jährigen Deutschen, der hier seine Lehre absolviert, hat das Unternehmen gehörig durchgeschüttelt. Falsch wäre es, den gesamten Betrieb in die rechtsextreme Ecke zu drängen. Falsch wäre aber auch, die Situation zu verharmlosen. In unserer Gesellschaft gibt es keinen Platz für Rechtsextremismus. Der grösste Teil der Bevölkerung verabscheut diese menschenverachtende Ideologie.
Die Geschäftsleitung sagt, dass der mutmassliche Täter die Ausbildung weiterführen könne, da die Unschuldsvermutung gelte. Wird er verurteilt, hat das Unternehmen nur eine Möglichkeit: Es muss klare Kante zeigen. Und das Arbeitsverhältnis beenden.
Armin Bregy