Deutsche Polizei ermittelt: Zürcher Neonazi Kevin G.: Strafverfahren in Deutschland

derbund.ch

Der Zürcher Kevin G. beim Grillieren. Neue Erkenntnisse legen nahe, dass er der Kopf der Neonazi-Band Erschiessungskommando ist.

Die Band Erschiessungskommando ruft zum Mord an einer deutschen Politikerin auf. Auch Corine Mauch wurde bedroht. Recherchen zeigen: Sänger der Band ist wohl der Zürcher Neonazi Kevin G.

Kevin Brühlmann

Der Zürcher Oberländer Kevin G. beim Grillieren. Neue Erkenntnisse legen nahe, dass er der Kopf der Neonaziband Erschiessungskommando ist.

Zwei Reporter sitzen im Auto vor einer grauen Blocksiedlung, irgendwo im deutschen Bundesland Thüringen. Auf der Motorhaube hockt ein Neonazi mit breitem Nacken und will die Reporter am Wegfahren hindern, bis Verstärkung eintrifft.

Die Reporter sind vom Norddeutschen Rundfunk, und eigentlich sind sie einem Schweizer auf der Spur: Kevin G., ein Neonazi aus dem Zürcher Oberland, gelernter Metzger, 33 Jahre alt und mehrfach vorbestraft, auf der Schulter ein Hakenkreuz-Tattoo, Mitglied der militanten Gruppe Combat 18 und als Sänger der Band Amok eine der lautesten Stimmen der rechtsextremen Szene.

Der Thüringer Neonazi auf der Motorhaube hatte CDs von Kevin G. verkauft. Den Reportern gegenüber schweigt er. Aber nachdem sie dank der Hilfe der Polizei wegfahren konnten, decken sie in einer Doku auf, dass Kevin G. auch der Sänger der rechtsextremen Band Erschiessungskommando beziehungsweise Mordkommando sei. Und dass die Staatsanwaltschaft von Gera, einer Stadt in Thüringen, ein Strafverfahren eröffnet hat. Das ist brisant. Es zeigt nämlich, wie unterschiedlich die Wege sind, welche die Zürcher und die Thüringer Behörden beschreiten.

In Zürich wurde das Verfahren eingestellt

Die Lieder der Band Erschiessungskommando heissen «Gaskammerlüge», «Hängt sie auf» oder «Ab in den Ofen». Der deutsche Verfassungsschutz schreibt: «Eine Sonderrolle kommt der Band zu, da sämtliche ihrer Alben indiziert worden sind und etliche Textpassagen strafrechtliche Relevanz aufweisen, da sie u. a. den Nationalsozialismus verherrlichen und zu Gewalt und Rassenhass aufrufen.» Allerdings konnte bislang niemand nachweisen, wer die Mitglieder der Band sind.

2016 reichte die Thüringer Politikerin Katharina König Anzeige gegen unbekannt ein. Die Band hatte damals ein Lied über sie veröffentlicht, worin der Sänger zum Mord an ihr aufrief. König, die für die Partei Die Linke im Thüringer Landtag sitzt, engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus.

Gut 600 Kilometer südwestlich, in Zürich, veröffentlichte zum gleichen Zeitpunkt eine Band namens Mordkommando einen Song mit Gewaltfantasien und Todesdrohungen gegen die Stadtpräsidentin Corine Mauch. Diese erstattete Anzeige (ebenfalls gegen unbekannt). Doch die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte die Untersuchung im Dezember 2018 ein, heisst es bei der Behörde, und zwar «wegen verweigerter Rechtshilfe durch die USA». Da die Songs auf Youtube hochgeladen wurden, hätte das amerikanische Justizministerium die Herausgabe der Daten erlauben sollen – was die US-Behörde jedoch ablehnte. Sie berief sich auf das Recht auf Redefreiheit, «freedom of speech».

Die Thüringer Staatsanwaltschaft allerdings blieb am Fall dran. Sie klopfte auch in Zürich an, um Hilfe beim Verfahren zu erhalten. Dieses sogenannte Rechtshilfegesuch wurde laut Zürcher Staatsanwaltschaft im Oktober 2019 abgeschlossen.

Hausdurchsuchung in Thüringen

Vor kurzem kam es laut den beiden Reportern des Norddeutschen Rundfunks zu einer Hausdurchsuchung in Thüringen – und zwar bei dem Neonazi, der auf der Motorhaube des Autos gesessen und der Erschiessungskommando-CDs verkauft hatte. Dabei wurden T-Shirts mit den Aufdrucken «Combat 18» und «Amok – Schweiz-Deutsche Freundschaft» beschlagnahmt. Die gewalttätige Gruppe Combat 18, was für «Kampftruppe Adolf Hitler» steht, ist in Deutschland seit Februar 2020 verboten. In der Schweiz jedoch nicht.

Das in Thüringen konfiszierte T-Shirt: Amok ist die Band des Zürcher Neonazis Kevin G.

Warum holte sich die Staatsanwaltschaft in Thüringen Hilfe bei den Zürcher Behörden? Wie sieht der Stand des Verfahrens aus? Stehen ausser Kevin G. weitere Personen im Fokus des Strafverfahrens? Die Behörde in Gera liess eine Anfrage per E-Mail unbeantwortet.

Kevin G. vermutlich im Gefängnis

Und wo steckt Kevin G., der mutmassliche Erschiessungskommando-Sänger? Als man bei der Metzgerei im Kanton St. Gallen anruft, wo Kevin G. jahrelang angestellt war, sagt die Inhaberin, er arbeite nicht mehr dort. Aufgebracht fügt sie an: «Er ist Vater von zwei herzigen Kindern, er ist auf einem guten Weg. Lasst ihn doch endlich in Ruhe!»

Sehr wahrscheinlich sitzt Kevin G. zurzeit im Gefängnis. Weil er einen Juden bespuckt, beschimpft und mit «Heil Hitler»-Rufen eingedeckt hatte, wurde er 2019 vom Zürcher Obergericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Haft soll er im Februar 2020 angetreten haben. Kurz zuvor hatte er ein neues Album veröffentlicht. Darin machte er sich über den Juden lustig, den er attackiert hatte.