Tages-Anzeiger: In Graubünden lebt ein früherer Informant des deutschen Geheimdienstes. Nun gibt es Hinweise, dass er zum Umfeld rechtsextremer Mörder gehört. Auf seinem Computer fand sich ein Lied, wie es in einem Bekennervideo zur NSU-Mordserie benutzt wurde.
Ganz in der Nähe, wo die Dichterin Johanna Spyri einst Heidi, Geissenpeter und Alpöhi angesiedelt hatte, lebt heute der frühere V-Mann mit dem Decknamen Primus. Lange Jahre hat der inzwischen 42-Jährige dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Angaben über Leute geliefert, mit denen er selbst verkehrte: über Rechtsextreme in Ostdeutschland. Jetzt tauchen Hinweise auf, wonach der Mann mit Szenenname Manole vielleicht zum Unterstützerumfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gehörte.
Das wäre eine Ungeheuerlichkeit. Doch Aufklärung ist kaum zu erwarten. Die Verfassungsschützer haben die Akte über den Kahlkopf, der gerne mit Kampfhund und Pumpgun posierte, geschreddert. Der deutsche Inlandgeheimdienst verhält sich auffällig unkooperativ gegenüber der Strafverfolgung – insbesondere bei Primus.
Mutmasslichen NSU-Angehörigen und Helfern wird seit über einem Jahr in München wegen zehn Morden, schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung der Prozess gemacht. Manole alias Primus ist weder Verdächtiger noch Angeklagter. Als Zeuge ist er in Chur befragt worden. Doch dabei kamen verschiedene interessante Aspekte nicht zur Sprache.
Da wäre zuallererst die Sache mit der Pink-Panther-Melodie. Der NSU hatte die Musik für sein Bekennervideo verwendet. Die Ermittler haben dieselbe Melodie auf einem Computer entdeckt, den Manole in Deutschland zurückgelassen hatte. Irgendwie passt das Lied nicht zum Ex-Sänger des rechtsextremen «Westsachsen-Gesocks». Doch Fragen dazu gab es keine in den Rechtshilfeersuchen der deutschen an die schweizerischen Behörden. Die ahnungslose Bündner Staatsanwaltschaft konnte Manole in ihren beiden Einvernahmen deshalb keine entsprechenden Fragen stellen. Vielleicht hätten die Beamten dann eine ähnlich schnippische Antwort bekommen wie die «Süddeutsche Zeitung», die in der Sache nun zusammen mit dem «Tages-Anzeiger» recherchierte. «Ich habe viele Musikdateien auf meinem PC», schrieb der Mann aus dem Bündner Rheintal. Und: «Erwarten Sie von mir keine weitere Unterstützung.» Was meinte er damit?
Zwickau ist nicht die Welt
Die untergetauchten NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt lebten jahrelang mit Tarnidentitäten in der sächsischen Kleinstadt Zwickau. Dort war auch Manole daheim. Er besass Kleiderläden, ausgerichtet auf Rechtsextreme. Und er kannte viele mutmassliche Helfer des NSU – darunter Thomas S., der mit Zschäpe ein Techtelmechtel gehabt haben soll, oder Jan W., der angeblich einmal eine Waffe für die Terroristen besorgen sollte (was W. bestreitet). Ein Zeuge meinte gar, Zschäpe habe in einem Laden Manoles ausgeholfen. Die Polizei hat dazu eine Reihe Leute befragt. Eine Tätigkeit Zschäpes liess sich nicht belegen.
Zwickau ist nicht die Welt. Ist es vorstellbar, dass Manole gar nichts über die Untergetauchten erfuhr? «Ich habe diese drei nie in meinem Leben gesehen», teilt Manole nun mit.
Bis heute ist nicht in allen Fällen klar, wer die Fahrzeuge gemietet hat, mit denen die NSU-Terroristen zu den Tatorten fuhren. Manole lieh sich damals viele Autos aus, auch zu verdächtigen Zeitpunkten. Am 13. Juni 2001 beispielsweise – dem Tag, an dem der NSU in Nürnberg einen türkischen Schneider niederschoss – mietete Manole in Zwickau einen Wagen, für den 980 Kilometer abgerechnet wurden. Als weiterer Fahrer wurde ein Mann eingetragen, der den Behörden als Neonazi bekannt war und der nur drei Hausnummern entfernt vom NSU-Trio wohnte. Zufall? Vielleicht sind es Zufälle. Vielleicht war der V-Mann so ahnungslos wie das Bundesamt, dem er viele Geheimnisse verriet – nur nicht die wirklich wichtigen.
Noch immer weit rechts
Äusserlich ist Manole-Primus heute nicht mehr als Rechtsextremer zu erkennen. Er trägt im Alltag meist bequeme Handwerkerkleidung, robuste Schuhe, und das Haar ist etwas gewachsen. Auch nach fünf Jahren in der Schweiz ist der Migrant weit rechts geblieben. Mit xenophoben Äusserungen hält er sich nicht zurück. In Graubünden war der Zuzüger als Kleiderverkäufer, Sicherheitsmann, Konzertveranstalter und Lastwagenfahrer tätig. Zurzeit ist er als Selbstständiger im Entrümpelungsbusiness und als Antiquitätenhändler tätig. Sein Angebot im Internet ist vielfältig: Es reicht vom bemalten Straussenei aus Südafrika über einen Patronengurt für die Jagd mit Schrot und einen Guinness-Partyhut aus Irland bis zum Bausatz für ein Panzermodell aus dem Zweiten Weltkrieg.