St. Galler Tagblatt vom 29.07.2011
Nicht nur in Skandinavien distanzieren sich nun rechte Parteien wortreich von Breiviks Tat. Doch ähnliches Gedankengut ist in Europa weit verbreitet. Auch Schweizer Rechtsextreme – und nicht nur sie – fordern den «Schutz der lokalen Eigenheiten» statt die multikulturelle Gesellschaft.
Richard Clavadetscher
Geht es um den Rechtsextremismus in der Schweiz, stehen Gruppierungen wie die «Partei National Orientierter Schweizer» (Pnos) im Vordergrund oder Verbände wie die vor allem im Aargau, dem Kanton Bern und im Luzerner Hinterland verbreitete «Helvetische Jugend». Es geht auch um «Blood & Honour» oder die Hammerskins. Beobachter dieser Gruppen meinen, die Szene zähle wohl nicht mehr als rund tausend Mitglieder und etwa gleich viele Sympathisanten.
«Langjähriger Tiefststand»
Man kann sich die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Rechtsextremismus einfach machen und den vom Nachrichtendienst des Bundes verfassten jüngsten Bericht «Sicherheit Schweiz» zitieren. Danach ist der Rechtsextremismus existent, aber er ist verschwindend klein und hat sich «in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert». Die Zahl seiner Gewalttaten sei rückläufig, sogar auf einem «langjährigen Tiefststand».
Gerade mal sieben «ausgewählte Ereignisse» waren dem Nachrichtendienst wichtig genug, um sie im Bericht für das Jahr 2010 aufzulisten. Darunter war das Skinhead-Konzert in Amriswil vom 13./14. März, besucht von rund 150 Personen: «Die Konzertbesucher stammten aus verschiedenen Teilen der Schweiz, aber auch aus dem Ausland, insbesondere aus Deutschland und Österreich. Rechtsextreme hatten den Partyraum unter dem Vorwand gemietet, ein Geburtstagsfest zu feiern.» Oder dann das «Kriegerlispiel» in einem Kieswerk im Kanton St. Gallen vom 25. April: «Neun Rechtsextreme spielten Softair und führten Wehrsportübungen durch. Bei Softair kämpfen mit Druckluftwaffen ausgerüstete Teams nach militärischen Szenarien gegeneinander.» Die anderen Vorfälle sind vorwiegend arttypische Schlägereien.
Dass sich so wenig tue, liege insbesondere an der Rassendiskriminierungsstrafnorm (Artikel 261bis Strafgesetzbuch), findet der Nachrichtendienst, sie habe eine präventive Wirkung: «Nach Verurteilungen gingen die rechtsextremen Aktivitäten massiv zurück oder wurden ganz eingestellt. Zudem führten die Verurteilungen offenbar dazu, dass weniger Personen neu in die Szene einstiegen.» Der Nachrichtendienst stellt allerdings eine Verlagerung fest: weg von der Gewalttat, hin zur rein politischen Veranstaltung, die der Dienst von Gesetzes wegen nicht beobachten darf.
Dem Schweizer Nachrichtendienst wird gelegentlich nachgesagt, er sei «auf dem rechten Auge blind». Nicht so dem Journalisten Hans Stutz, einem Kenner der rechtsextremen Szene. Auch er schreibt, dass «die Rechtsextremen in der Schweiz unter sich» blieben – auch wenn sie sich «durch die Diskriminierungskampagnen gegen Muslime oder straffällige Ausländerinnen und Ausländer bestärkt» fühlten. Immerhin sei aber ein Novum zu beobachten, so Stutz: «Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg kann sich in der Schweiz eine rechtsextreme Partei für längere Zeit halten, auch wenn die Zahl der Aktivisten klein ist und sie nur in wenigen Kantonen präsent ist.» Gemeint ist die Pnos.
Gegen das Multikulturelle
Die Pnos ist der politische Arm des Rechtsextremismus. Sie sieht sich in der Schweizer Parteienlandschaft als «ehrliche Alternative», da sie erkannt habe, dass «die Probleme der Überfremdung, der Umweltzerstörung, des Kapitalismus und der Globalisierung kein naturgegebenes Verhängnis, sondern Ergebnis des heutigen politischen und wirtschaftlichen Systems sind». Sie fordert etwa eine «Fremdenpolitik nach ethnopluralistischen Grundsätzen»: «Während die Gegner der kulturellen Vielfalt globale Einheit und lokale Vielfalt fordern, steht die Pnos für den Schutz der lokalen Eigenheiten und die globale Vielfalt. (…) Die multikulturelle Gesellschaft steht in krassem Gegensatz zu dieser Grundhaltung und wird von der Pnos somit als Perversion des natürlichen Zusammenlebens aufs Schärfste bekämpft.»
Dass Rechtsextremismus in der Schweiz zwar existiere und seine Anhängerschaft primär bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen finde, zu diesem Ergebnis kommt das 2003 gestartete Nationale Forschungsprogramm (NFP) «Rechtsextremismus – Ursachen und Gegenmassnahmen». Seine Ergebnisse sind Ende 2009 der Öffentlichkeit präsentiert worden. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sei in unserem Land aber «schwierig», so ein Fazit: Rechtsextremismus werde entweder ignoriert oder dann aufgebauscht.
Ähnliche Denkmuster
Was ist Rechtsextremismus überhaupt? Der deutsche Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusexperte Hans-Gerd Jaschke versteht darunter «insbesondere Zielsetzungen, die den Individualismus aufheben wollen zugunsten einer völkischen, kollektivistischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft in einem starken Nationalstaat und in Verbindung damit den Multikulturalismus ablehnen und entschieden bekämpfen». Rechtsextremismus gehe zudem von einer rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen aus, er lehne das Gleichheitsangebot der Menschenrechts-Deklarationen ebenso ab wie den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie.
Bei Jaschkes Definition fällt auf, dass das eine oder andere Element sich auch bei rechtspopulistischen Bewegungen oder Parteien finden lässt – etwa bei der SVP. Das ist an sich kein Wunder, denn Rechtsextreme wie Rechtspopulisten bedienen sich ähnlicher, manchmal identischer Denkmuster. Am rechten Rand sind die Grenzen zwischen Populisten und Extremisten fliessend. Sie unterscheiden sich allenfalls in der Radikalität ihrer Lösungsvorschläge: Vereinfacht gesagt, bewegen sich Rechtspopulisten im Unterschied zu Rechtsextremisten innerhalb des politischen Systems, und sie wollen ihre Ziele auf demokratischem Weg erreichen.
Kompromisslose Lösungen
Das NFP hat auch die Entstehungsbedingungen des Rechtsextremismus untersucht und – wenig überraschend – festgestellt, der Rechtspopulismus habe daran seinen Anteil. Tatsächlich kennt etwa auch der Rechtspopulismus den Wunsch nach radikalen, kompromisslosen Lösungen – und grenzt sich damit von der politischen Mitte ab. Man muss nicht lange nachdenken, bis einem dazu etwa die Ausschaffungs- oder die Minarett-Initiative einfallen.
Nicht minder wichtig aber ist dem Rechtspopulismus die Identitätsfrage: «Das Volk», verstanden als homogene Einheit, zählt – die «schweigende Mehrheit», die «Fleissigen und Tüchtigen». «Das Volk» auch im Unterschied zur abgehobenen «politischen Klasse» oder gar zu den aus rechtspopulistischer Sicht überaus verachtenswerten «Intellektuellen».
Doch es geht nicht nur um das Vertikale: «Ihr da oben, wir da unten». Es geht auch um horizontale Abgrenzung: «Wir» gegen «die Andern», «die Fremden»: «Schweizer wählen SVP!»
Auch wenn die SVP als Bundesratspartei nicht in die rechtsextreme Ecke gestellt werden soll: Spätestens hier steht der Rechtspopulismus so weit rechts, dass ihm auch Extremisten zustimmen können. Es hat eben seinen Preis, wenn die SVP rechts von sich alle anderen nennenswerten politischen Gruppierungen marginalisiert hat. Und es verwundert deshalb auch nicht, dass ihre Rechtspopulisten immer mal wieder an zweifelhaften Veranstaltungen anzutreffen sind. Der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger etwa ist so ein Fall.