Der Bund: Der Mann, der hinter dem Brandanschlag auf die Reitschule stecken soll, inszeniert sich vor dem Bundesstrafgericht als geläuterter Ex-Neonazi. Zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft mag er sich nicht äussern.
Bellinzona
Der Beschuldigte erhebt sich vom Stuhl neben seinem Verteidiger, geht zum Pult in der Mitte des Saals, setzt sich, lässt mit einem schnellen Handgriff den Stuhl hinunter, als wäre er dort schon tausendmal gesessen, lockert kurz die Schultern und verschränkt die Hände auf dem Tisch – dann ist er bereit.
Die Vorwürfe, die die Bundesanwaltschaft gegen den 26 Jährigen aus dem Seeland erhebt, sind happig: Er soll am 4. August 2007 einen selbst gebauten Brandsatz in der Grossen Halle der Berner Reitschule deponiert und mit einem Zeitzünder ausgelöst haben. Ein Besucher machte damals den Sicherheitsdienst auf den nach Benzin stinkenden Rucksack aufmerksam. Ein Security-Mitarbeiter trug diesen darauf nach draussen, wo er sich kurze Zeit später entzündete – Zeugen sprechen von einem mehrere Meter hohen und breiten Feuerball. Die Anklage lautet auf Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht und weitere Delikte.
Er hat nun Haare auf dem Kopf
Der Beschuldigte verkehrte zum Zeitpunkt des Anschlags in der rechtsextremen Szene. Bilder von damals zeigen ihn glatzköpfig mit Waffen und T-Shirts rechtsextremer Gruppierungen posierend. Der Mann, der nun die Bundesstrafrichterin ansieht und geduldig ihre Fragen beantwortet, hat mit dem Mann auf den Bildern scheinbar nichts zu tun. Er hat Haare auf dem Kopf – Locken, mit Gel gezähmt und gescheitelt. Hat die Richterin eine Frage zu Ende gestellt, wartet er einen kurzen Moment, um dann druckreife Sätze ins Protokoll zu diktieren. Weshalb er sich als Vermieter von Tontechnik selbstständig gemacht habe? «Das ist einfach passiert. Ich habe mich schon immer sehr für Musik und Elektronik interessiert. Es ist doch schön, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann.»
Zum entscheidenden Punkt allerdings, zum Anschlag auf das Antifa-Festival in der Reitschule, sagt der Beschuldigte: nichts. Wo er in der Tatnacht gewesen sei? «Dazu möchte ich nichts sagen.» Weshalb die Polizei in seiner Wohnung Waffen, Sprengstoff, Chemikalien und Anleitungen zum Bombenbau gefunden habe? «Dazu möchte ich keine weiteren Angaben machen.» Oft garniert er sein in Worte gefasstes Schweigen mit dem Begriff «eigentlich». Weshalb er nicht nur Gewehre und Pistolen, sondern auch passende Schalldämpfer zu Hause gehabt habe? «Ich habe dazu eigentlich nichts zu sagen.»
Gerne gibt der Beschuldigte aber Auskunft über seine politische Gesinnung. Ja, er habe in der rechtsextremen Szene verkehrt, aber das sei vorbei. Der Mann ist perfekt vorbereitet zur Gerichtsverhandlung erschienen. Und sein Verteidiger stellt ihm die Fragen, die er braucht, um sich als Geläuterter zu präsentieren. Die Geschichte geht so: Er sei in einem kleinen Dorf aufgewachsen und habe oft Probleme gehabt «mit Schülern mit Migrationshintergrund». So habe das eine zum anderen geführt, und er habe sich in den falschen Kreisen nach neuen Freunden umgesehen. Wenn er heute lese, was er damals geschrieben habe, werde ihm übel. Zum Sinneswandel sei es während des Militärdiensts bei den Polizeigrenadieren im Jahr 2009 gekommen. Dort habe er mit dem Armeeseelsorger gesprochen und neue Freunde gefunden. Dass er auch danach noch SMS mit der polnischen Übersetzung für «Blut und Ehre» oder den Worten «Heil Hugo» beendet habe, sei aus Spass geschehen.
Indizien, aber keine Beweise
Das Gericht wird die schwierige Aufgabe haben, ohne Geständnis, ohne Aussagen des Beschuldigten und ohne Beweise ein Urteil fällen zu müssen. Auf den Überresten des Brandsatzes haben die Kriminaltechniker DNA und einen Fingerabdruck des Beschuldigten gefunden, doch es gibt keinen Beweis dafür, dass er es war, der den Rucksack in der Reitschule deponiert hat. Bundesanwalt Martin Stupf bemüht sich in seinem Plädoyer, mit den losen Indizien ein schlüssiges Bild zu zeichnen. Er spricht über das Material in der Wohnung des Beschuldigten, das zu dem passt, aus dem der Brandsatz gebaut war. Er zitiert aus SMS, in denen der Beschuldigte schrieb, es erwarte ihn womöglich «1 Jahr Bau» und er sei ja «selber schuld». Und er liest aus den 260 Einträgen, die der Beschuldigte im Forum des internationalen Neonazinetzwerks Blood and Honour verfasst hat. Der brisanteste von ihnen veröffentlichte er am Morgen nach dem Anschlag, noch bevor die Medien darüber berichtet hatten: «Das versüsst einem den Sonntagmorgen C18 Terrormachine, Sieg Heil mkG Eidgenosse88.» C18 steht für «Kampftruppe Adolf Hitler», 88 für «Heil Hitler». Stupf fordert eine Freiheitsstrafe von vier Jahren.
Verteidiger Beat Luginbühl muss, um seine Anträge zu begründen, wesentlich weniger tief in die Details gehen. «Es gibt zwar Indizien», sagt er, «aber diese ergeben kein klares Bild.» Die DNA-Spuren bewiesen einzig, dass sein Klient mit den Gegenständen in Kontakt gekommen sei. Aus den SMS gingen keine Hinweise darauf hervor, dass sein Klient den Anschlag verübt habe. Dasselbe gelte für die Einträge im Forum. «Der Beweis, dass mein Klient schuldig ist, ist nicht erbracht.» Lunginbühl beantragt einen Freispruch in allen Punkten.
Das Gericht verkündet das Urteil nicht wie geplant heute, sondern am 7. April.