Der Bund. 50 Jahre Überfremdungsinitiative Am 7. Juni 1970 verwarf die Schweiz seine Initiative zur Begrenzung des Ausländeranteils: Wer war James Schwarzenbach? Die grosse Recherche – mit Blick in unveröffentlichte Tagebücher.
Als James Schwarzenbach am Montag nach dem Abstimmungswochenende nach Hause zurückkehrte, bedankte er sich bei der Polizei, dass sie mit Diensthund Rex sein Wohnhaus an der Zürcher Kurstrasse überwacht und so seine Familie geschützt hatte. Er habe jetzt nichts mehr zu befürchten, meinte Schwarzenbach zur Polizei, nach Wochen, in denen er wiederholt Drohungen erhalten hatte. «Freu Dich ja nicht auf ein Ja, denn erleben wirst du es sowieso nicht», heisst es in einem dieser Briefe.
Es wurde ein Nein: James Schwarzenbachs Überfremdungsinitiative wurde von den Stimmberechtigten abgelehnt. Aber die Schweiz war nach diesem Wochenende vor 50 Jahren eine andere: 46 Prozent hatten der Initiative zugestimmt – bei einer Stimmbeteiligung, die mit 74,7 Prozent so hoch war wie seit der AHV-Abstimmung von 1947 nicht mehr. Damit war klar: Die Regulierung des Ausländeranteils hatte ein grosses politisches Potenzial, das für weitere Abstimmungen und Initiativen genutzt werden konnte. Gar für den Aufstieg von Parteien, wie wir heute wissen.
Göttliche Vorsehung?
James Schwarzenbach war Langzeitstudent, ein mässig begabter Autor von Heimatromanen – und ein schwarzes Schaf seiner grossbürgerlichen Familie. Wie hatte ausgerechnet er es geschafft, den Ausländeranteil als ewig wiederkehrendes Thema auf die politische Agenda der Schweiz zu hieven? «Göttliche Vorsehung» war James Schwarzenbachs eigene Antwort: «Zu allem, was ich als gut erkannte, musste ich nur ‹Ja› sagen», schrieb er in einem Rückblick auf sein Leben. «Und dass mir dieses ‹Ja› leichtgefallen ist, wer wollte daran zweifeln.»
Die Gründe für James Schwarzenbachs Erfolg sind profaner Natur – und zugleich äusserst komplex: Wer sie verstehen und wissen will, wofür Schwarzenbach stand, muss in die Archive. Und deren Bestände sind oft lückenhaft, gesäubert oder nach wie vor unter Verschluss – obwohl Schwarzenbach seine eigenen Papiere noch zu Lebzeiten an ein öffentliches Archiv übergeben hatte. «Was ich seit dem Jahre 1936 (…) geschrieben habe, steht ganz einfach unter dem Motto: ‹Mir selber treu› und darf jederzeit ausgegraben werden», heisst es in einem seiner Artikel, mit dem er sich gegen die Angriffe verteidigen wollte, er sei ein Nazi-Sympathisant.
So einfach ist die Sache nicht: James Schwarzenbach hatte nur eine Auswahl seines Archivs der Öffentlichkeit übergeben. Alles vor 1945 fehlt, obwohl es noch zu Lebzeiten existiert haben muss. Etwa jenes umfangreiche Tagebuch, das Schwarzenbach unmittelbar nach der «Machtergreifung» Hitlers eröffnet hatte und das er dann bis Anfang der 40er-Jahre führte. Eine Woche nach Schwarzenbachs Tod im Oktober 1994 zitierte die «Wochenzeitung» (WOZ) aus diesem Tagebuch, das alles enthält, was Schwarzenbach während der Zeit des Nationalsozialismus umtrieb: seine Konversion zum Katholizismus, der Bruch mit seiner Familie, Stellungnahmen zum NS-Regime und sehr vieles, was die Sexualität des jungen Schwarzenbach betrifft. Auch aus den Eintragungen zu Letzterem zitierte die WOZ ausführlich – eine Woche nach James Schwarzenbachs Tod.
Es kam zu einer juristischen Auseinandersetzung; Schwarzenbachs Familie erhielt das Original, eine Kopie des Tagebuchs ging ans Archiv der Zeitgeschichte der ETH Zürich. Seither war es unter Verschluss. «Die Sache ist weiterhin pendent. Ich bitte um etwas Geduld», schrieb der Archivdirektor, als wir das Tagebuch einsehen wollten. Zehn Jahre sind seither vergangen. Dann der Durchbruch vor wenigen Wochen: Wir können das Tagebuch anschauen – und die darin enthaltenen Informationen mit anderen Unterlagen verknüpfen, die wir in Archiven einsahen. Etwa mit den Staatsschutzakten, die von der Forschung nie ausgewertet wurden – und die wir heute erstmals veröffentlichen. So entsteht ein Bild, wie James Schwarzenbach in den Jahren der Nazi-Herrschaft mehrfach ins Stolpern und Straucheln gerät, Haken schlägt – und mit der Überfremdungsinitiative von 1970 schliesslich zum ersten rechtspopulistischen Polit-Star der Schweiz avanciert.
«Die Schweiz den Christen!»
Die Eckdaten von Schwarzenbachs Biografie sind bekannt: Er entstammte einer grossbürgerlichen Familie, die es in der Seidenindustrie zu Vermögen bringt. 1927 starb die Mutter, eine geborene von Muralt, da war James Schwarzenbach 16 Jahre alt. Halt fand er im Glauben: Im Februar 1933 konvertierte er zum Katholizismus – gegen den Widerstand seiner protestantischen Familie. «Gott mein Herr, nimm mir mein Geld und verteile es unter die Armen», heisst es zu dieser Zeit in seinem Tagebuch. «Führe meine Familie doch auch zu dieser Einsicht und gib, dass auch sie Dich erkennen und lieben in Deiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit.»
Seine Konversion zum Katholizismus zog Schwarzenbach in den Nachkriegsjahren wiederholt als Beweis heran, dass er kein Nazi gewesen sein konnte. «Für einen Konvertiten, der diesen Schritt aus Überzeugung getan hat, konnte es ein Paktieren mit dem christenfeindlichen Nationalsozialismus nicht geben», heisst es in seinen Memoiren.
War es so? Tatsächlich veröffentlichte Schwarzenbach in den 30er-Jahren Zeitungskommentare, die dieser Position entsprechen: «Die Schweiz den Schweizern!», schreibt er im Oktober 1935, «so lautet die Parole der Fronten und Bünde, durch welche sie unsere Heimat zur Gesundung zurückzuführen hoffen.» Grundsätzlich sei nichts gegen die Slogans der Schweizer Faschisten einzuwenden. «Aber dieser Ruf ist vieldeutig und damit gefährlich. Wir wünschen Klarheit, Eindeutigkeit. Die Schweiz den Christen! Unter diesem Ruf lässt sich marschieren». So James Schwarzenbach im Oktober 1935 in der «Entscheidung», einer Zeitung der katholischen Studentenschaft.
Schwarzenbachs radikaler Katholizismus macht ihn offen für antisemitische Positionen: «Die Schweiz den Schweizern», «Use mit de Jude» und «Juda verrecke» wird im November 1934 während einer Aufführung des antifaschistischen Kabaretts «Die Pfeffermühle» in Zürich gerufen. Es kommt zu einer Saalschlacht, Mobiliar geht zu Bruch. Das Signal für diese «Lärmszenen» habe James Schwarzenbach gegeben, heisst es in einem Polizeibericht. Schwarzenbach wurde verhaftet und mehrfach verhört. Die Krawalle ‹begründete› er damit, «dass es nun Zeit sei zu zeigen, dass für Emigranten und Juden, die das Gastrecht missbrauchten, in der Schweiz kein Platz sei».
In diesem Zusammenhang wird auch aktenkundig, was er später immer bestreiten wird: dass er zeitweilig Mitglied der Schweizer Frontisten war. «Fröntler und dergleichen war ich nie», schreibt er 1980 in einem Memoiren-Buch. In der Aussage gegenüber der Polizei aber erklärte Schwarzenbach, er sei zwar nicht mehr bei der Front, «ich war einmal dabei und bin vor ungefähr 1¾ Jahren ausgetreten. Das geschah auf Wunsch meines Vaters.»
James Schwarzenbach kam mit einem blauen Auge davon: Nach einer erneuten Prüfung, in der er geltend machte, dass es sich bei den Krawallen um eine «familiäre» Angelegenheit gehandelt hatte – James Schwarzenbachs Cousine Annemarie war eng mit Erika Mann befreundet –, fasste das Bezirksgericht Zürich das Urteil, dass Schwarzenbach «nach Massgabe der Untersuchung nicht mehr als Veranstalter der Störung der Vorstellung in Betracht» käme. Seine Busse wurde deshalb von ursprünglich 50 auf 30 Franken reduziert.
Wie hatte er es mit Hitler?
Vom Antisemitismus wird sich Schwarzenbach nie distanzieren. Im Gegenteil: 1952 übersetzte er Douglas Reeds «Der grosse Plan des Anonymen», das in Deutschland verboten war – und den Schweizer Behörden als «Abklatsch» der «Protokolle der Waisen von Zion» auffiel. Im Vorwort zu Schwarzenbachs Übersetzung frohlockt Reed, dass sein Buch nun doch noch auf Deutsch erscheinen konnte, wenn auch in der Schweiz: Von einem «prickelnden Vergnügen» und einem «breiten Lachen», das über sein Gesicht geht, ist da die Rede. Der Bundesrat wurde auf Reeds Buch aufmerksam, aber die Schweizer Behörden liessen Schwarzenbach gewähren. Auch später, als in seinen Fichen wiederholt Kontakte mit dem Westschweizer Holocaust-Leugner Gaston-Armand registriert wurden.
Nachdem er wegen seiner Artikel mit dem Bistum Chur aneinandergeraten war, überwarf sich James Schwarzenbach im Frühjahr 1937 auch noch mit seinem Doktorvater an der Universität Zürich – mutwillig, wie er selbst in seinem Tagebuch einräumt. Er wechselte darauf in die Westschweiz, wo er an der Universität Freiburg auf den Mann traf, der seinem politischen Profil entscheidende Akzente hinzufügen wird: Gonzague de Reynold, der offen für Mussolini und Salazar einstand und den Schweizer Liberalismus mit einer autoritären Regierung zu versöhnen versuchte – mit einem föderalistischen Staatskonzept unter Führung eines Landammanns.
Schwarzenbach sympathisiere mit dem Nationalsozialismus, heisst es in einem Polizeibericht von Mitte Juni 1939, wenige Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: «Er scheint ein grosser Bewunderer Hitlers zu sein.» Zudem wohne Schwarzenbach in Freiburg mit einem italienischen Faschisten zusammen. Die Polizei überwachte das Telefon, aber der Verdacht, Schwarzenbachs WG könnte eine Art faschistische Zelle sein, erhärtete sich nicht.
Annexion als barbarischer Akt
In den Fichen sind «eingehende Berichte» über James Schwarzenbachs Beziehungen mit einem deutschen Nazi-Agenten namens Willy Kaelberer vermerkt; die Berichte haben sich im Bundesarchiv nicht erhalten, sie sind verloren, wurden verlegt oder vernichtet. Wie also hatte es Schwarzenbach mit den Nazis? In seinem Tagebuch gibt es Passagen, in denen er sich ganz entschieden gegen die Nazis positioniert. Etwa nach der Annexion Österreichs, die Schwarzenbach als barbarischen Akt und eine Niederlage für das europäische Christentum empfand; die Schweiz müsse sich nun als wehrhaft erweisen – auch geistig, also intellektuell.
Aber Ende Juli 1940, als die Nazis in Paris einmarschiert waren und die Schweiz von den Achsenmächten umzingelt war, erscheint in den «Basler Nachrichten» ein Artikel von James Schwarzenbach, der das Gegenteil auszusagen scheint: Von der «Mission der jugendlichen Revolutionsarmeen Hitlers und Mussolinis» ist darin die Rede, die «das aufgelöste und zerfallene Europa in einer neuen und dauernden Ordnung» nun festigen würden. Ausserdem schreibt Schwarzenbach von unvermeidlichen «Änderungen unserer bisherigen Gepflogenheit», auch von einem «Bruch mit der Vergangenheit» und einer Anpassung des «Rhythmus unseres politischen Lebens dem Rhythmus unserer Nachbarstaaten».
Seit James Schwarzenbachs Artikel im Juli 1940 erschien, wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, ob er sich den Nazis gemein gemacht hatte. Selbst die Bundesanwaltschaft vertrat in einem ihrer Berichte die Ansicht, dass einige Sätze aus Schwarzenbachs Juli-Text wohl kaum anders verstanden werden konnten «denn als eine Aufforderung zu weitgehender Anpassung unserer Institutionen an das Regime der damals siegreichen Diktaturen». Dennoch kommt es zu zahlreichen Prozessen – und Schwarzenbach kann in die Waagschale werfen, dass in seinem Artikel auch die «schweizerische Kulturkraft» und «geistige Sendung» gelobt werde. Und dass die Schweiz «weder in der Gesinnung noch in der Verfassung einer grundlegenden Revision» bedürfe. Von einem «schillernden Artikel» spricht das Basler Strafgericht – und verurteilt 1948 erstmals einen Journalisten, der Schwarzenbach einen «Anpasser» genannt hatte.
«Es gibt überhaupt keine Zensur»
Sicher ist: Schwarzenbach hatte grosse Sympathien für das Franco-Regime. Anfang 1946 reiste er als Reporter nach Spanien: «Von Terror ist wirklich nichts zu spüren, und die Gerüchte von Massenverhaftungen und Partisanenaktionen sind frei erfunden», schreibt Schwarzenbach in einem Brief aus Madrid. «Wir Journalisten beispielsweise haben die Möglichkeit, absolut frei im ganzen Laden herumzureisen und uns alles anzusehen. Zensur gibt es für uns überhaupt keine.»
James Schwarzenbachs Franco-treue Ergebenheit wurde belohnt: 1947 erhielt er den Orden de Isabel la Católica für sein journalistisches Engagement. Die Schweizer Vertretung in Madrid informierte die Behörden in Bern darüber. Und die machten deutlich, dass Schwarzenbach als Oberstleutnant der Schweizer Armee keine fremden Orden entgegennehmen dürfe, so stehe es in der Bundesverfassung. Schwarzenbach gab den Orden nur ungern zurück: Nachdem er sich erkundigt hatte, «welche Sanktionen» die Schweizer Armee ergreifen könnte, hinterlegte er die Auszeichnung in der Schweizer Botschaft in Madrid.
«Wie doch die Zeit flieht», schreibt Schwarzenbach im November 1940 in seinem Tagebuch. «Hitler ist Herr Europas, und die Heimat geht furchtbaren Gefahren entgegen.» Einen Lichtblick erkannte Schwarzenbach nur darin, dass die Nazis noch nicht in England gelandet waren «und es ihnen wohl auch in Zukunft nicht gelingen wird. Aber wie wird das Leben auf dem Kontinent? Hier muss Gott helfen, und wir Christen müssen im Vertrauen auf Ihn unentwegt und mutig arbeiten.» Eine solche Besinnung ist für Schwarzenbach zentral, nicht nur in religiöser, sondern auch in politischer Hinsicht: Bereits nach dem «Anschluss» Österreichs hatte er auf eine «schweizerische Eigenart» gepocht. Sie war ihm auch nach dem Krieg eine Art politische Zauberwaffe, mit der er allen Gefahren und Ängsten Herr werden wollte, die er selbst mit dem Begriff der «Überfremdung» schürte.
Selbst für Linke attraktiv
Verbunden war bei Schwarzenbach mit der «schweizerischen Eigenart» eine mythische, antimoderne Vorstellung der Schweiz. Damit wurde er selbst für Linke attraktiv: In einem Vortrag von 1973 erklärt er, die Schweizer lebten «in einer getarnten Wirtschaftsdiktatur», die gesamte Innen- und Aussenpolitik richte sich nach ihr. Daher gelte es, «die Macht der Wirtschaft zu brechen und auf das richtige Mass zurückzudrängen». Als es am 7. Juni vor 50 Jahren zur Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative kam, war ein Grossteil der Gewerkschaften auf seiner Seite.
James Schwarzenbach war wohl der erste rechtspopulistische Politiker der Schweiz, der verstanden hatte, wie man Türen zu verschiedenen politischen Lagern öffnet, selbst zu radikalen Rechten, ohne selbst jenen Extremen zugerechnet werden zu können, welche die Schweizer Demokratie direkt bedrohen könnten: In seinen letzten Jahren als Politiker wurde Schwarzenbach vom Schweizer Fernsehen gefragt, ob er sich als Faschist bezeichnen würde. «Nein, ein Schweizer kann kein Faschist sein.» Die Schweiz sei eine Demokratie. «Aber wenn Sie in Spanien leben würden?», hakt der Reporter nach. «Dann wäre ich wahrscheinlich einer», antwortet Schwarzenbach.
James Schwarzenbach starb im Oktober 1994, begraben ist er in St. Moritz. Sein Name wird wohl auf immer mit dem Schweizer Rechtspopulismus verbunden sein. Aber auch mit dem faschistischen Franco-Regime: Auf seinem Grabstein ist unmittelbar unter dem Namen und den Lebensdaten vermerkt, dass er Träger jenes spanischen Ordens war, den er 1947 widerwillig zurückgab.
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