Der Bund; 25.10.2013
Einer schweizerisch-deutschen Rechtsextremenzelle werden Attentatspläne auf eine israelische Botschaft vorgeworfen. Auch über Nagelbomben soll sich die Gruppierung ausgetauscht haben.
Wären den Worten Taten gefolgt, hätte die Bundesrepublik ein Blutbad sondergleichen erlebt. Neonazis sollen gemäss Justizunterlagen, die dem «Bund» vorliegen, gemeinsam ein «Werwolf-Projekt» verfolgt haben. Ihr angebliches Vorhaben: «der bewaffnete Kampf gegen die GmbH Deutschland». Das unerreichte Ziel: «Nach erfolgreichem Kampf» sollte ein «schwarzer Orden – offensichtlich ein Synonym für die ehemalige SS – wiederbelebt werden». Dies schreibt, gestützt auf Angaben deutscher Ermittler, die Rechtshilfeabteilung der Zürcher Staatsanwaltschaft. Sie unterstützt den Generalbundesanwalt in Karlsruhe in einem Terrorverfahren, das sich gegen einen Schweizer Rechtsextremen sowie einen jungen Holländer und zwei deutsche Gleichgesinnte richtet.
Das Quartett wird der «Weissen Wölfe Terrorcrew» zugerechnet, einer rechtsextremen Gruppierung in Norddeutschland. Beschuldigt werden aber auch zwei weitere Schweizer, beides Bekannte des mutmasslichen Haupttäters Sebastien N. Einer davon ist wegen Betrugs in der Ostschweiz inhaftiert. Dieser, ein 40-Jähriger, hat gemäss den Justizunterlagen mit Hitler-Verehrer N. «konkret über Personen geredet, die aus dem Weg geräumt werden sollten». Für den Beschuldigten ist dies «alles Schwachsinn», ein «Hirngespinst». Das hätten, findet der Häftling, auch die Justizbehörden frühzeitig merken müssen – spätestens als sie die neunköpfige Regierungsliste eines totalitären Deutschlands studierten. Dort tauchen der Häftling und andere, die mit Rechtsextremismus nichts zu tun haben, auf.
Neonazis waren «schockiert»
So unrealistisch die grosse Verschwörung vor diesem Hintergrund erscheint, so grausam müssen die Pläne gewesen sein. Sogar innerhalb der «Weissen Wölfe Terrorcrew» in Hamburg ist man – gemäss Akten – darüber «schockiert gewesen». Sebastian N. soll dort erzählt haben, er plane einen Anschlag auf eine – nicht näher bezeichnete – israelische Botschaft. Der heute 26-Jährige habe auch gesagt, er wolle Nagelbomben einsetzen. Sebastien N. ist nicht nur ein Mann der Worte: Er wartet derzeit in einem Zürcher Gefängnis auf seinen Prozess wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Im Niederdorf soll er im Mai 2012 einen anderen Rechtsextremen angeschossen haben.
Doch wie konkret waren die Umsturz-, Attentats- und Liquidierungspläne? Zur Klärung dieser Fragen wurde grosser Aufwand betrieben. Es gab Telefonkontrollen und Observationen. Der Ertrag scheint bescheiden. In Deutschland, Holland und der Schweiz war es am Morgen des 17. Juli zu von langer Hand geplanten Hausdurchsuchungen und Verhören gekommen. Medien berichteten breit über die bestens koordinierte Behördenaktion («Bund» vom 18. Juli). Doch es gab keine einzige Verhaftung. Das ist wenig für einen angeblichen Umsturzversuch.
Die Berner, die Aargauer, die Ausserrhoder, die Zürcher und die Solothurner Polizei sind zum Teil mehrfach ausgerückt. Das Umfeld von Sebastien N. wurde befragt, darunter ein deutscher Koch, inhaftiert im Zürcher Gefängnis Pöschwies, und eine junge Solothurnerin, die kurz im Vorstand der Basler Sektion der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) aktiv war. Das Büro und das Wohnhaus des dritten Schweizer Beschuldigten, ein Informatiker und Tanzlehrer aus Baden, ist auf den Kopf gestellt worden. Die deutschen Behörden hatten den Schweizer Kollegen weisgemacht, der 54-Jährige sei «in der rechten Szene sehr bekannt». Dem ist aber laut Experten mitnichten so. Dies deckt sich nun mit Zeugenaussagen: Ein Bekannter, ein Lehrer, hat auf dem Aarauer Polizeiposten von einer harmlosen, ja ausgesprochen höflichen und unpolitischen Person erzählt. Der Informatiker und Tanzlehrer hatte Ende 2011 Sebastien N. kurz angestellt. «Mein ehemaliger Praktikant», sagt der Beschuldigte aus Baden, «hat mich hintergangen und ausgenutzt.» Die Beiden sollen gemäss deutschen Ermittlern ein Verschlüsselungsprogramm entwickelt haben. Die Software soll Sebastien N. auf dem Computer eines Mitbeschuldigten in Norddeutschland installiert haben: bei Denny R. Dort fand am 2. März 2012 – wegen anderer Vorwürfe – eine Hausdurchsuchung statt. Fahnder stiessen auf dem PC auf Dateien mit Namen wie freieredebox.werwolf.info.ink. Die Entschlüsselung scheiterte. Ein Zertifikat zur Authentifizierung führte zu einer kleinen Firma im Aargau – und zum Informatiker und Tanzlehrer. Dessen Festplatten – darunter dem Vernehmen nach auch Elektroschrott – wurden im Juli beschlagnahmt. Seither werden sie ausgewertet.
«Keine Hinweise» auf Terror
Analysiert worden sind der sichergestellte Computer und die Playstation-Speicherkarte des Häftlings aus der Ostschweiz. Das Resultat ist für die Ermittler ernüchternd. Die «Auswertung der Datenträger», so hat die Zürcher Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten kürzlich mitgeteilt, habe «keine Hinweise auf eine Gründung oder Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung» ergeben. «Wir erlauben uns deshalb, den für Sie entlastenden Bericht an die deutschen Behörden zu übersenden.»
Dossier: Die «Weissen Wölfe» www.weissewoelfe.derbund.ch