«Der 25.6. ist der wichtigere Tag»

Der Bund

1. AUGUST / 1600 Pfadis aus 24 Nationen feierten gestern in Interlaken – mit Moritz Leuenberger, 60 Skins und einem Winzer.

* HEIDI GMÜR

Wann ihr Nationalfeiertag sei? Die drei 14- bis 15-jährigen Mädchen wenden sich an die 25-jährige Andrea Kovacevic, die eben unter die schattenspendende Zeltblache tritt. «Wir feiern am 25. Juni», sagt sie. Die Fahnen aber würden bereits am Tag davor gehisst. Und eigentlich hätten sie ja zwei Tage, an denen sie feiern, am 26. Dezember und am 25. Juni. «Im Dezember 1990 haben wir für die Unabhängigkeit gestimmt, im Juni 1991 wurde die Unabhängigkeit proklamiert», erklärt Andrea. «Ich glaube aber, der 25. Juni ist der wichtigere Tag.» Die vier Frauen stammen aus Slowenien. «Unser Land ist erst 10-jährig, darum ist die Unabhängigkeit am 25. Juni bei uns meist auch ein Thema», sagt Andrea. Sonst aber würden sie ihn feiern wie eine «normale Party», mit Freunden, Pfadfindern meist, mit Feuerwerk und Lagerfeuer.

Mehrere «Nationalfeiertage»

Es ist der 1. August, früher Nachmittag, die Sonne brennt unerbittlich auf den Militärflugplatz Interlaken, den seit einer Woche 1600 Pfadfinder und Pfadfinderinnen aus 24 Nationen bevölkern. Danica Briffa spült vor ihrem Zelt gerade das Mittagsgeschirr. Sie kommt aus Malta. «Wir haben nicht nur einen Nationalfeiertag», sagt die 17-Jährige. Als Unabhängigkeitstag gelte wohl der 21. September, da feierten die Nationalisten die Unabhängigkeit von England. «Andere aber feiern an anderen Tagen», sagt Danica. Sie interessiert das Thema nicht: «Alles hängt von der Politik ab – und ich hasse Politik.» Dafür aber habe sie an diesen Feiertagen frei, was ja gar nicht so schlecht sei.

«So etwas wie ein Patron»

Hundert Meter von Danicas Zelt entfernt liegen drei Schottinnen im Schatten, traditionell bekleidet mit Schottenröcken – «weil wir am Abend einen schottischen Tanz vorführen werden», sagt Lindsey Anderson. Ein Tanz, wie er auch am 30. November aufgeführt wird. Dann nämlich, sagt die 16-jährige Pfadfinderin, sei Andreas-Tag «und es gibt tolle Feuerwerke». Frei habe man an diesem Tag allerdings nicht. «Was der heilige Andreas getan hat für Schottland, das weiss ich nicht», gibt sie freimütig zu und schmunzelt – er sei aber «so etwas wie ein Patron», ein Schutzheiliger von Schottland. Was die Schweiz heute, am 1. August, feiert, wissen Andrea, Danica und Lindsey nicht so genau. Auf das Fest am Abend aber freuen sie sich, auch auf den Besuch von Bundespräsident Moritz Leuenberger. Gegen 16.30 finden sich die ersten Pfadis vor der grossen Bühne ein, ein Bläserquartett übt ein paar Takte. Zwei ältere Frauen suchen sich ein gutes Plätzli auf den Holzbänken. Sie kommen extra aus Olten, um den Bundespräsidenten zu hören. «Wir haben im Radio gehört, dass er hier spricht», sagt Elisabeth Schenker.

Aufmarsch von Neonazis

Und während sich der Platz füllt, sich die Pfadis aus aller Welt ins Gras setzen, Einheimische und geladene Gäste sich auf den Bänken niederlassen, zieht am anderen Ende der Flugpiste eine Wagenkolonne die Aufmerksamkeit auf sich. Den Autos entsteigen rund 60 Neonazis, Männer und Frauen, eine Schweizer Fahne wird in die Höhe gestreckt, Berner Kantonspolizisten nehmen ihre Personalien auf. Kurze Zeit später trifft von der anderen Seite her die Delegation mit Moritz Leuenberger ein. Nein, er sei selber nie in der Pfadi gewesen, erklärt er einem Fernsehreporter. Der Grund, warum er diesen Ort für eine Ansprache ausgewählt habe, sei vielmehr, dass dies ein internationales Lager sei mit jungen Leuten.

Pfadis übertönen Skins

Zwanzig Meter neben dem Bundespräsidenten marschieren die Skinheads nun Richtung Bühne. Leuenberger gibt sich unbeeindruckt:«Wenn sie meine Rede mithören wollen, ist das gut. Solange sie nur mithören.» Dabei aber bleibts dann freilich nicht. Während Leuenberger vor den Pfadis von Globalisierung spricht, von Umweltschutz und einem Leben in Würde und Sicherheit auf der ganzen Welt, skandieren die Neonazis immer wieder Parolen, pfeifen und buhen – allerdings kaum hörbar: Mit Applaus, mit Liedern übertönen die 1600 Pfadis die Zwischenrufe und erheben sich dann kurzerhand, um den Skinheads die Sicht auf die Bühne zu verdecken, bis diese schliesslich von dannen ziehen. Und nachdem sich Leuenberger einige Darbietungen der Pfadis angeschaut hat, findet er auch noch die Zeit, einen Winzer anzuhören, der mit dem Traktor aus Satigny angereist ist, um ihn auf die Probleme der Weinbauern aufmerksam zu machen.