St. Galler Tagblatt vom 20.03.2012
Die Verhandlung gegen einen jungen Mann, der im September an einer unbewilligten Demonstration gegen Rechtsextreme teilgenommen haben soll, löste eine politische Debatte aus.
MARCO KAMBER
RHEINECK. Es ist ein ruhiger Montagmorgen. Drei Polizisten stehen am Rheinecker Bahnhof. Sie erwarten den Regionalzug von St. Gallen, mit dem kurz vor 10 Uhr eine Gruppe aus dem Umfeld der antifaschistischen Szene ankommt.
Begleitet von Bahnpolizisten steigen rund 30 Leute aus. Zu Fuss gehen sie zum nahen Rathaus. Dort findet die Gerichtsverhandlung gegen einen jungen Mann statt, der im vergangenen September in Widnau und Diepoldsau an einer unbewilligten Kundgebung gegen Rechtsextreme teilgenommen haben soll. 43 Personen wurden damals verzeigt. Rund die Hälfte hat das Urteil vom Untersuchungsamt Altstätten nicht akzeptiert und wurde nun vor Gericht geladen. Bis gestern haben allerdings die meisten ihre Einsprachen wieder zurückgezogen.
Voller Gerichtssaal
«Ich will, dass es friedlich bleibt», appelliert ein Polizist an die Personen vor dem Rheinecker Rathaus. Anwohner schauen aus den Fenstern auf den Rathausplatz. Citro und Mineral werden verteilt, Transparente aufgehängt: «Kriminell ist, wer den Faschismus schützt».
Zwanzig Leute dürfen der öffentlichen Verhandlung beiwohnen, für die andere Hälfte ist der Saal zu klein. Der Angeklagte soll am 10. September in Widnau und Diepoldsau an der unbewilligten Demonstration gegen die rechtsextreme Organisation «Europäische Aktion» teilgenommen haben.
Zudem soll er unerlaubterweise mit anderen über einen Zaun geklettert sein, auf den Vorplatz des Rheinunternehmens. Diese kantonale, öffentlich-rechtliche Anstalt verzeigte ihn schliesslich wegen Hausfriedensbruch.
«Verdienst der Polizei»
Entsprechend sehen die Anträge des Staatsanwalts aus: Er plädiert auf eine Schuldigsprechung sowie eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs zu einer bedingten Geldstrafe von 600 Franken. Zudem soll der Angeklagte mit 1000 Franken gebüsst werden, weil er an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen haben soll.
«Die freie Meinungsäusserung ist in der Demokratie essenziell. Auch ist es nachvollziehbar, wenn man sich gegen Faschismus äussert. Man muss sich aber an die Regeln halten und eine Bewilligung dafür einholen», so der Staatsanwalt. Seine Anträge bekräftigt er mit Verweis auf Gegenstände, die den Demonstranten in Diepoldsau abgenommen wurden. Sie liegen auf dem Tisch im Gerichtssaal: Fahnenstöcke, Pfeffersprays und Feuerwerkskörper. «Es ist das Verdienst der Polizei, dass es nicht zu Schlimmerem gekommen ist», betont der Staatsanwalt in seinem Plädoyer zweimal.
«Keine Beweise»
Darauf kontert der Verteidiger: «Diese Gegenstände haben nichts mit dem Verfahren zu tun.» Es sei nicht zu gewaltsamen Ausbrüchen gekommen. Auch streitet er ab, dass sein Mandant an einer unbewilligten Demonstration teilnahm oder wissentlich Hausfriedensbruch begann. «Für diese Anschuldigungen liegen keine Beweise vor, wie etwa Fotos», so der Verteidiger. «Das Einzige, was feststeht ist, dass er auf dem Areal des Rheinunternehmens festgenommen wurde.» Gemäss ihm handle es sich um ein Musterbeispiel, bei dem im Schnellverfahren eine Verurteilung verfolgt werde, ohne dass Beweise für die individuelle Tat vorliegen.
Urteil noch offen
Nach einer Stunde ist die Verhandlung vorbei. Auf ein Urteil muss der Angeklagte noch bis zum 30. März warten. Zuerst müssten die restlichen Verhandlungen – sofern die übrigen Angeklagten ihre Einsprachen nicht zurückziehen – abgehalten werden.
Zwanzig Leute dürfen der öffentlichen Verhandlung beiwohnen, die andere Hälfte rollt Transparente auf und wartet vor dem Rathaus