Deborah Lipstadt, Historikerin an der Emory

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University in Atlanta, Georgia, hat ein Buchverfasst, das Leugner des Holocaust beschreibt,darunter auch den Briten David Irving. Wer inLipstadts Forschung eine prominente Rollebekommt, hat als ernst zu nehmender Historikerausgespielt. David Irving aber ist fest entschlossen,ein ernst zu nehmender Historiker sein. Nicht alsneurotischer Leugner, sondern als wichtiger Zeugemöchte er bestehen: Vieles wisse er besser alsseine ganze Zunft.

Mithin sollen Lipstadt und der Verlag Penguin BooksStrafe zahlen, sie sollen zurücknehmen, was sieüber ihn verbreiten, dass er das Grauen vonAuschwitz leugnet, dass er Tatsachen verfälscht,getrieben von antisemitischen Motiven. Der Prozessist für David Irving, der ohne Anwalt erscheint undsich selbst vertritt, Show und Showdown,Genugtuung und Lebensgefahr – bereits jetzt werdendie Kosten für die bizarre Begegnung vor Gericht aufelf Millionen britische Pfund (rund 35 MillionenMark) geschätzt. Der in rechtradikalen Kreisengeschätzte Irving lebt angeblich von drei- bisviertausend Spendern, eine düstere Gemeinde, dieihrem Vordenker Archivarbeit und ein Haus imfeinen Londoner Viertel Mayfair finanziert, wo ermit Frau und vier Kindern wohnt.

Ein Kampf gegen alle Welt
Seit mehr als dreißig Jahren vergräbt sich derAutor in Akten des „Dritten Reiches“, er besuchteWitwen von Nazi-Funktionären, las Nazi-Tagebücherund kann „Einsatzgruppenleiter“ oder „Ribbentrop“fast akzentfrei aussprechen. Als Hobby-Historikerohne Universitätsabschluss warf er weit mehr alszwanzig Bücher auf den Markt, seine Homepage imInternet feiert ihn als Pionier. Die Essenz seinerSchriften lautet: Der Holocaust war nicht soschlimm wie behauptet, eine Weltverschwörung derJuden macht Auschwitz grausamer, als es war, dieGaskammern dienten der Entlausung, nicht derErmordung von Menschen. Besessen vertieft er sichin Details, errechnet, wie viele Leichen pro Stundeund Tag überhaupt hätten verbrannt werden können,behauptet, dass „The Reich“ niemals vorhatte, dieJuden zu vernichten, schon gar nicht Hitler selbst.Es gebe keinen „Führerbefehl“ zur „Endlösung“.

David Irving, Jahrgang 1938, bekämpft alle Welt, erhat seinen Frieden allein mit dem Krieg gemacht.Der erscheint ihm plausibel, nämlich alsmilitärische Kampagne wider „Bolschewiken“ undJuden: „Die meisten Mitarbeiter des NKWD warendoch Juden!“

Aber in England, auf dem Eiland der Fairness, darfso einer reden, darf einer so reden. Im Royal Courtof Justice, einer weltlichen Kathedrale, in Höfenmit hohen, neogotischen Deckengewölben, darfverhandelt werden, was ein Richter in den USAnicht mal anfassen würde, staunt einamerikanischer Anwalt, der als Tourist auf dieZuschauerbank im Verhandlungssaal fand. Die Bänkesind voll, draußen auf dem Flur warten Zuschauer,wenn einer geht, lässt die Gerichtsdienerin einenanderen ein. Einige ältere Herren mit Kipa kommenhierher, auch ein paar Verwandte von DeborahLipstadt aus den USA und aus Israel. Sie bezeugenSolidarität für die Kusine und besuchen abendsKonzerte in London, sie lächeln freundlich, zeigensich wenig beeindruckt von dem absurden Spektakel.

Dann sind da die „Prozessrentner“, agile Senioren,die von Court zu Court pilgern. „Hello, love“, grüßtdie alte Dorothy ihren Freund Jeremy. „Gehst dudanach noch zum Pinochet-Case?“ Vor den Toren desGerichts haben sich Demonstranten aus Chileversammelt, wütend über den Innenminister, derden Diktator für prozessunfähig erklärt hat. Ob dieärztlichen Gutachter korrekt vorgingen, wird jetztverhandelt. Pensionär James, in abgeschabtemTweed, will lieber noch beim „Spice-Girl-Case“vorbeischauen, da geht es um Sponsoren-Betrug.Vom „Irving-Case“ ist James sehr angetan: „DerPozess ist ein Triumph für die Demokratie! DieserMann darf bei uns reden, und er wäre doch dreimalso gefährlich, wenn er’s nicht dürfte.“ Strahlendsagt er noch: „Ist der Richter nicht einfachgroßartig?“ Er packt seine Plastiktüte und eiltweiter durch die heiligen Gemäuer des Gerichts.

Die Hautfarbe der Cricket-Spieler
Richter Justice Gray muss ganz allein entscheiden,ob hinter Irvings Darstellungen einVerleumdungswille steht, ob er vorsätzlichTatsachen verdreht. Umgeben von Beweismaterialund Hunderten von Prozessakten, davon vieles aufdeutsch, hört sich der Richter stoisch an, was etwaHistoriker im Zeugenstand im Kreuzverhör mitIrving vortragen. Selten greift Gray ein, oftverteidigt er das Recht des Klägers, Fragen zustellen, die Ramptons Team für unzulässig hält. Inraren Momenten blitzt seine Ungeduld auf, wennetwa Irving dem Zeugen dessen Definition vonAntisemitismus abpressen will oder sich in hitzigeDebatten um andere Historiker verfitzt: „Ich bin bisjetzt sehr nachsichtig mit Ihnen gewesen“, sagt erseelenruhig, „vielleicht bin ich etwas zu nachlässig.Bitte kommen Sie zur Sache, wir verlierenwertvolle Zeit.“ Irving atmet schwer. Er müssenachweisen, dass andere Historiker ihn schätzenoder dass andere weniger sorgfältig sind als er. DerRichter seufzt. „Also gut, fahren Sie fort.“

Aus einem Aktenordner löst David Irving eine ReiheBlätter heraus, Farbkopien privater Fotos.“Haitianer oder Schwarze, sehen Sie, dass dieoffenbar in meinem Büro sitzen und ganz zufriedenaussehen?“ Er reicht die Fotos dem Zeugen RichardEvans. Der britische Zeithistoriker macht ausseinem Ekel vor dem Kläger keinen Hehl. Neulich hatIrving erklärt, es sei ihm dabei unwohl, wenn einSchwarzer in England sein Ticket überprüft undwenn Schwarze für England Cricket spielen. „Da binich altmodisch“, sagte er harmlos.

Anwalt Rampton erhebt sich indigniert. „Was tut eszur Sache, welche Hautfarbe Mister IrvingsDienerschaft hat?“ Gleichwohl, der Richtergestattet einen kurzen Blick auf die Bilder. „Moveon, das sind keine Fortschritte“, bittet er. Evanswendet den Blick vom Kläger weg zu Justice Grayoder zu den Akten, er blättert, eine Hand in derHosentasche. „Finden Sie meine Arbeiten gutrecherchiert und geschrieben?“, fragt Irving ihn.“No“, erwidert Evans, knapp, als ob er eine Türzuknallt.

Immer wieder versucht Irving, das Gericht in einSeminar zum Historikerstreit zu verwandeln. WollteHitler die Juden nicht einfach nur nach Madagaskardeportieren? fragt er den enorm gesammelten undzurückhaltenden Historiker Christopher Browning,der als Zeuge der Beklagten geladen ist. „Das hättensie kaum überlebt“, gibt Browning mit mildemSarkasmus zurück. Aber genug Platz für sie hätte esdort gegeben, faucht Irving, da lebten heute 16Millionen, damals eine Million Menschen. Wiederseufzt der Richter. Rampton wirft ein, hier sei keinProzess um die Geschichte, sondern einer um“Mister Irvings state of mind“, seinenGeisteszustand. Nur mühsam kann Irving dasauseinander halten: Prozess und Geschichte, seineeigene Emotion und die Forschung, Gegenwart undVergangenheit, den Zustand des Klägers und den desBeklagten. Für ihn ist der Prozess existenziell.Sobald er glaubt, Punkte gemacht zu haben, dreht ersein gerötetes Gesicht kurz zum Publikum, um dieReaktion derer zu kontrollieren, die hinter seinemRücken zuhören und manchmal leise auflachen. Mitder tiefen Furche über der Augenwurzel, seinerhölzernen Körpersprache und der drohenden Gestik,ähnelt Irving eher einem erzrepublikanischenProvinzpolitiker als dem feinen Historiker, der zusein er vorgibt und dessen Bücher „in der Bibliothekvon Harvard stehen!“

Lipstadt, die weder hier aussagen wird, noch mitIrving und anderen Leugnern des Holocaust jemalsöffentlich spricht, folgt seinen Wortkaskaden undseinem Mienenspiel mit gefestigter Skepsis. DieserMann zwingt sie und andere, tagelang, wochenlangArtefakte aus der Werkstatt schwerster Neurosenauseinander zu nehmen. Was immer denRevisionisten bewegt, die Rache am eigenen Vater,der in der Royal Navy gegen Deutschland kämpfteund Mutter und Sohn verließ, oder schlicht dumpferRassismus, getarnt unter akribischerMilitaria-Forschung, es beansprucht hier im RoyalCourt die Zeit von Dutzenden von Menschen, dieBesseres zu tun hätten, als sich die zwanghaftenAusführungen anzuhören.

Der einzige Trost ist, dass die Ungeheuerlichkeitder Behauptungen dieses Klägers kaum plastischwird. Vom Unrechtsbewusstsein für denMassenmord, vom individuellen Leiden der Opferdringt kaum etwas durch das Dickicht derentfremdeten Sprache, mit der dieser Publizistoperiert. Geschickt ist er, im Ausweichen undFugensuchen, er passt seine Argumente denNichtrassisten an und verrät sich am ehesten dann,wenn er im Saal per Taschenrechner ermittelt,“wieviel Prozent Rassist“ er sei, wenn sich in den23 Millionen Wörtern seiner Aufzeichnungen nurvier eindeutig rassistische Zeilen finden.

Deutschland hat die Auslieferung von Irvingbeantragt, er soll wegen Volksverhetzung vorGericht gestellt werden. In Deutschland und denUSA, in Kanada und Australien hat er Einreiseverbot.Aber das folgenreichste Einreiseverbot scheint derMann selbst über sich verhängt zu haben, das insLand der Erkenntnis und Empathie.