«Man muss die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen». In der Politik wird dieser Satz neuerdings als Monstranz der medial inszenierten Demokratieprozession vorangetragen, womit «man» sagen will: «Seht her, wir verstehen Euch!»
Indem die SVP in der Schweiz eine Verfassungsinitiative «gegen die Masseneinwanderung» lanciert, ist sie fortan aus PR-Gründen an übertriebener Darstellung des Phänomens «Masse», verbunden mit dem Phänomen «Fremde», die «einwandern», interessiert. Wenn es mangels sensationeller Geschehnisse nichts von Bedeutung über diese Phänomene zu berichten gibt, schaffen es die PR-Agenten der SVP dank gutgefüllter Propagandakonten mit Leichtigkeit, aus kleinen Alltagsunebenheiten Sensationsnachrichten zu machen.
Angst und Leiden unter der Zuwanderung
Oder: Im Vorfeld der «Ecopop»-Abstimmung wurden in der publizierten Öffentlichkeit sowohl die «Angst» als auch das «Leiden» instrumentalisiert, welche «das Volk» angeblich durch Zuwanderung erdulden müsse. Zuwanderung, welche die Vernichtung der «schönen» Natur, den «Dichtestress» und massenhafte psychische Erkrankungen zur Folge habe.
Dazu, als Beispiel:
Oder: In Berlin Marzahn kam es vor kurzer Zeit zu einer Demonstration «besorgter» Anwohner gegen die Errichtung einer provisorischen Container-Wohnsiedlung für Flüchtlinge in unmittelbarer Nachbarschaft zu bestehenden Wohnungs-Grossüberbauungen. Die Demonstration wurde von Rechtsextremen und NPD-Funktionären organisiert. Zusammen mit einigen Hundert Profiprotestierern aus der ostdeutschen Rechtspopulisten- und Neonaziszene demonstrierten einige Anwohner – insgesamt versammelten sich etwa 800 Personen zu diesem Demonstrationszug gegen Flüchtlinge durch den Stadtteil. Für die Gegendemonstration, in der auch Anwohner aus dem Stadtteil mitmachten, versammelten sich rund 2000 Personen.
Der Stadtteil Berlin-Marzahn innerhalb des Stadtbezirks Marzahn-Hohenschönhausen hat rund 105’000 Einwohner. Diese 105’000 Einwohner bilden «die Bevölkerung» des Stadtteils.
Aus 200 werden 100’000
Was als Nachrichtenoutput nach diesen Demonstrationen verbreitet wurde, war typisch für die Unsorgfältigkeit, mit der «Migration» in unseren Breitengraden medial behandelt wird:
Aus etwa 200 Anwohnern, welche zusammen mit den Neonazis unterwegs waren, machten einige Politiker und die erkennbar auf Sensation schielenden überregionalen Medien, allen voran TV-Journalisten, flugs «die» Bewohner von Marzahn. Und einzelne Politiker erklärten zusätzlich in alle ihnen hingestreckten Mikrophone hinein, «man müsse die Ängste der Bevölkerung ernst» nehmen. Das Faktum, dass es nicht «die» Bevölkerung von Marzahn war, die demonstrierte, kam in der professionellen Berichterstattung über die Demonstration erst einmal gar nicht vor.
So entsteht dann, völlig frei erfunden, aber angeblich durch die Berichterstattung über eine Demonstration «belegt», ein angebliches «Faktum»: Marzahn hat Angst vor zu vielen Flüchtlingen, welche …
Natürlich können Flüchtlinge für Bewohner von dichtbevölkerten Stadtquartieren oder von eher abgelegenen Dörfern insofern eine Zumutung darstellen, als deren Anwesenheit nicht über Jahre hin und vereinzelt als Individuen oder als Kleinfamilien zu Stande kommt, also eine Gewöhnungszeit besitzt, sondern meistens plötzlich und in der Erscheinung von grösseren Menschengruppen auftritt.
Wenn Gewohntes in Frage gestellt wird, kann Angst eine Reaktion sein.
Auch als Individuen fallen viele Migrantinnen und Migranten auf. Aber sie bilden Ausnahmen, sie fallen im «courant normal» der Bevölkerung kaum als «Bedrohung» auf. Anders das Bild, wenn Flüchtlinge oder Migranten in Gruppen wahrzunehmen sind. Dann werden sie als «Pulk von Fremden», als Unbekannte wahrgenommen.
Fremde, Unbekannte verunsichern zu Beginn ihrer Anwesenheit in «meiner Nachbarschaft» unter Umständen meinen Alltagsablauf, sie können mein gewohntes Bild von meiner Umgebung allein deshalb, weil sie eine Gruppe bilden, für kurze Augenblicke in Frage stellen.
Für die Rechtspopulisten überall in Europa bilden wohl vor allem aus diesem Grund alle Flüchtlinge, welche nach Europa kommen, so etwas wie das Rückgrat ihrer jeweils nationalchauvinistischen Propaganda und ihrer rassistischen Radikalwortarsenale. Alle Flüchtlinge werden in dieser Wortradikalität «Scheinasylanten» genannt, welche sich in die europäischen Sozialsysteme einschleichen und sie schamlos ausnützen würden. Auf «unsere» Kosten! Flüchtlinge werden verallgemeinernd als Schmarotzer verunglimpft, als Diebe, als Gefahr für «unseren Wohlstand».
Wenn Gewohntes – vor allem unvorbereitet, zeitlich betrachtet «plötzlich» – in Frage gestellt wird, kann Angst eine Reaktion sein.
Allerdings gewöhnen sich die meisten Menschen ziemlich rasch an für sie bisher nicht bekannte Umstände in ihrem Alltagsleben. Der Alltag besteht nicht nur, aber auch aus der Fähigkeit, sich der Umgebung anzupassen. Ohne diese Fähigkeit wäre soziales Leben gar nicht denkbar. In diesem Zusammenhang scheint mir von Bedeutung zu sein: Sowohl der Begriff «Fremde» als auch der Begriff «Angst» bezeichnen keine für immer feststehende soziale Gesetzmässigkeit, sie umschreiben vielmehr immer wieder vorübergehende soziale Phänomene.
«Wohlstandsmigranten» und «Scheinasylanten»
Die rechtspopulistische Propaganda weiss offensichtlich, dass es für ihre politischen Ziele, nämlich die Diktatur des weissen Kleinbürgertums, wichtig ist, gesellschaftliche Prozesse von Annäherungen innerhalb des Phänomens Migration gar nicht erst entstehen zu lassen.
Deshalb vermischen sie rechtlich und auch völkerrechtlich definierte Begriffe wie «Flüchtlinge» respektive «Asylsuchende» mit rechtlich und völkerrechtlich nicht vorhandenen Begriffen wie «Wohlstandsmigranten».
Migration etwa aus dem europäischen Osten in den europäischen Westen, gerne auch aus dem europäischen Süden in den europäischen Norden wird als systematisches Erschleichen «unserer» Sozialstaatseinrichtungen, als Scheinasylantentum par excellence benannt. Die «Personenfreizügigkeit» innerhalb der EU (und innerhalb des EWR sowie innerhalb der Bilateralen zwischen der EU und der Schweiz) werde, so wird propagiert, massiv unterwandert und müsse deshalb wieder abgeschafft werden.
Tatsächlich aber ist die Migration ein ständig anwesender Entwicklungsprozess von Gesellschaften, auch von staatlich organisierten Gesellschaften. Wenn Menschen organisiert zusammenleben, gibt es den Kampf um Vorherrschaften. Gibt es Gewaltakte. Gibt es Kriege. Ja.
Wo Menschen sind, ist Migration
Aber wenn Menschen organisiert zusammenleben, existiert auch Migration unter ihnen.
Anders gesagt: Eingerichtete Vorherrschaft der einen über andere oder zeitweise über «die» anderen in der unmittelbaren Umgebung ergeben Hierarchien, an die «man» sich generationenlang gewöhnt. Die Gewöhnung ist oft auch in der Gegnerschaft zu einer bestimmten Hierarchie vorhanden. Im marxistischen Sprachgebrauch nennt man solcherlei «Klassengegensätze».
Wegen gegensätzlicher Interessen innerhalb einer Staatsgesellschaft geschieht es am laufenden Band, dass Hierarchien in Frage gestellt werden. In demokratisch verfassten Rechtsstaaten werden Gegensätze im allgemeinen durch Kompromissfindung gemildert. In Staaten mit diktierter Hierarchie oder in Staaten, in denen eine bestimmte Wirtschaftsstruktur absolut herrscht, entstehen immer wieder gewaltgefüllte Auseinandersetzungen, welche häufig in Bürgerkriegszuständen enden. Viele Menschen weltweit sind solchen Strukturen ausgeliefert, ohne dass es ihnen möglich ist, sich dagegen zu wehren.
In solchen Fällen kann man wahrnehmen, dass sich vor allem jüngere Menschen den Diktaten der Waffen entziehen, indem sie «auswandern».
«Wandern» ist genau so menschlich wie «bleiben».
Im Weiteren ist festzuhalten: «Wandern» ist genau so menschlich wie «bleiben». «Neue Heimat» existiert genau so wie «alte Heimat». Die Spannungen zwischen eingewöhnter Hierarchie und Migration sind ein gesellschaftliches Phänomen von immerwährender Aktualität – nicht überall gleichzeitig, aber in gleicher oder ähnlicher Weise immer wieder. Diese Spannung erzeugt Verunsicherung.
Verunsicherung entsteht sowohl individuell als auch sozial dann, wenn Gewohntes, Eingeübtes, Hergebrachtes durch schleichend sich verbreitende äussere Umstände oder durch radikale Umstürze in Frage gestellt wird.
Wenn Gewohntes in Frage gestellt wird, ist Angst eine häufige Reaktion. Es handelt sich um individuell erfahrene Angst. Sie wird insofern «kollektiv», als eine Öffentlichkeit existiert, in der über diese Ängste gesprochen wird.
Das Fremde ist längst normal
Allerdings gewöhnen sich die meisten Menschen ziemlich rasch an für sie bisher nicht bekannte Umstände in ihrem Alltagsleben. Der Alltag besteht nicht nur, aber auch aus der Fähigkeit, sich der Umgebung anzupassen. Ohne diese Fähigkeit wäre ein soziales Leben gar nicht denkbar. In diesem Zusammenhang scheint mir von Bedeutung zu sein: Sowohl der Begriff «Fremde» als auch der Begriff «Angst» bezeichnen keine für immer feststehende soziale Gesetzmässigkeit, sie umschreiben vielmehr immer wieder wahrnehmbare, sich oft auch aufdrängende vorübergehende soziale Phänomene.
Was erst einmal fremd ist, verändert sich im Laufe der Zeit in das, was man als Gewöhnung, dann als Angewohntes und schliesslich als Bekanntes wahrnimmt. Es ist üblicherweise vor allem eine Frage der Zeit, dass sich Fremdes in Gewohntes verändert. Das gilt im Prinzip auch für alle migrantischen Bewegungen innerhalb einer an einen Ort oder ein Land gebundenen Gesellschaft.
Im Detail wahrnehmbar: Auch ein Basler, der aus Kleinhüningen nach Spalen umzieht, migriert innerhalb seiner Stadt. In der neuen Umgebung fühlt sich der Ankömmling vermutlich erst einmal etwas fremd, weil er sie als «neu», als «anders», als verschieden von seiner bisherigen wahrnimmt. Der Ankömmling muss sich orientieren.
Umgekehrt: Einige Bewohner seiner neuen Umgebung werden ihn wahrnehmen, erst als «neuen Mitbewohner», vielleicht auch, wenn der Ankömmling beispielsweise Latino oder Chinese ist, als «Fremden», als «Ausländerin».
Das Wohnen Türe an Türe mit Fremden, mit Unbekannten, mit Menschen, denen man vorher nie begegnet war, ist in vielen Wohnbezirken in städtischen Verhältnissen in Europa seit Jahrzehnten Normalität.
Die übernationale Migration ist seit Beginn der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts erneut – nebenbei bemerkt keineswegs zum ersten Mal in der Geschichte Europas – erst in Westeuropa, dann, seit 1989 und den folgenden Jahren in ganz Europa ein soziales Faktum geworden und geblieben. Vielleicht eines der ersten Güte, das heisst eines, das soziale respektive gesellschaftliche Probleme verursacht. Aber es ist ein Faktum, das nicht aus der Welt geschafft werden kann. Ähnliche Migrationswellen gab es auch zu Zeiten meiner Gross- und Urgrosseltern. Im 19. Jahrhundert waren Migrationsbewegungen aus Europa, auch aus der Schweiz, nach Nordamerika, nach Chile oder Argentinien, nach Australien und Neuseeland oder nach Südafrika an der Tagesordnung.
Mit der Floskel «Die Ängste des Volkes ernst nehmen» ist es selbstredend nicht getan. Das wissen auch die SVP-Propagandisten
Migration zu erklären und zu gestalten ist das eine.
Anderseits: Heute mit teilweise kollektiv auftretenden Verunsicherungen oder Ängsten, welche der Migrationsprozess ohne Zweifel immer wieder schafft, vernünftig prozessbegleitend umzugehen, ist vor allem für die Medien und für die Politik in demokratisch verfassten Rechtsstaaten eine Herausforderung.
Mit der Floskel «Die Ängste des Volkes ernst nehmen» ist es selbstredend nicht getan. Das wissen – in der Schweiz – auch die SVP-Propagandisten, das weiss Blocher, das weiss «die Politik».
Die Schweiz aus Europa hinauskatapultieren
Die SVP reagiert auf Migrationsprobleme seit vielen Jahren mit Begriffspackungen wie «Stopp der Masseneinwanderung», «Kontingentierung», «Einwanderung nur für solche, welche die Wirtschaft braucht», «Scheinasylantentum verunmöglichen». Zusätzlich operiert sie mit Hilfe eines Zusatzes in ihrer mit 50,3 Prozent am 9.2.2014 knapp angenommenen «Masseneinwanderungs»-Initiative mit einer Zweitvorgabe: Nach drei Jahren hat die Diplomatie, hat das Verhandeln ausgespielt. Dann muss der Bundesrat verordnen, was die Initiative verlangt. Das heisst, er muss viele z.B. mit der EU völkerrechtlich abgeschlossene Verträge kündigen und deren Inhalt gesamthaft unter der diktatorisch angeordneten Prämisse der «Masseneinwanderungs-Initiative» neu aushandeln.
Auch Blocher und sein Propagandaapparat wissen natürlich, dass die Schweiz die EU zu nichts «zwingen» kann.
Nur: Insgesamt geht es der SVP-Ideologie gar nicht um «Verhandlungen», um «Anpassungen» oder «Veränderungen» in den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU zu erreichen.
Nein, es geht ihr einzig darum, die Schweiz aus Europa hinauszukatapultieren.
Blochers Ziel: Die Schweiz isolieren
Die «Strategie» von Blocher ist klar erkennbar:
Die SVP diagnostiziert propagandaerfahren erst einmal «Ängste des Volkes wegen der Überfremdung». Dann setzt sie eine ganze Reihe von Initiativen in die Welt des schweizerischen Staates, welche diese angeblichen Ängste ernst zu nehmen vorgeben und erklären: Das Heil liegt darin, das Fremde aus dem Land zu jagen. Die Ängste verschwinden, wenn «wir» nur für uns selber da sind. Deshalb brauche «die Schweiz» weder Menschenrechtskonventionen noch irgendwelche Völkerrechtsvorränge.
Auf dem Weg zu der von Blocher geplanten und erwünschten Totalisolation der Schweiz in Europa ist inzwischen Schritt 2 erfüllt:
Schritt 1 bestand aus der Minarettinitiative, quasi einem Aufheizevent, womit die «Ängste des Volkes» erst einmal in eine bestimmte Richtung bugsiert wurden.
Schritt 2 war die für Blochers Strategie erst einmal scheinbar alles entscheidende «Masseneinwanderungs»-Initiative. Hier konnte «das Volk» seine «Ängste» konkret in eine detailliert definierte politisches Handlungsanweisung umsetzen. Und zwar so, dass dieses Handeln unumkehrbare Fakten schaffen wird.
Nun, wenn man sich die Mühe macht, das ganze Arsenal von SVP-Ankündigungen zur Aussenpolitik der Schweiz einmal genauer zu studieren, kann man erkennen: Für Blocher ist diese Initiative nur ein – zwar durchaus wichtiger, aber keineswegs alles entscheidender – Schritt hin zur Vollendung seines Schweiz-Welt-Bildes.
Blochers Zielsetzung: Er will die Schweiz völkerrechtlich isolieren. Und: Er will den Sozialstaat Schweiz abschaffen.
Erst die «fremden Richter», dann du
Isolation und Sozialstaatsabschaffung gehören dabei sehr wohl zusammen. Nur ist diese Zusammengehörigkeit nicht ohne weiteres zu erkennen.
Die beiden angekündigten SVP-Initiativen, jene, welche «Durchsetzungsinitiative» genannt wird, und jene, welche «Schweizer Recht vor Internationalem Recht»fordert, erhalten dann einen quasi übergeordneten Sinn, wenn es darum geht, aus der europäischer Sozialstaatsgeschichte und deren Fortführungsprozess, innerhalb welcher die Sozialstaatsgeschichte der Schweiz nicht isoliert, sondern bis in die Details hinein integriert ist, auszutreten.
Die SVP muss nämlich erst einmal die «fremden Richter» zu Luxemburg und zu Strassburg in ihrer Wirksamkeit in der Schweiz «entmachten», bevor sie etwa Gleichberechtigungsvorschriften für die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus dem EU-Raum abschaffen kann. Aber das gilt auch innerschweizerisch, das heisst für «Einheimische»: Die «Einheimischen» sollen sich weder auf völkerrechtlich bestimmte Vorschriften im Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berufen können (ILO-Status), noch auf solche, welche die europäische Menschenrechtskonvention für alle Mitgliedstaaten des Europarates verbindlich erklärt.
Im Chor mit FPÖ, FN, PVV und Lega Nord
Die SVP hat politische Ziele, welche nur dann erreicht werden können, wenn Ausschliesslichkeiten eine Rolle spielen. Das heisst: Der SVP-Staat will die Entscheidungsmacht im Staat von bestimmten Faktoren abhängig machen, unter anderem:
mindestens angeborene Staatsbürgerschaft (Ausnahme: Superreiche),
Privatisierung sämtlicher Versicherungseinrichtungen des Sozialstaates (Stichwort: Eigenverantwortung, Abschaffung der Invalidenversicherung, Kappung der staatlich ausgerichteten Prämienbeihilfen für die Krankenkassenbeiträge,
Bildung an staatlichen Schulen inklusive Hochschulen kontrolliert ausschliesslich auf deren Nutzen für «die Wirtschaft», namentlich für «die KMU» ausrichten,
überall: Zuerst Schweizerinnen, zuerst Schweizer.
Das Muster ist bekannt. Es wird auch anderswo propagiert: Durch die FPÖ in Österreich zum Beispiel. Durch den FN in Frankreich. Durch die PVV von Wilders in den Niederlanden. Durch die Lega Nord in Italien und so weiter.
Die SVP ist keine typisch schweizerische Partei, sondern eine typische rechtspopulistische Partei europäischen Zuschnitts.
Klar wird: Die SVP ist keine typisch schweizerische Partei, sondern gerade auch deshalb, weil sie erkennbar dem Führerprinzip huldigen lässt, eine typische rechtspopulistische Partei europäischen Zuschnitts.
Die europäischen Rechtspopulisten in den von ihnen heiliggesprochenen «Nationen» versammeln sich immer hinter «Führern», beispielsweise hinter Blocher, hinter Bossi, hinter Le Pen – Vater wie Tochter –, hinter Wilders, hinter Haider oder nun Stacher und so weiter. Diese Führer behaupten immer, sie seien die Strategen der Durchsetzung des «Volkswillens».
Dazu passt der Satz:«Die Ängste des Volkes verstehen». Das Verb «verstehen» wird vorgeschoben. Es soll das Verb «benutzen» in der öffentlichen Wahrnehmung überdecken.
Den Zusammenhang zwischen «Migration» oder aktuell etwa «Asyl» und den angeblichen «Ängsten» stellen erst einmal die PR-Agenturen der Rechtspopulisten her. Dass viele Medienverantwortliche diese PR-Aktivitäten mehr oder weniger unkommentiert, vor allem aber völlig unkritisch weiterverbreiten, ist eine Geschichte für sich!
Man hält nicht inne
Was konkret zur Zeit die Schweiz betrifft:
Die Strategie Blochers (und die von seinesgleichen überall in Europa) benutzt zusätzlich zur Unachtsamkeit vieler Medienverantwortlicher die Begriffs- und Sprachlosigkeit vieler Politikerinnen und Politiker vis-à-vis Problemen, welche mit der Migration ganz allgemein zu tun haben. Die meisten Politikerinnen und Politiker überlassen den Diskurs darüber den Rechtspopulisten. Um wenigstens den Schein von «Handlungsfähigkeit» zu erwecken, wird von – sich selber als «Gemässigte» verstehenden – «Bürgerlichen» die eine oder andere «Revision» in der jeweils nationalen Asylgesetzgebung vorgenommen. Anstatt klar zu machen, dass Flüchtlinge einfach akzeptiert werden müssen, wenn sie vor ihnen drohender Vernichtung aus ihren Heimatländern fliehen müssen, wird dem unsolidarischen Verhalten einiger Gemeindepräsidenten oder lautstarker Dauerschimpfer in Kommunen nachgegeben und das Recht auf Asyl auf nationaler Ebene Schritt für Schritt ausgehöhlt. Erklärt wird dann verlogen scheinheilig, man verschärfe das Recht, weil man es «retten» wolle respektive «müsse».
In solchen Zusammenhängen von grundsätzlich unwürdigem Charakter ist dann immer die Rede von der notwendigen Berücksichtigung der «Ängste im Volk» die Rede. Vor allem jene Parteien (in der Schweiz etwa die CVP oder die kleine EVP, auch die GLP und wenigstens teilweise die FDP), welche der angeblich notwendigen Verschärfung das Wort reden, plagt hie und da, vor allem in Einzelfällen sichtbar, das schlechte Gewissen, sich unter der Anleitung der SVP an der schrittweisen Abschaffung des Asylrechts und damit an der Vernichtung der Wirksamkeit humanistischer Menschenrechte zu beteiligen.
Aber man hält nicht inne. Man tut so, als habe man «alles», was weitergehe, also alles noch Unmenschlichere verhindert. Oder: Man habe alles, was die Gleichberechtigung betreffe, im Griff.
Die 50,3 Prozent Ja-Stimmen zur Masseneinwanderungsinitiative sagen etwas anderes.
Wie Goethes Zauberlehrling
Die «restbürgerliche» Sprachlosigkeit gegenüber Blochers Propagandaapparat benahm sich im Vorfeld der Masseneinwanderungs-Initiativabstimmung wie der Zauberlehrling in Goethes grossem Gedicht:
Man guckte beim «Meister» ab. Machte aus dessen «Scheinasylanten» «Asylanten und Scheinasylanten». Man machte innerhalb der Institution «Personenfreizügigkeit» jene «Bulgaren und Rumänen» aus, welche man hinter vorgehaltener Hand, aber laut und deutlich als «Roma» oder als «Zigeuner» beschimpfte und die man wegen deren – meistens völlig unbewiesenen – angeblichen «Erschleichung sozialstaatlicher Wohltaten» wenigstens verbal sofort «ausschaffte».
Man spricht, wenn Blocher das «Bankkundengeheimnis» in der Verfassung festschreiben will, vom nach wie vor geltenden Bankgeheimnis und gibt bekannt, diesen Vorstoss unterstützen zu wollen, obwohl dieses «Geheimnis» in der Form, wie es jahrzehntelang als Versteckgarantie für Steuerhinterzieher und Mafiamordgesellen sowie Diktatoren aus aller Welt funktioniert hat, schlicht völlig berechtigterweise nicht mehr da ist.
Hoffen auf Rasa
Blocher will eine Schweiz ohne auch nur eine einzige solidarische Verantwortungsübernahme für irgend eine Problemlösungssuche, welche etwas weiter gefasst ist als das, was er als «Schweiz» versteht. Seine Strategie ist gut erkennbar.
Der ziemlich peinlichen Inhaltsleere, mit der die «bürgerliche» Politik in der Schweiz mit dem blocherschen Rechtspopulismus umgeht, kann man nur begegnen, indem man Blocher mitsamt den diesem selbsternannten Chefstrategen anpässlerisch und duckmäuserisch folgenden «Bürgerlichen» mit einem wirklich bürgerlichen, nämlich dem Citoyen-Bewusstsein für die Grenzen, welche Rechtsstaat und verfasste Demokratie zu Gunsten der Gleichheitsgarantie ziehen muss, herausfordert. Zum Beispiel mit der Initiative Rasa.
Die nun entstehende Diskussion kommt hoffentlich gerade noch rechtzeitig, bevor der schweizerische Rechtsstaat massiven Schaden erleidet.