Rechtsradikale schrien Bundespräsident Samuel Schmid zeitweise nieder
Rund 700 Rechtsextreme marschierten zur Bundesfeier aufs Rütli. Sie störten die Ansprache von Bundespräsident Samuel Schmid massiv. Dieser verurteilte jegliche Art von Extremismus scharf.
Ueli Bachmann, Rütli
Beim Eintreffen auf der Rütliwiese zeigte sich Bundespräsident Samuel Schmid noch angenehm überrascht. Die 700 Rechtsradikalen prägten zwar das Bild mit ihren Fahnen und kahlrasierten Köpfen. Doch ihnen standen doppelt so viele «normale» Gäste gegenüber. So viele Besucher, darunter rund 400 geladene Gäste aus dem Sport, gab es bei einer 1.-August-Feier auf dem Rütli noch nie. Verschiedene Gäste werteten dies als mutiges Signal der Mehrheit der Schweizer gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen.
Doch Schmids Miene verfinsterte sich im Verlaufe der Veranstaltung. Der Grund: Seine Rede war immer wieder durch Pfiffe, Buhrufe und Parolengesänge der Neonazis unterbrochen worden. Die massiven Störungen erfolgten, als der Bundespräsident auf die Integrationskraft verschiedener Kulturen oder generell die Integration der Ausländer zu sprechen kam. Seit 1996 zeigen sich Rechtsextreme bei der 1.-August-Feier auf dem Rütli. Bisher wandte sich aber noch kein Redner direkt an die ungebetenen Gäste, und keiner erteilte dem Rechtsextremismus eine derart klare Absage, wie es Schmid gestern tat. Die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 60 Jahren sei für jeden von uns Verpflichtung, neuen extremistischen und totalitären Bestrebungen und jeder Form von Antisemitismus, Rassismus und Extremismus entgegenzutreten, sagte er. «Diese dunklen Kapitel dürfen sich nie mehr wiederholen.» Schmid bezeichnete die Integration der einwandernden Bevölkerung als eine grosse Herausforderung. Es gelte Brücken in der Gesellschaft zu bauen und den Arbeits- und Religionsfrieden zu wahren. Erst am Ende der Ansprache wurden die störenden Rufe durch eine stehende Ovation für den Bundespräsidenten übertönt. Judith Stamm, Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und damit Gastgeberin auf dem Rütli, entschuldigte sich darauf über Mikrofon beim Bundespräsidenten für die massiven Störungen. Sie sei davon ausgegangen, dass sich alle an die Rütli-Hausordnung halten würden. Die Rechtsextremen hätten sowohl gegen die Hausordnung wie gegen die Anstandsregeln verstossen, meinte Stamm.
Schmid wollte zu den Vorfällen erst in Brunnen Stellung nehmen. Gegenüber der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens sagte er, das Verhalten der Rechtsradikalen sei zutiefst unschweizerisch. Ihre Rädelsführer seien in keiner Weise legitime Vertreter dieses Landes.
Nachdemo in Brunnen
Am Vormittag in Brunnen sah alles harmlos aus. Ähnlich wie im Vorjahr zeigten sich die Rechtsradikalen vorerst kooperativ und liessen sich ohne Widerspruch von der Polizei durchsuchen. Erst später stiessen andere Gäste hinzu, Väter und Mütter mit Kindern, die geladenen Sportler sowie zahlreiche Besucher, die bewusst herkamen, «um das Rütli nicht diesen Typen zu überlassen», wie es ein älterer Urner formulierte. Nach der Rückkehr vom Rütli mahnte einer der Anführer der Rechtsextremen zum gemeinsamen Abmarsch Richtung Bahnhof. Rund 100 Rechtsextreme, angeführt von Mitgliedern der Partei national orientierter Schweizer (Pnos), skandierten dabei nationale und fremdenfeindliche Parolen. Die Schwyzer Kantonspolizei liess sie gewähren. Im Vorfeld war die Polizei von der Schwyzer Regierung angewiesen worden, solche nicht-bewilligten Aufmärsche in Brunnen zu unterbinden.
Gegen Faschismus
Rund 800 Personen haben am Bundesfeiertag in Luzern an einer Kundgebung gegen Faschismus teilgenommen. Sie protestierten damit auch gegen die Präsenz der Neonazis auf dem Rütli.
Mit Knallpetarden, Fahnen sowie Rap liessen die Teilnehmer die internationale Solidarität hochleben. Etwa ein Drittel der Demonstranten war vermummt. Mitgeführt wurde unter anderem ein schwarzer Sarg. Bevor er sich in Bewegung setzte, wurde ein «kraftvolles Zeichen gegen Faschismus und Rassismus» angekündet. Zudem wurden die Demonstrierenden aufgefordert, friedlich zu bleiben und sich «von Bullen und Nazis» nicht provozieren zu lassen. Man wolle das Rütli nicht den Faschisten überlassen, so der Tenor. «Wir brauchen nicht nur keine fremden Vögte, wir brauchen gar keine», hiess es. Ausser Farbschmierereien und einer kleinen Sachbeschädigung bei einer Bushaltestelle gab es nach Auskunft der Polizei keine Zwischenfälle. (sda)
Bundespräsident Schmid auf dem Rütli: Vorne sitzen die «normalen Bürger», hinten rechts stehen die Neonazis. walter bieri/key
KOMMENTAR
Die richtigen Worte
Hanspeter Spörri
Bundespräsident Schmid hat auf dem Rütli die richtigen Worte gefunden. Er vertrat die tolerante Schweiz, die politisch und kulturell vielgestaltige, international orientierte, selbstbewusste Schweiz. Er musste sie – leider – vor einem Publikum vertreten, in dem die Engstirnigen und Intoleranten den Ton angaben. Zwar waren die Rechtsradikalen nicht in der Mehrheit. Aber sie hatten einmal mehr gezielt für die Rütli-Bundesfeier mobilisiert und sind so zahlreich wie noch nie in Erscheinung getreten. Und sie haben lautstark und – wie erwartet – unflätig auf sich aufmerksam gemacht.
Wer sind die Rechtsradikalen? Frustrierte, Unwissende? Sie pflegen ein einseitiges Geschichtsbild, eine pseudowissenschaftliche Rassenlehre. Ihr Weltbild ist einfach gestrickt und hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Die meisten von ihnen sind vermutlich Mitläufer, denen man eingeredet hat, sie gehörten zu einer politischen Elite. Wie einst die Frontisten versuchen sie, sich des Rütli-Mythos zu bemächtigen. Aber Schillers Tell und die früheren Varianten der alten Sage eignen sich nicht für rassistische, nationalsozialistische oder faschistische Interpretationen. Es ist ein Mythos der Selbstbefreiung, der Auflehnung gegen Knechtschaft und Fremdherrschaft, der demokratischen Selbstbestimmung. Rechtsradikale wissen davon nichts. Sie hängen einem politischen Sektenglauben an, der das Volk ins Völkische überhöht, der seine Anhänger glauben lässt, sie zählten zu den Auserwählten, und sie so manipulierbar macht und zum Hass verführt.
Man muss sich in der Demokratie damit abfinden, dass Extremisten mit abstrusen Weltbildern die grosse Bühne suchen. Aber man muss ihrer rassistischen Ideologie und ihrem Anspruch, die einzig wahren Patrioten zu sein, entgegentreten. Bundespräsident Schmid hat genau dies getan.
Soll im nächsten Jahr auf die Rütli-Bundesfeier verzichtet und das Gelände gesperrt oder einfach den Rechtsradikalen überlassen werden? Vielleicht bleibt kein anderer Ausweg, wenn man das unwürdige Schauspiel, die Beleidigungen und Verhöhnungen verhindern will. Aber es käme fast einer Kapitulation gleich, einer Kapitulation vor einer zahlenmässig unbedeutenden, ideologisch irregeleiteten Minderheit.