Das Gewehr liegt «seit Jahrhunderten» zuhause

Der Bund

WAFFENBESITZ / Rund um den «Solterpolter»-Prozess, der am letzten Freitag zu Ende gegangen ist, wurde die Diskussion um eine alte Frage erneut entfacht: Müssen alle Angehörigen der Schweizer Armee ihre persönliche Waffe nach Hause nehmen? Das Verteidigungsdepartement beharrt vorerst auf seiner bisherigen Position und erklärt das Sturmgewehr zuhause zur «Kultur» der Schweiz.

* SIMON FUHRER

Hier der Fall «Solterpolter», wo drei rechtsradikale betrunkene Jugendliche mit einem eigenen und einem entwendeten Sturmgewehr auf eine linke Wohngemeinschaft schossen und dabei nur durch Zufall niemanden verletzten; dort der ehemals rechtsradikale Marcel Strebel, der in Burgdorf während eines Streits von seinem Kontrahenten kurzerhand mit dem Sturmgewehr erschossen wurde; und schliesslich der Zuger Amokläufer, der im Kantonsparlament ein Blutbad anrichtete: Die Täter der drei genannten Fälle benutzten alle ein Sturmgewehr, um ihre unglaublichen Taten zu vollbringen – die beiden Erstgenannten verwendeten dabei ihre persönliche Dienstwaffe. Nun wird wieder diskutiert, ob das Sturmgewehr wirklich in den Privathaushalt gehört.

Gewehr als Teil der «Kultur»

Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) will die jetzige Situation nicht ändern. Andere Lagerungsmöglichkeiten für das Sturmgewehr seien intern zwar diskutiert, aber verworfen worden, erklärt VBS-Pressesprecher Claude Gerbex. Die individuelle Aufbewahrung zuhause sei «seit Jahrhunderten» sehr eng mit dem schweizerischen Milizsystem verbunden und «als Kultur zu verstehen», sagt er weiter. Andere Gründe, weshalb jeder Wehrmann sein Sturmgewehr nach Hause mitnimmt, gebe es nicht: «Es war einfach schon immer so im Reglement vorgeschrieben.» Zudem seien Missbräuche sehr selten. Dies bestätigt Peter Abelin, Pressesprecher der Kantonspolizei Bern: Er weiss ausser den Fällen «Solterpolter» und Strebel nur von zwei weiteren Fällen, die sich in den letzten zehn Jahren im Kanton Bern ereigneten und bei denen ein Sturmgewehr der Armee verwendet wurde.

Nur eine Minderheit dafür?

Das bestehende System zu ändern, erachtet Gerbex als praktisch unmöglich, denn die Schweizer seien «sehr stolz» darauf – nur eine Minderheit befürworte eine externe Hinterlegung. Der Berner SP-Nationalrat Paul Günter will dennoch in der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) eine Debatte lancieren, ob das Sturmgewehr zuhause am richtigen Ort sei. Je mehr Waffen im Umlauf seien, desto einfacher würden sie auch in die Hände von Kriminellen gelangen, sagte er kürzlich und widersprach damit indirekt VBS-Sprecher Gerbex. Dieser sieht keinen Zusammenhang zwischen den «bedauerlichen» Taten von Amokläufern und der persönlichen Dienstwaffe, weil sich Privatpersonen zu einfach Waffen beschaffen könnten.

Das Sturmgewehr im Besenschrank war in den letzten Jahren in der Schweiz ein Tabu. Könnte die Stimmung jetzt aber umkippen? Zumindest existieren auch Armeeangehörige, die sich kritisch dazu äussern. Kai Rollé beispielsweise, Soldat beim Infanteriebataillon 25, sieht keinen Grund, eine «Mordwaffe» zu besitzen. Es sei lächerlich, wenn jemand behaupte, im so genannten Ernstfall die Waffe schneller zur Hand zu haben.

«Es sei denn, man hat einen Schlüssel»

JUNGSCHÜTZEN / Ein beim Anschlag auf «Solterpolter» verwendetes Sturmgewehr sowie rund 100 Schuss hatte ein Jungschütze beschafft. Dies sei der einzige ihm bekannte Fall, betont Urs Weibel vom Schweizerischen Schützenverband.

gmü.Irgendwann in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 2000 fällt der Entscheid, den «Linken» einen «Denkzettel» zu verpassen. Die drei am letzten Freitag verurteilten Skinheads fahren von Burgdorf nach Ittigen, wo der damals 22-jährige Velomechaniker sein persönliches Sturmgewehr 90 holt (siehe oben). Doch es muss eine zweite Waffe her für den 20-jährigen Koch, und auch Munition. Der Jüngste im Bunde ist Jungschütze in Wabern. Die Beschaffung der rund 100 Schuss und des Gewehrs im Schiessstand Schliern-Platten ist denn auch kein Problem: Der damals 19-jährige Jungschütze hat aufgrund einer speziellen Konstellation im Verein Zugriff auf die Schlüssel.

Der Zugang zu Munition und Waffen für Jungschützen -ein Kinderspiel? Urs Weibel, Geschäftsführer des Schweizerischen Schützenverbandes, verneint und betont: «Die Instruktionen und Rechtsgrundlagen sind völlig klar. Wenn die beachtet werden, gibt es keine Probleme.» So sei es zwar zulässig, dass ein Jungschütze die Waffe mit nach Hause nehme. Anders verhält es sich mit der Munition: «Die Jungschützenleiter sind verantwortlich, dass die Schützen keine Munition mitnehmen.» Sprich: Sie müssen nach dem «Munitionsbefehl» bei den Waffen eine Ladekontrolle durchführen und zudem überprüfen, dass «keine Munition mehr in den Hosentaschen ist».

«Müsste Tresore sprengen»

Im Schiessstand selber müssen die Waffen laut Weibel so gelagert werden, dass Unbefugte keinen Zugang haben. Und die Munition – über die genaue Buchhaltung geführt werden müsse – «wird in mehrfach gesicherten Munitionsbunkern aufbewahrt», erläutert Thomas Kessler, Präsident der bernischen Schiesskommission, die jährlich mindestens einmal die Schützenhäuser kontrolliert. Walter Meer, zuständig für das Schiesswesen beim Kanton, fügt an:«Diese Tresore müsste man schon sprengen, es sei denn, man hat einen Schlüssel.»

«War nicht zu verhindern»

Doch genau dies war bei «Solterpolter» der Fall. Daher, so Kessler, hätte dieser Missbrauch denn auch nicht verhindert werden können. Mit dem betroffenen Schützenverein habe man «das Gespräch gesucht» und auch eine «saubere Lösung» gefunden. Wie der Jungschütze vor Gericht erklärt hatte, hat er heute keinen Zugang mehr zu den Schlüsseln. Ausgeschlossen wurde er vom Verein indes nicht -«nach eingehender Prüfung», wie der Vereinspräsident in einem Bericht ans Gericht festgehalten hatte, und obschon der Schütze «in schwerer Weise den Interessen des Vereins zuwidergehandelt» hat.

«Es gefährdet unseren Sport»

Urs Weibel versichert schliesslich: «,Solterpolter‘ ist der einzige mir bekannte Fall, ein Exotenfall.» Er sei statistisch nicht einmal erfassbar, wenn man berücksichtige, dass jährlich 15’000 bis 20’000 Jugendliche an Jungschützenkursen teilnehmen. Und er betont: «Wenn etwas passiert, ist das schon einmal zuviel.» Denn «solche Vorkommnisse gefährden unseren Sport». Nach «Solterpolter» habe man bei der Instruktion und bei der Ausbildung darum «selbstverständlich auch einen Zacken zugelegt», sagt Weibel.

Steiniger Weg

sim. Wie muss ein dienstpflichtiger Wehrmann vorgehen, der in letzter Zeit die Nachrichten von Amokläufern mit Schaudern mitverfolgte und darum sein Sturmgewehr nicht mehr in seiner Wohnung wissen will? Ein Armeeangehöriger, der sich entscheidet, seine persönliche Waffe im Zeughaus deponieren zu wollen, muss vorerst geduldig diverse Telefonate erledigen. Er beginnt wohl – wie dies für Fragen bezüglich der Armee üblich ist – beim Sektionschef seiner Wohngemeinde. Dieser verweist ihn an das Kreiskommando. Dort erhält er die Telefonnummer des kantonalen Zeughauses, das aber keine Entscheide treffen darf. Darum wendet sich der Wehrmann erneut an das Kreiskommando. Diesmal wird er richtig verbunden und erfährt vom zuständigen Obersten, dass er gemäss den Vorschriften über die persönliche Ausrüstung ein Gesuch um «Hinterlegung der Bewaffnung» mit einer Begründung an das Kreiskommando stellen muss. Dies können prekäre Wohnungsverhältnisse, Auslandaufenthalte oder besondere Vorfälle in der Familie sein. Dass solche Gesuche eingereicht und bewilligt werden, kommt laut Oberst Peter Egger von der Abteilung Wehr- und Zivilschutzpflicht «sehr selten» vor. Der Wehrmann, der lediglich sein Sturmgewehr ausser Haus haben möchte, hat wohl keinen genügenden Grund, sein Gesuch würde abgelehnt.