NZZ Online: Mehrere tausend Neonazis haben am vergangenen Wochenende im Toggenburg gefeiert. Die Spur der Veranstalter führt ins Zürcher Oberland. Wie aktiv ist die dortige Neonazi-Szene?
Das Zürcher Oberland geriet schon mehrfach in Verruf als Hort von Rechtsextremisten. 2012 marschierten bei einem Fackelzug 50 Neonazis durch Hombrechtikon. Einige Jahre davor kam es an einer Chilbi im gleichen Dorf zu mehreren grösseren Versammlungen von Rechtsradikalen. Im Fall des grössten Neonazi-Konzerts der letzten Jahre vom vergangenen Wochenende führen die Spuren nun ebenfalls ins Zürcher Oberland. Den Mietvertrag für die Halle in Unterwasser hatte ein aus Thüringen stammender Mann abgeschlossen, der im zürcherischen Rüti wohnt.
Am sogenannten «Rocktoberfest» aufgetreten ist auch der Sänger der rechtsextremen Band Amok. Er wird nicht nur der Zürcher Sektion des Netzwerks Blood & Honour zugerechnet, ihm werden auch enge Kontakte zu einer Wohngemeinschaft von Neonazis im deutschen Bundesland Thüringen nachgesagt. Er gilt dementsprechend als wichtiger Verbindungsmann zu den Veranstaltern des Events. Der 28-Jährige, wohnhaft ebenfalls in Rüti, gilt zudem als Hauptverdächtiger für einen Angriff auf einen orthodoxen Juden in Zürich Wiedikon im Juli 2015. Das alles wirft die Frage auf, wie aktiv das Neonazi-Milieu im Zürcher Oberland ist.
Politisch kaum aktiv
«Die Szene ist nicht besonders gross, besteht aber schon seit vielen Jahren», sagt Hans Stutz, Beobachter der rechtsextremen Szene und grüner Kantonsrat in Luzern. Doch wie überall, so habe auch die Zürcher Szene ein zentrales Problem: «Sie hat kaum noch Zulauf von jungen Männern.»
Das sieht man laut Stutz auch auf den im Internet kursierenden Fotos der Teilnehmer des Konzertes in Unterwasser. Viele von ihnen seien über 30 Jahre alt. «Früher sind junge Männer zwischen Stimmbruch und Konkubinat Skinheads gewesen.» Heisst: Sobald sie in festen Beziehungen waren, hätten sich viele allmählich von der Subkultur verabschiedet. Die heutige Szene im Oberland bestehe somit aus jenen, die Neonazis geblieben sind. Etwas anders sieht es die Antifaschistische Aktion Bern (Antifa), die das Konzert in Unterwasser publik gemacht hatte. Für sie gehört die Szene im Zürcher Oberland zu den stärkeren in der Schweiz. Auch Hombrechtikon sei nach wie vor einer der Hotspots. Im Sommer 2015 seien Flyer an die Bevölkerung verteilt worden, auf welchen das Logo von Blood & Honour prangte.
Politisch sind die Zürcher Rechtsextremen kaum aktiv. Die Exponenten engagieren sich laut Szenekenner nicht in politischen Parteien wie etwa der Partei national orientierter Schweizer (Pnos), sondern organisierten vielmehr Events, wie etwa das «Rocktoberfest». Diese gelten als zentrales Marketinginstrument für das braune Gedankengut. Dass der Austragungsort des Konzerts vom vergangenen Wochenende derart lange geheim gehalten werden konnte, spricht zudem für eine ausgeklügelte Organisation. Die Veranstalter wussten genau, was sie taten.
Hinzu kommt eine weitere Komponente: Viel wichtiger nämlich als die lokale Verortung ist die internationale Vernetzung der Szene. Das hat man ebenfalls am vergangenen Wochenende gesehen, als Busse die Rechtsextremen aus Deutschland, Österreich, Russland und Polen nach Unterwasser brachten.
Insbesondere Neonazis aus dem Zürcher Oberland, welche der Gruppierung Blood & Honour angehören, sind laut Antifa mit Szeneangehörigen aus Deutschland und Österreich überaus gut vernetzt und pflegen einen regen Kontakt. Bei Konzerten in der Schweiz fungierten die Zürcher des Öfteren als Mitorganisatoren. Und die Schweiz ist in der Szene beliebt. Sie gilt als «Konzertparadies», da hier nicht viel gegen die Veranstaltungen unternommen wird.
Einnahmen als «Spende»
Die Konzerte werden oft dazu benutzt, politische Agitationen zu finanzieren. So fliessen laut der Wochenzeitung «WoZ» die Einnahmen der Veranstaltung in Unterwasser wahrscheinlich in rechtsextreme Strukturen. Der Ticketverkauf der Veranstaltung in Unterwasser wurde über das Bankkonto eines einschlägig bekannten Neonazis aus Thüringen abgewickelt. Es handle sich dabei wohl um eine Spendensammlung für einen Prozess gegen Neonazis im thüringischen Ballstädt. Im Februar 2014 hatten Rechtsextreme dort eine Festgesellschaft überfallen. Zehn Personen wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Neonazis «gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung» vor.