Antifaschistisches Infoblatt AIB, Oktober-November 1999.
Die Musik neonazistischer Skinheads ist in Deutschland in den vergangenen 10 Jahren zu einem Millionengeschäft geworden. Über 100 deutsche Bands produzierten seit 1991 knapp 500 verschiedene CDs in einer Stückzahl von wenigen Hundert bis etwa 15.000. Wenn man von einer realistisch erscheinenden durchschnittlichen Auflagenhöhe von 3.000 ausgeht, würde dies bedeuten, daß in den vergangenen acht Jahren ca. eineinhalb Millionen Neonazi-Rock-CDs hergestellt wurden. Zuständig für deren Produktion und flächendeckende Verteilung sind mehr als 50 Versände und Labels sowie bundesweit mehr als 20 der neonazistischen Szene zuzurechnende Läden.
Alleine im Jahre 1998 fanden laut Polizeiangaben in Deutschland um die 120 neonazistische Konzerte statt. Rechnet man diesen die in dieser Zählung unberücksichtigten kleineren Zusammenkünfte (wie etwa Jugendzentrumsfeten mit Bandauftritten) hinzu, so geht statistisch gesehen an mindestens jedem zweiten Tag irgendwo in Deutschland ein Nazikonzert über die Bühne.
Das infrastrukturelle Rückgrat der Szene bilden gewachsene und eingespielte Zusammenhänge, die eine Vielzahl von Aktivitäten, v. a. in der Organisierung von Konzerten und legalen wie illegalen Vertriebswegen, dominieren und die in der internen Hierarchie ganz oben angesiedelt sind. Sie sorgen für die beständige Fütterung der Szene mit politischer Ideologie, sie gestalten den internationalen Austausch und sie bieten einem harten Kern die Möglichkeit, sich von der Masse und den Modeerscheinungen abzugrenzen und sich in einer elitären Gemeinschaft wiederzufinden. Die wohl bedeutendste Struktur dieser Art in Deutschland ist das Netzwerk von BLOOD & HONOUR, welches in den vergangenen Monaten mit Macht in die Öffentlichkeit drängt.
Rückschläge in der NPD, Blood & Honour auf dem Vormarsch
Sichtbare Zeichen einer Umorientierung der Szene sind die derzeitigen Bilder, die sich BeobachterInnen neonazistischer Aufmärsche bieten. Marschierten die Naziskins in den letzten Jahren überwiegend hinter Transparenten der NPD/JN und unter schwarzen Fahnen der Freien Nationalisten, so sind heute auch vermehrt Fahnen der Blood & Honour-Sektionen zu sehen.
Damit folgen Blood & Honour-AktivistInnen einem Beschluß, der auf ihrem Deutschland-Treffen am 3. Oktober 1998 gefaßt wurde und besagt, daß Blood & Honour mehr zu sein habe »als eine Musikbewegung« und daß es Aufgabe sei, »Patrioten verschiedener Stilrichtungen zu sammeln und zu einen, nicht nur in der Musik, sondern im Kampf«. Um diesen »Standpunkt zu demonstrieren«, so schreibt es der »offizielle Newsletter« der Blood & Honour-Division Deutschland, sollten sich die AktivistInnen »in Zukunft vermehrt geschlossen an politischen Aktionen beteiligen.«
Im schwedischen Neonazi-Magazin Route 88 von Anfang 1999 bilanziert der deutsche Blood & Honour-Chef, der Berliner Stefan Lange (»Pinocchio«), stolz, daß in den letzten Jahren die Zahl der Sektionen auf 17 angewachsen sei und »everywhere people want to create new sections«. Die »Blood & Honour-Familie« umfasse inzwischen mehr als 200 Mitglieder, wobei diese Zahl mittlerweile nach oben korrigiert werden muß.
Die Entwicklung von Blood & Honour überrascht kaum, war doch der harte Kern der Naziskins in den letzten Jahren ständig auf der Suche nach einer auf ihn zugeschnittenen Organisierungsform.
Dies kam in den vergangenen Jahren vor allem der NPD und den JN zugute. Die Partei und ihre Jugendorganisation verfolgten die Strategie, sich der neonazistischen Jugendkultur als politischer Arm anzudienen. Mit Erfolg – im Februar 1998 hielt die NPD im bayerischen Passau einen »Tag des nationalen Widerstandes« ab, mehr als 90 Prozent der 5.000 TeilnehmerInnen waren Skinheads, die mit kaum für möglich gehaltener Disziplin den Reden der Parteioberen lauschten. Durch den massenhaften Zulauf von Naziskins wuchs der Landesverband Sachsen bis Ende 1998 auf 1.400 Mitglieder und wurde zum bundesweiten Vorzeigeobjekt.
Als Schwierigkeit erweist sich jedoch, daß das von der NPD proklamierte »Abenteuer Nationalismus« in letzter Zeit vermehrt an seine Grenzen stößt. Viele Großaufmärsche, als verbindende und sinngebende Momente aus der neonazistischen Erlebniswelt nicht wegzudenken, wurden in den letzten zwei Jahren entweder verboten oder durch antifaschistischen Widerstand zu einem Mummenschanz degradiert, bei dem die Glatzenkolonnen oft nur wenige hundert Meter weit marschieren konnten, bevor sie von der Polizei eilig in Busse verfrachtet und nach Hause geschickt wurden. Die NPD, die sich über die Gestaltung jener Erlebniswelt Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Jugendkultur schafft, muß dieses Feld zusehends dem Netzwerk von Blood & Honour und Freien Nationalisten überlassen, die sich in der Durchführung derartiger Veranstaltungen weitaus flexibler zeigen, über konspirative Mobilisierungssysteme verfügen und sich gesetzlichen Bestimmungen noch weniger verpflichtet fühlen als der NPD-Parteiapparat.
Desweiteren belasten hausgemachte Probleme das Verhältnis der NPD- und JN-Landesverbände untereinander und auch ihre Akzeptanz in der rechten Jugendkultur. Verschiedene Landes- und Ortsverbände, allen voran der mächtige Landesverband Sachsen, versprechen sich durch einen Ausschluß von Skinheads einen Imagegewinn in bürgerlichen Kreisen, was so weit geht, daß beispielsweise der Ortsverband der hessischen NPD-Hochburg Wölfersheim Skinheads und anderen »Kostümierten« den Zutritt zu seinen Veranstaltungen verweigert.
In dem Maße, wie heute das Verhältnis zu NPD und JN abkühlt, bieten sich die Freien Nationalisten und Blood & Honour an, das nun entstehende strukturelle Vakuum auszufüllen und sie präsentieren sich als radikale, aktionistische und identitätsstiftende Organisierungsmodelle mit einer – was besonders Blood & Honour betrifft – starken kulturellen Authentizität. Parallel hierzu engagieren sich einzelne Blood & Honour-AktivistInnen weiter im NPD-Spektrum, wie beispielsweise der Ludwigshafener Christian Hehl, der im April dieses Jahres in den Bundesvorstand der JN gewählt wurde.
Die sich verändernden politischen Konstellationen wurden bei verschiedenen Aufmärschen und Aufmarschversuchen der letzten Monate deutlich.
Als am 1. Mai eine NPD-Großdemonstration in Bremen in letzter Instanz gerichtlich verboten wurde, gelang es der NPD nicht, eine adäquate und wenigstens symbolische Ersatzveranstaltung zu organisieren. Die Freien Nationalisten schafften es hingegen, trotz polizeilicher Heerschau in ganz Norddeutschland mit 350 Personen einen kurzen Aufmarsch im schleswig-holsteinischen Ahrensburg durchzuführen. Auch nach dem Verbot der Demonstration gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944« am 5. Juni 1999 in Hamburg gelang es Freien Kameradschaften und Blood & Honour mit nur geringer Einbindung der NPD, sich mit 500 Personen im mecklenburgischen Ludwigslust zu versammeln.
Im badischen Bruchsal demonstrierten am 22. Mai 130 Neonazis, darunter regionale Blood & Honour-Gruppen, für die Freilassung des inhaftierten ehemaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert. Die NPD »durfte« dies zwar anmelden, ihre Redner jedoch wurden von den Glatzen, die 90 Prozent der TeilnehmerInnen stellten, mit demonstrativem Desinteresse bedacht. Der Redner der Freien Nationalisten wurde um so frenetischer bejubelt.
In der letzten Zeit wird eine immer größere strukturelle Übereinstimmung zwischen dem Spektrum Blood & Honours und den Zusammenhängen der Freien Kameradschaften sichtbar. Doch anders als noch bis Mitte der Neunziger Jahre, als Naziskins meist nur pöbelndes und randalierendes Fußvolk von selbsternannten »Führern« waren, zeigt sich mit Blood & Honour heute eine Organisationsstruktur, die in der rechten Jugendkultur verwurzelt ist, sich politisch eigenständig artikuliert und – ausgestattet mit dem entsprechenden Selbstbewußtsein – den alteingessenen Neonazi-Strukturen gegenüber zumindest einen gleichberechtigten Status hat.
Die Anfänge von Blood & Honour in Deutschland
Die ersten spürbaren Akzente von Blood & Honour in Deutschland wurden 1991 gesetzt. Die Stuttgarter Naziskinheadbande Kreuzritter für Deutschland knüpfte direkte Kontakte zur britischen Blood & Honour-»Kultband« Skrewdriver, baute unter dem Namen Skrewdriver-Service den Vertrieb derer Bandprodukte im deutschsprachigen Raum auf und organisierte mehrere Konzerte und Tourneen britischer Blood & Honour-Bands. Die Liaison mündete im Projekt German-British-Friendship (GBF), welches den Austausch zwischen den Bands beider Länder organisierte und auch gemeinsame Tonträger produzierte. GBF-Records, geleitet von Steffen Hammer, dem Sänger der Band Noie Werte, besteht heute als eines der führenden Labels und Versandunternehmen im süddeutschen Raum. Zum Geldverdienen sahen sich die britischen Ikonen zu dieser Zeit jedoch anderweitig um. Führende Blood & Honour-Bands wie bspw. Skrewdriver unterzeichneten lukrative Verträge mit dem deutschen Label Rock-O-Rama, dem zu dieser Zeit weltweiten Hauptproduzenten von Rechtsrock, wodurch ihre Platten und CDs in große Vertriebssysteme gelangten.
Über die Organisierung der Konzerte mit britischen Bands entstanden weitere Kontakte, vor allem auch in die neuen Bundesländer. Am Rande eines Skrewdriver- und Noie Werte-Konzertes 1991 in Brandenburg fand auf Initiative eines Journalisten ein Treffen zwischen Ian Stuart Donaldson und Denis Mahon, einem früheren Leiter der White Knights of the Ku-Klux-Klan aus den USA statt, welches zur Initialzündung zur Schaffung einer deutschen Klan-Sektion werden sollte. Die Naziskinheadbande um den Herausgeber des Heftes United Skins, Carsten Szczepanski, zeigte reges Interesse an der Idee, die deutsche Klan-Sektion blieb jedoch eine mediale Inszenierung.1 Szczepanski indes arbeitete nun verstärkt mit GBF zusammen und produzierte 1993 gemeinsam mit Noie Werte eine Solidaritätsplatte für die unter staatlichen Druck geratene deutsche Nazimusik-Szene. Als in der Folgezeit der Streit um den britischen Combat 18 (C18) auch nach Deutschland getragen wurde, war er eifrigster Fürsprecher der britischen Neonazi-Terrorgruppe. Obgleich 1995 wegen Anstiftung zum Mord an einem Angolaner zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt, gelingt es Szczepanski mit Hilfe seiner Kameraden bis zum heutigen Tag, United Skins weiterzuführen. Als Anschrift dient ihm die langjährige Postanschrift von C18 in London.
Seit 1990 unterhielten Neonazis der Berliner GdNF-Organisation Nationale Alternative (NA) enge Verbindungen nach Skandinavien. Sie nahmen an Wehrsportübungen in Schweden und Dänemark teil und luden ihre GastgeberInnen zum paramilitärischen Training nach Deutschland ein. Ihre Kontaktorganisationen waren der schwedische Vitt Arisk Motstand (VAM) und die dänische Danmarks National Socialistiske Bevaegelse (DNSB), die in ihren Ländern die Vernetzung innerhalb der militanten Naziskinheadszene bereits erfolgreich praktizierten. Vor allem die DNSB und der mit ihr assoziierte Versand NS 88 entwickelte sich in den Folgejahren immer mehr zum Ableger der dänischen Blood & Honour-Division.
1993 richtete dann Blood & Honour Deutschland ein »Hauptquartier« in Dänemark ein und firmierte unter der Anschrift der Nationalen Liste (NL) in Hamburg. Als GdNF-Kerngruppe war die NL eine der tragenden Säulen im internationalen Netzwerk der NSDAP/AO und diente hier als Verbindung zu NS-Auslandsgruppen in Skandinavien, vor allem zur DNSB. Parallel hierzu baute der damalige FAP-Funktionär Torsten Heise Verbindungen zu C18 auf, die zu der Zeit bemüht waren, die Kontrolle über Blood & Honour in England zu erlangen. Heise profilierte sich nachfolgend in der Organisation mehrerer Blood & Honour -Konzerte in Norddeutschland.
Zu dieser Zeit existierte Blood & Honour als ein eher informeller Zusammenschluß von bewährten Szene-Aktivisten, die damals schon in dem Ruf standen, zu den »Härtesten« zu zählen und die vor allem durch die professionelle Organisierung von Konzerten ein Gütesiegel in der Szene plazierten. Ab 1994 wurde dem ein festerer Rahmen gegeben und in Berlin die deutsche Muttersektion gegründet. Diese stand und steht unter der Leitung »ostdeutscher« Skins, wodurch sich Blood & Honour die Türen in die neuen Bundesländer weiter öffneten. Der Tod des britischen Blood & Honour-Anführers Ian Stuart Donaldson 1993 und nachfolgende Streitereien um dessen Erbe lähmten für einige Zeit auch in Deutschland die weitere Entwicklung, ab 1995/96 jedoch gelang es Blood & Honour, sich zu konsolidieren und nachfolgend zu expandieren.
Der Geschäftsbetrieb Blood & Honour
Während sich das kulturelle Engagement bspw. des Hochglanz-Rechtsrockmagazines Rock Nord eher daran orientiert, einen legalistischen, leicht konsumierbaren Mainstream-Rechtsrock zu etablieren und zu vermarkten, ist es Aufgabe von Blood & Honour, radikale politische Akzente zu setzen sowie den »grauen« und illegalen Markt zu bedienen. Aufgrund der (gerade bezüglich der Paragraphen der Volksverhetzung und der Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda) im europäischen Vergleich rigiden deutschen Gesetzgebung muß ständig an Systemen gefeilt werden, Produktionen und Vertriebe ins Ausland zu verlagern sowie die Einfuhr und den Handel über sogenannte »Ameisenstraßen« zu organisieren.
Blood & Honour kam von Anfang an zugute, über einen gewachsenen Kreis von erfahrenen Leuten im In- und Ausland zurückgreifen zu können. Vor allem die enge Anbindung an die GdNF-Strukturen, dem deutschen Knotenpunkt der NSDAP/AO-Gruppen, verschaffte ihnen einen wesentlichen Vorteil – sie konnten sich eines bereits bestehenden Netzwerkes bedienen, welches bislang die Einfuhr und die Verbreitung von illegaler NS-Propaganda von den USA, Schweden und Dänemark nach Deutschland organisierte. Über diese ständig weiterentwickelte »Versorgungslinie Nord«2, als dessen heutige Schnittstellen u. a. Blood & Honour Scandinavia (unter deren Namen der NS 88-Versand seit 31. März 1999 fungiert) und Jens-Uwe Arpe (der zeitweise in Schweden wohnhafte Sänger der Neonaziband Kraftschlag), genannt werden müssen, lief zum Beispiel 1998 die Herstellung und Verbreitung der CD »Rock gegen oben« der Berliner Band Landser. Aufgenommen in einem Berliner Tonstudio, wurde die CD in den USA gepreßt, über Skandinavien nach Deutschland geschafft und vom Hamburger Raum aus verteilt, wobei feste Kontingente in die verschiedenen Regionen gingen. Organisiert wurde die Verteilung von Torben Klebe, als Führungsperson von Blood & Honour und bei den Hamburger Freien Nationalisten gleichermaßen aktiv. Welchen Umfang die illegalen CD-Geschäfte annehmen, läßt eine Razzia im Oktober 1997 erahnen, als in den Räumen des Ladengeschäftes No Mercy Records in Kiel, welche offensichtlich als Zwischenlager dienten, 31.000 CDs mit neonazistischem Inhalt aus dem Versandhandel von NS 88 beschlagnahmt wurden. Inwieweit NS 88 bzw. dessen Betreiber, Marcel Schilf, ein in Brandenburg geborener dänischer Staatsbürger, in das Geschäft mit über 200.000 dort ebenfalls sichergestellten Raubpressungen involviert war, blieb unklar. Hergestellt wurden die CDs, so die Polizei, vor allem in Skandinavien und Osteuropa.
Gerade die östlichen Nachbarländer Polen, Tschechien, Slowakei und vermutlich auch Ungarn, – wo eine starke Blood & Honour-Szene mit guten Verbindungen nach Deutschland existiert – sind Bestandteile einer bedeutenden »Versorgungslinie Ost«. Dies meint die kostengünstige und von den jeweiligen Staaten kaum verfolgte Fertigung von CDs, die – teilweise in Reservereifen versteckt – eingeschmuggelt, in den angrenzenden deutschen Bundesländern zwischengelagert und dann über die »Ameisenstraßen« gehandelt werden. Im Rahmen einer Razzia gegen den wichtigsten deutschen Blood & Honour-Vertrieb Nibelungen-Versand in Lingen (Emsland), der eine einjährige Observation vorausging, hob die Polizei im November 1998 ein Erddepot bei Stralsund aus und fand ca. 5000 überwiegend indizierte CDs. Dem zur Zeit inhaftierten Betreiber des Versandes, Jens Hessler, wird eine illegale Gewinnabschöpfung in Höhe von mindestens 180.000 DM vorgeworfen, ein Haus und zwei PKW wurden vorübergehend eingezogen.
Eine weitere Methode des illegalen Vertriebs besteht darin, in Tschechien gebrannte CDs per Luftfracht nach Skandinavien zu transportieren und von dort aus weiter zu versenden. Ein beim NS 88-Versand aufgefundener Frachtbrief vom 30.03.1998 verweist auf eine Lieferung von über 2000 CDs, die vom Prager Flughafen an eine Adresse in Schweden geschickt wurden und von dort aus ganz offensichtlich an NS 88 weitergeleitet wurden. Kostenpunkt: Knapp 1000 DM, nicht einmal 50 Pfennige pro CD.
Bei diesen Geschäften wie auch bei der Durchführung von Konzerten, für die um die 30 DM Eintritt gezahlt werden muß, bleiben auf dem Papier satte Gewinne. Die dafür benötigte Logistik jedoch kostet Geld – in den Ameisenstraßen gibt es eine Reihe von MitverdienerInnen, Beschlagnahmungen, Geldstrafen, Anwaltskosten etc. müssen ebenso abgerechnet werden, zudem lebt ein Teil der Blood & Honour-AktivistInnen hauptsächlich von diesen Geschäften und pflegt einen nicht gerade bescheidenen Lebensstil. Für getätigte oder geplante Geldanlagen in Immobilien, wie zum Beispiel beim schwedischen Blood & Honour-Netzwerk erkennbar, gibt es erste Anzeichen.
Das Netzwerk von Blood & Honour
Die Durchführung von Großkonzerten ist nach wie vor eines der Standbeine von Blood & Honour und besonders darin zeigt sich der oft hohe Grad der Organisierung. Den VeranstalterInnen gelingt es häufig, Räume unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen (so beispielsweise als Geburtstagsfeier) anzumieten und über ein ausgeklügeltes Mobilisierungs- und Schleusungssystem bis zu 2.000 Personen an polizeilichen Verboten vorbei zu den Konzertorten zu manövrieren. Mobiltelefone, das Internet sowie die Bereitschaft, zu einem 100 Kilometer entfernten Ausweichort weiterzureisen, machen dies möglich. Als Beispiel hierfür sei ein Blood & Honour-Konzert mit den schwedischen Bands Midgards Söner und Ultima Thule 1996 im oberfränkischen Raum genannt. Nachdem AntifaschistInnen den Konzertort ausfindig gemacht hatten, wurde die Veranstaltung polizeilich verboten. Auch ein Ersatzort im ca. 80 Kilometer entfernten Nürnberg konnte aufgedeckt werden und wurde nachfolgend ebenso untersagt. Dennoch reisten über 1.500 Naziskins an, wurden über Telefon-Ketten und Schleusungspunkte in die Provinz umgeleitet, wo das Konzert an einem weiteren Ersatzort unbehelligt stattfinden konnte.
Ein Konzert im Juli 1999 im Hunsrück, bei dem ein großer Teil der ca. 800 ZuhörerInnen aus den Nachbarländern Belgien und Frankreich anreiste, um der Band Brutal Attack zuzuhören, zeigt die mittlerweile auch länderübergreifende Vernetzung.
Diese Struktur fließt mehr und mehr in die Organisierung neonazistischer Aufmärsche ein, was für Neonazigruppen ein weiterer Grund für die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Blood & Honour sein dürfte.
Das Geflecht der 100 Bands, der Merchandising-Vertriebe, der kleineren und größeren Versände und Dutzender von Skinzines zu entwirren und die einzelnen Unternehmen bestimmten Strukturen zuzuordnen, scheint ein aussichtsloses Unterfangen. Die Bands, Labels, Versände und Skinzines benennen sich um, fusionieren, lösen sich auf, GeschäftspartnerInnen zerstreiten sich, neue Verbindungen entstehen. Gerade im Versand- und Vertriebswesen sowie unter den Labels gibt es eine stattliche Zahl von Unternehmen, in die Blood & Honour eingebunden ist, wobei es nicht als entscheidend erachtet werden kann, ob deren Exponenten nun eine »feste Mitgliedschaft« aufweisen können, oder über enge wirtschaftliche und soziale Beziehungen mit Blood & Honour assoziiert sind. Augenscheinlich sind jedoch die regional großen Unterschiede der Blood & Honour-Gruppen bezüglich ihrer personellen Stärke, ihres Auftretens und ihrer Aktivitäten. Während in den nördlichen und östlichen Bundesländern dynamische und um Selbstdarstellung bemühte Gruppen agieren, scheinen bspw. die alteingesessenen Strukturen in Hessen und Baden-Württemberg eher daran interessiert, in Ruhe ihre Geschäfte zu machen.
Vom Organisationsaufbau her ist eine Affinität zum Rocker-Milieu unverkennbar – ein zum Kult erhobener Name, eine Muttersektion, der gegenüber die »Chapter« weisungsgebunden sind und dennoch weitgehend in Eigenregie handeln sowie eine Reihe von regional bedeutenden Gruppen und Banden, die mehr oder weniger in das Netz integriert sind. Laut Statut muß eine halb- bis ganzjährige Probezeit durchlaufen werden, bevor ein Anwärter sich als Mitglied rühmen kann. Bei den häufigen Streitereien versuchen anerkannte »Respektspersonen« zu vermitteln und regionale wie überregionale Gremien sind bemüht, die Aktivitäten zu koordinieren. Wer es denn an Ehrerbietung mangeln läßt, wie jener »Goof«, der bei einem Brutal-Attack-Konzert im Jahre 1998 Blood & Honour als »eine Gang- weiter nichts« bezeichnet haben soll, dem wird offen mit einem »Nachspiel« gedroht.3
Der nachfolgende kurze und unvollständige, Einblick in die Aktivitäten von Blood & Honour läßt Rückschlüsse auf die Vielseitigkeit, die Reproduktionsfähigkeit aber auch auf die Probleme der Blood & Honour-AktivistInnen zu.
Zu den größten Neonazi-Versänden in Deutschland zählt der Ultima-Tonträgervertrieb aus Halle (Saale), der Anfang 1999 aufgrund polizeilicher Repression vorübergehend eingestellt wurde. Sein Betreiber Sven Liebich eröffnete unlängst zusammen mit Kameraden das Ladengeschäft Midgard in Leipzig, die 1998 von ihm herausgegebene Zeitschrift New Dawn als »Rundbrief der Blood & Honour Sektion S.A.« brachte es bisher jedoch nur auf eine Ausgabe.
Als einer der Hauptversände im südwestdeutschen Raum besteht der Sturm Versand des bereits genannten Christian Hehl. Im Oktober 1997 eröffnete der bundesweit bekannte Blood & Honour-Aktivist in Ludwigshafen das Ladengeschäft Hehl’s World, welches aber nach wenigen Monaten aufgrund des antifaschistischen Widerstandes und des damit verbundenen Handlungszwanges der Behörden geschlossen wurde.
Weniger erfolgreich war eine antifaschistische Kampagne gegen das im Offenbacher Stadtteil Bieber (Hessen) ansässige Ladengeschäft Cd-Room, welches als Knotenpunkt mehrerer örtlicher Vertriebe und Skinzines dient. Sein Inhaber, Lars Schultz, hatte 1996 aus Stuttgart den Skrewdriver-Service Deutschland übernommen und Schultz-Spezi Michael Hansen organisiert über den Brutal-Attack-Service den Deutschlandvertrieb der Blood & Honour-Gründerband Brutal Attack. Ein gleichnamiges Magazin und das Blood & Honour-Fanzine Äbbelwoi-Exbress runden die Neonazi-Aktivitäten in dem kleinen Stadtteil ab, welche von den örtlichen Medien und der Polizei systematisch heruntergespielt werden. Die beiden Versände jedoch brachten offensichtlich nicht die geschäftliche Etablierung, die sich ihre Betreiber erhofft hatten. Das Ladengeschäft CD-Room wurde Ende 1998 in Wayjard umbenannt, die neonazistische Musik, laut Ian Stuart Donaldson doch der wesentliche Träger von Ideologie, ist zugunsten einschlägiger Markenkleidung (Troublemaker-Steetwear, Wallhall u. a.) weitgehend aus dem Sortiment verschwunden.
Besonders dynamisch zeigt sich die Entwicklung in einigen Regionen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns. Auch in Thüringen dient die aus Gera agierende und (nach Eigenangaben) knapp 100 Personen starke Neonazitruppe White Youth Germany – nach Beobachtungen des Verfassungsschutzes – dazu, »junge Skinheads an Blood & Honour heranzuführen«.4
In den westlichen Bundesländern sind es die schon genannten Gruppen der Freien Nationalisten, die in enger struktureller Verbindung und teilweise gar in Personalunion mit Blood & Honour stehen. Deren Knotenpunkte sind u.a.im Hamburger Raum die Kameradschaft um Christian Worch und Thomas Wulff, die die Szeneblätter Zentralorgan und Hamburger Sturm herausgibt und kürzlich erst den Zentralversand gegründet hat, der sich – ganz unbescheiden – zum Ziel gesetzt hat, »zu dem zentralen Versand des Nationalen Widerstandes zu werden«5 (Schreibweise im Original). Als Dreh- und Angelpunkt der organisierten Naziskinheadszene im Großraum Hamburg dient das Neumünsteraner Lokal Club 88. In Ostwestfalen-Lippe der Kreis um den alten GdNF-Kader Bernd Stehmann, der schon 1993 in der Tagespresse eine Traueranzeige (»see you in Valhalla«) für seinen tödlich verunglückten »Freund« Ian Stuart Donaldson schaltete.6 Heute gibt er mit dem Blatt Unsere Welt ein bundesweit bedeutendes Rechtsrock-Magazin heraus und errichtet darum einen Versandhandel. In der Region Südniedersachsen die Kameradschaft Northeim um Torsten Heise, zu dessen Kreis auch das Hildesheimer Blood & Honour-Blatt Axtschlag von Hannes Franke zählt. Besonderes Augenmerk verdient die Entwicklung im ober- und mittelfränkischen Raum, wo sich in den letzten Jahren eine ausgeprägte Infrastruktur aufgebaut hat. Die Schnittstellen der starken regionalen Szenen stehen größtenteils Blood & Honour nahe bzw. sind ihr angeschlossen – so im Nürnberger Raum das Label Di-Al-Records und die alteingessene Band Radikahl, in der Amberger Region das Skinzine United White & Proud oder in Coburg der Versand und das Label Dim-Records, dessen Inhaber Ulrich Großmann sich in der Vergangenheit im Aufbau weiterer Projekte und in der Durchführung von Konzerten recht umtriebig zeigte. Die Blood & Honour-Gruppe im Bamberger Umland, formiert um die Band Hate Society und deren Label, war erst am 27. Juni 1999 Gastgeber eines Organisationstreffens, an dem auch eine 14-köpfige Delegation des britischen Combat 18, darunter deren Führer Will Browning, teilnahm. Der Bamberger Bernd Peruch (»Pernod«), Sänger von Hate Society, zählt zu den bundesweit führenden Aktivisten von Blood & Honour. Zusammen mit Bernd Stehmann aus Bielefeld plant er derzeit die Neustrukturierung und Weiterführung des Nibelungen-Versandes.
Blood & Honour underground
Gerade das Zusammenwirken von Blood & Honour-Strukturen mit Kreisen der sogenannten Halbwelt ist in manchen Regionen – die noch Ausnahmefälle sein mögen – recht augenscheinlich. Dies ist jedoch weder neu noch überraschend. Wesentliche Berührungspunkte sind die in diesen Kreisen zum »Geschäft« gehörende Notwendigkeiten, wie das Waschen von Geldern und der Handel mit Waffen. Ein weiteres verbindendes Element ist das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. Vornehmlich in der Provinz und in Kleinstädten gelingt es Skinhead-Schlägerbanden bisweilen, sich als örtliche Machtfaktoren zu etablieren, woraus oft zwangsläufig eine Anbindung ans Spektrum der sogenannten »organisierten Kriminalität« erwächst. Zugute kommt den Neonazis auch, daß meist persönliche Kontakte zu den harten Kernen von Hooligangruppen bestehen, die in einigen Städten und Regionen dem Milieu angebunden und in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. Auch wenn in diesem Umfeld politische Ideen allzu leicht in den Hintergrund treten – in einigen Regionen sind Blood & Honour und andere Naziskinheadbanden nicht ohne Erfolg darum bemüht, eine ausgewiesen politische Struktur im Kriminellen Milieu zu etablieren. Daß dies zuweilen ein gefährliches Terrain ist, bekam am 25.03. 1999 der Neumünsteraner Sascha Meseberg zu spüren. Dem Naziskinhead aus dem Umfeld des Club 88 wurde aus nächster Nähe mit einer Pumpgun der Schädel zerschossen. Die Ermittler gehen von einer Abrechnung im kriminellen Milieu aus.
Blood & Honour ist – dies darf beim Blick auf deren geschäftliche Aktivitäten nicht in den Hintergrund geraten – auch in Deutschland ein Netzwerk mit einem hochgradig militanten und terroristisch ambitionierten Potential. Bombenbau-Kurse und Mordaufrufe gegen Linke (»a bullet in the head«) in »ihren«, von Dänemark aus vertriebenen Kriegsberichter-Videos, Waffen- und Sprengstoffunde bei ihren Aktiven, die Teilnahme an paramilitärischen Übungen, die Anbindung an Terrorgruppen sowie die einschlägigen kriminellen Lebensläufe ihrer ExponentInnen belegen dies deutlich.In einem vom Hamburger Sturm (Ausgabe August 1999) geführten »Interview aus dem Untergrund« plädieren martialisch aufgemachte »Nationalrevolutionäre Zellen« aus dem Kreis der Freien Nationalisten unverhohlen für die Bildung von terroristischen Kleingruppen und erklären dabei den britischen C 18 zum Vorbild. Blood & Honour und Hammerskins werden dazu angehalten, sich dabei mehr »einzubringen« und sich nicht auf die Organisierung von Konzerten zu konzentrieren. Der Skinheadszene empfehlen sie einen »Selbstreinigungsprozeß« gegen die »Fun-Glatzen und Schnulzen-Bands mit Wischi-waschi-Texten«. Erstellt wird der Hamburger Sturm von einer Gruppe Naziskins um den Hamburger Thorsten Bärthel und den Blood & Honour-Mann Torben Klebe.
Hinter den Fassaden von Blood & Honour
So bedeutend die Entwicklung von Blood & Honour in Deutschland in den letzten Jahren auch erscheint, so vorschnell erscheint es dennoch, von einer Erfolgsstory zu sprechen. Hinter dem Mythos verbergen sich häufig Profilierungssucht und Profitgier, Eitelkeiten und Eigennutz ihrer AktivistInnen und damit verbundene anhaltende Reibereien vor allem um die Aufteilung der Gewinne.
Nach neueren Quellen trat 1999 ein Großteil der sächsischen Blood & Honour Mitglieder aus und nahm einen nicht unwesentlichen Teil der Infrastruktur mit. Vorausgegangen waren Querelen um Movement Records (MR) aus Wilsdruff, zeitweise eines der Blood & Honour-Vorzeigelabels, welchem die Berechtigung entzogen wurde, »sich weiterhin als Label dieser Bewegung zu bezeichnen«. Der Grund: »Der BH-Bewegung (ist größer als die Sektion Sachsen) sind noch keine Beträge aus dem Geschäft der Firma MR zugegangen.«7 Christian Hehl, Betreiber des Sturm-Versandes klagt indes bitterlich die »nationale Solidarität« ein. Nachdem Hehl’s World dichtgemacht wurde und er daraufhin in finanzielle Schwierigkeiten kam, hatten selbst die »nationalen Verlage« offenbar nichts Eiligeres zu tun, als auf die Zahlung ausstehender Rechnungen zu drängen.8 Seit Juni 1999 sitzt Hehl eine einjährige Haftstrafe wegen eines Messerangriffs auf einen linken Skinhead ab. Der Ladung zum Haftantritt folgte er nicht und versteckte sich bei seinem langjährigen Weggefährten Andreas Gängel (Betreiber des Vision-Versandes), wo ihn die Polizei nach einem Tip aus der Szene schon nach wenigen Tagen dingfest machen konnte.
Auch Blood & Honour Offenbach hat(te) mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Diese betreffen vor allem Michael Hansen, der Personen aus seinem »unpolitischen« Umfeld in seine Neonaziaktivitäten hineinzog, die nachfolgend um ihre Existenz fürchten mußten und ihm nahelegten, die Stadt zu verlassen. Hansen fand – eine Pikanterie am Rande – Unterkunft beim Sänger der vielfach als »Verräterband« beschimpften Böhsen Onkelz in Frankfurt am Main. Die im Oktober 1998 festgenommenen Kuriere der Landser-CD erwiesen sich in der Mehrzahl völlig überfordert und plapperten bereits in der ersten polizeilichen Vernehmung munter drauflos. Nicht viel besser machte es auch Jens Hessler, als Betreiber des Nibelungen Versandes, dem Hauptversand von Blood & Honour, immerhin in gehobener Stellung tätig, der ebenfalls umfangreiche Aussagen machte, in denen er sich vor allem selbst belastete. Während sich Hessler des Verratsvorwurfes erwehren und sich dafür rechtfertigen mußte, daß sich auf seinem Computer und in dem Erddepot die beinahe kompletten Kundenlisten befanden, versuchte sein Kompagnon, kartonweise CDs beiseite zu schaffen, um diese auf eigene Rechnung zu verkaufen. Profilierungssüchtige Nazi-Kader werden für Blood & Honour in Zukunft ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen und beim Stelldichein mit dem kriminellen Milieu wird der eine oder andere Aktivist wohl noch feststellen müssen, das ihm dieser Anzug zu groß ist.
1) vgl. Antifaschistisches Autorenkolektiv: Drahtzieher im braunen Netz, Hamburg, 1996, S. 178
2) vgl. Versorgungslinie Nord, Hg. von Demos, Kopenhagen und Atze, Antifaschistische Zeitung Kiel, Broschüre 68 S. 7,- DM
3) United, White & Proud, Nr. 2, Amberg, ohne Jahresangabe
4) Ministerium des Innern des Landes Brandenburg: Verfassungsschutzbericht 1998, S. 25
5) Zentralorgan Nr. 6/99, Hamburg
6) Neue Westfälische Zeitung, 2.10.1993
7) Erstes offizielles Newsletter der BH-Bewegung (Schreibweise im Original), o.J.
8) Sturm Verlag, Katalog Nr. 2, November 1998
Dieser Artikel erscheint im November in:
White Noise; Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die international Nazi-Musik-Szene. Das Buch erschien letztes Jahr in England; die deutsche Übersetzung ist umfangreich aktualisiert. Herausgeber: RAT, Searchlight, Enough is Enough und AIB. Broschur 128 S., 19,80 DM
RAT, c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg – ISBN: 3-89771-803-0 Wir danken für die Genehmigung des Vorabdrucks.
Die Gründung und Entstehung von Blood & Honour in England
Die Ursprünge des Blood & Honour-Netzes gehen bis in das Jahr 1979 zurück, als die englische Neonazipartei National Front (NF) als Reaktion auf die steigenden Aktivitäten der antifaschistischen Rock Against Racism-Bewegung zur Gründung von Rock Against Communism (RAC) aufrief und hierfür die zu dieser Zeit führende Neonaziband Englands, die Gruppe Skrewdriver um Ian Stuart Donaldson, gewinnen konnte. Die Zusammenarbeit zwischen der NF und Aktivisten der englischen Naziskinheadszene führte 1984 zur Gründung des White Noise Clubs, ein Netzwerk von Bands, Konzertveranstaltern und Politfunktionären, welches den neonazistischen Musikgruppen die Möglichkeit eröffnete, professioneller als zuvor Platten zu produzieren und Konzerte zu veranstalten. Nachdem sich ein Teil der dort aktiven Naziskinheads von der NF finanziell betrogen fühlte, spalteten sie diese vom WNC ab und gründeten Blood & Honour. Uneingeschränkter Führer war Ian Stuart Donalson. Blood & Honour war der entfesselte WNC und wuchs zu einer politischen Organisation, wenn auch (zunächst noch) ohne feste Mitgliedschaften. »Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näherzubringen« umschrieb Ian Stuart Donaldson das politische Credo »seiner« Organisation und Blood & Honour wurde zu einem bedeutenden Umschlagplatz neonazistischer Ideologie und Propaganda. Stilmittel war die Skinheadkultur, Transportmittel die Musik. Ab Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre wurde Blood & Honour schließlich auch in anderen europäischen Ländern sowie in Nordamerika populär. Als Ian Stuart Donaldson 1993 bei einem Autounfall ums Leben kam, entbrannte ein Machtkampf in Blood & Honour, ausgelöst von der britischen Neonazitruppe Combat 18 (C 18), der es mit Gewalt und mit Intrigen gelang, die Führung von Blood & Honour an sich zu reißen. Unter dem Einfluß von C 18 wurde Blood & Honour mehr und mehr zum kulturellen Ableger, zum Deckmantel und zur Finanzierungsquelle einer terroristischen Neonazigruppe, die in der Folgezeit nicht einmal davor zurückschreckte, Kritiker sowie Konkurrenten auf dem lukrativen Markt der Neonazi-Rockmusik zu ermorden oder durch Briefbomben einzuschüchtern.
vgl.: White Noise, inside the international nazi skinhead scene; edited by n. Lowless and S. Silver, London 1998
Blood & Honour Konzert in Garitz/Sachsen-Anhalt
Am Samstag, den 4.09.99 fand in dem Restaurant Am Weinberg in Garitz bei Zerbst in Sachsen-Anhalt ein Naziskinkonzert statt. Anlass war der Todestag des ehemaligen Skrewdriver-Sängers Ian Stuart Donaldson. Die von langer Hand vorbereitete, gut organisierte Veranstaltung zog über 1.500 Leute aus Deutschland, den USA, Großbritanien, Polen, Tschechien und Dänemark an. Wenige Wochen zuvor wurde das Konzert von einem Brandenburger Blood & Honour-Mitglied als Rockwettbewerb für Jugendliche der Region angemeldet. Bereits vier Jahre zuvor fand in der Region schon einmal eine Großveranstaltung mit dem selben Hintergrund statt.
Geplant und organisiert wurde das Konzert von der Köthener Kameradschaft, welche mit derartigen Veranstaltungen bisher noch nicht in Erscheinung getreten war. Gelegentlich haben sich einige Kameraden an Großveranstaltungen der NPD beteiligt, so z.B. in Passau und Rostock. Den Höhepunkt des Abends stellte die amerikanische Band Blue Eyed Devil dar, welche wegen ihrer rassistischen Äußerungen und Texte in einigen US-Bundesstaaten verboten ist. Desweiteren spielten noch Chaos 88, ebenfalls aus den USA und Kraftschlag und Ultima Ratio aus Deutschland.
Zu Beginn des Konzertes, gegen 21.00 Uhr, hatten sich ca. 1.500 Personen eingefunden. Das Konzert lief ruhig und reibungslos bis 0.30 Uhr. Die letzten der Anwesenden verließen gegen 3.00 Uhr das Gelände. Die Landesbereitschaftspolizei in Magdeburg bekam um 13.30 Uhr einen Einsatzbefehl. Die ca. 150 Beamten waren mit der Situation vor Ort völlig überfordert. Die bei Straßenkontrollen beschlagnahmten Baseballschläger, Knüppel und anderen Waffen wurden im Anschluß den Besitzern wieder ausgehändigt. Die Polizei führte im Anschluß an das Konzert in der gesamten Region Kontrollen durch, bei denen Fahrzeuge aus dem gesamten Bundesgebiet festgestellt wurden. Etliche der Autos hatten eindeutige Aufkleber mit dem Schriftzug Blood & Honour.