Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey beharrt auf ihrem Auftritt
Wenn Micheline Calmy-Rey am 1. August das Rütli betreten will, steht sie möglicherweise vor einer gesperrten Wiese. Trotz Absage der Feier rechnen die Verantwortlichen mit hohen Kosten, weil Rechts wie Links die symbolische Wiese zu vereinnahmen sucht.
Ueli Bachmann
Das Aus für die Rütli-Feier zeichnete sich seit längerem ab. Nach dem gestrigen Entscheid der Rütlikommission gibt es definitiv keine Bundesfeier am 1. August auf dem Rütli. Andere Veranstaltungen sind nicht zugelassen. «Der Kommission blieb gar nichts anderes übrig, als die Feier abzusagen», sagte Martin Hofer, Sprecher der Kommission. Diese hat zuvor von Kanton und Stadt Luzern bekräftigt bekommen, dass am 1. August von Luzern aus keine Extraschiffe aufs Rütli fahren. Auf 161 Kilometern Uferlänge am Vierwaldstättersee wäre kein einziger von 33 Häfen offen gewesen, um die Gäste auf das Rütli zu schiffen, schreibt die Rütlikommission in ihrer Mitteilung.
Dass die aufwändigen Abklärungen nichts brachten, bedauert die Kommission zutiefst, das Resultat findet sie «beschämend». «Wäre nur ein einziger Hafen offen gewesen, hätte es eine Feier gegeben», sagte Hofer. Die Schuld ortet er nicht bei den Anreinerkantonen des Vierwaldstättersees, sondern führt die Ursache auf eine «Kette von Umständen» zurück. Vor allem der Kanton Schwyz hatte die Nase voll von einer Feier, die jährlich Kosten in Millionenhöhe verursachte wegen Sicherheitsvorkehrungen gegen den Aufmarsch von Rechtsextremen. Die Kantone Luzern, Schwyz, Uri und Nidwalden wollten nur noch Hand bieten, wenn der Bund sich finanziell beteiligt. Das schlug der Bundesrat aber aus. «Es ging uns nicht so sehr ums Geld, sondern um das Bekenntnis des Bundesrats für diese Feier an einem Ort von nationaler Bedeutung», sagte die Luzerner Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli.
Calmy-Rey bleibt hartnäckig
Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey gibt sich trotz Absage der Feier unbeirrt. Sie freue sich aufs Rütli und werde dort am 1. August persönlich anwesend sein, liess sie gestern über ihren Sprecher Jean-Philippe Jeannerat ausrichten. Die Bundespräsidentin beabsichtigte, an der «Frauen-Feier» auf dem Rütli mit Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi aufzutreten. Die beiden Frauen liessen sich gestern zusammen mit Rosmarie Zapfl von der Frauenorganisation Alliance F an einem «informellen Gespräch» von Judith Stamm von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft über die neusten Entwicklungen unterrichten. Die Bundesrätin wolle den Entscheid nicht kommentieren, sagte Jeannerat. Egerszegi versteht und unterstützt den Entscheid der Rütlikommission, bedauert aber die Absage, wie sie in einer Medienmitteilung schreibt.
Kosten trotz Absage sehr hoch
Nach Ansicht der Innerschweizer Polizeidirektoren bringt die Absage der Feier keine Lösung bezüglich Sicherheit. «Mit oder ohne Feier sind unsere Sicherheitsaufwendungen gross», sagte der Urner Polizeidirektor Josef Dittli. Dieser geht davon aus, dass das Rütli am 1. August frei zugänglich ist von allen Schiffstationen. Sollte das Rütli von einer gewaltbereiten rechten und linken Szene in Beschlag genommen werden, sei eine Sperrung bis im letzten Moment möglich. Wenn 600 Rechtsextreme aufs Rütli kommen, wie im Jahr 2005, könne das Rütli nicht einfach gesperrt werden. «Das ist zwar unschön, aber die Sicherheit ist dann nicht von vornherein gefährdet», sagte Dittli. Um das zu verhindern, müsste das Rütli präventiv gesperrt werden. Noch ist nicht geklärt, ob die Rütlikommission als Verwalterin oder der Bund als Besitzer des Rütli zuständig ist. Diese und andere Fragen wollen die Innerschweizer Polizeidirektoren noch klären.
Fernsehansprache vom Rütli
Selbst wenn Bundespräsidentin Calmy-Rey am 1. August der Zutritt zum Rütli verwehrt sein sollte, hat sie einen Auftritt auf dem Rütli: So soll gemäss Sprecher Jeannerat die offizielle Ansprache der Bundespräsidentin von SF DRS auf dem Rütli aufgezeichnet werden. Am Abend des 1. August ist Calmy-Rey in der Walliser Gemeinde Unterbäch zu Gast. Zudem steht ein gemeinsamer Auftritt mit Nationalratspräsidentin Egerszegi am Morgen in Lenzburg zur Diskussion.
So menschenleer dürfte das Rütli trotz Absage der Feier am 1. August nicht bleiben. Gaetan Bally/Keystone
KOMMENTAR
Jedem Dorf sein Rütli, bitte!
Marc Lettau
Man ist geneigt zu sagen: endlich! Endlich sagt die Rütlikommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft die Bundesfeier auf dem Rütli ab. Endlich versucht sie, den Darstellerinnen und Darstellern der immer schrägeren Rütli-Seifenoper die Bühne zu entziehen.
Das ist richtig, aber zu spät. Richtig ist es, weil der von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey gut gemeinte und mutig gemeinte Akt gegen die rechtsradikale Vereinnahmung des Rütli längst zur aufgesetzten Patriotismusschau geworden ist. Die halbwegs konstruktive Auseinandersetzung mit Identität und Werten dieses Landes fehlt dem Bühnenstück schon lange. Wie sehr es nur noch parteipolitisch aufgeladenes Armdrücken ist, zeigt etwa die Reaktion der SVP: Sie, die in der Regel nicht müde wird, dem Rütli als Wiege der Nation zu huldigen, degradiert den Ort heuer zur «Wiese voller Kuhfladen» – einzig weil die linke Bundespräsidentin dorthin drängt.
Dass Calmy-Rey nun trotz abgesagter Feier aufs Rütli gehen zu müssen glaubt, belegt nicht Beharrlichkeit, sondern Starrsinn und fehlende Distanz: Die Bundespräsidentin übersieht, wie sehr sie sich in der Rütli-Soap instrumentalisieren lässt. Die Folge der Uneinsicht: Der Kamerafokus boulevardesker Medien bleibt auf die Innerschweizer Grünfläche fixiert, weil jetzt erst recht hingeglotzt wird, ob sich auf der vom Fest, aber nicht von Calmy-Rey befreiten Wiese der Skandal nun doch noch ereignet. Ärgerlich ist die Schlussbilanz: Selbst wenn die glatzköpfigen Rechtsausleger unserer Gesellschaft heuer den Weg aufs Rütli gar nicht finden, werden sie die letzten Wochen als ihr Sieglein feiern und sich ernster genommen fühlen, als sie dies verdienen.
Fazit: Die Schweiz braucht vielleicht Bundesfeiern, aber niemals Bundesratsfeiern. Und ausserdem: Das Rütli-Theater hat unnötigerweise ein verqueres Bild der Bundesfeier zementiert und kränkt damit jene Gemeinden und Quartiere, die Jahr für Jahr auf ihre Weise ein wenig am Zusammengehörigkeitsgefühl zimmern – egal ob mit Höhenfeuer oder mit Multikulti-Grilliernachmittagen. All diesen Rütlis von Albligen bis Zuoz möchte man wünschen, dass sie nie von einem Bundesrat oder einer Bundesrätin beehrt werden.