RECHTSEXTREMISMUS · Im November 1995 überfielen 56 Neonazis im Kanton Luzern ein Festival für Völkerfreundschaft. Zehn Jahre später wollen Jugendliche eine Mahnwache abhalten. Der Hochdorfer Gemeinderat hat die Veranstaltung verboten. Besuch am Jahrestag des Überfalls.
Von Daniel Ryser
Die Nazis sind an diesem Samstag nicht nach Hochdorf gekommen, nach «Hofdere», wie die Einheimischen sagen. Die Nazis haben im Vorfeld in einem Internetforum diskutiert, wo sie sich mit einem «donnernden Heil Hitler» begrüssen, und sind dort zum Schluss gekommen: «Manche lernen es nie!» Und damit meinen sie die Jugendlichen, die in Hochdorf an diesem Samstag ein Zeichen setzen wollten gegen Neonazis und Gewalt. Doch der Gemeinderat hat die Gedenkveranstaltung im Kulturturm Braui verboten. Dort hatte vor zehn Jahren ein Überfall stattgefunden: 56 Neonazis stürmten ein Festival für Völkerfreundschaft und verletzten zehn BesucherInnen. Das Flugblatt, das auf die Mahnwache und die Infoveranstaltung mit dem Rechtsextremismusexperten und Journalisten Hans Stutz sowie die anschliessenden Konzerte hinweist, sei zu provokativ. Man könne nicht für die Sicherheit garantieren.
Sechs Mitglieder der IG Jugendliche für Toleranz und Respekt haben sich am Samstagmorgen trotzdem vor der Migros neben Rathaus und Kirche versammelt. Hier verteilen sie ihre Broschüren: «Wider das Vergessen!» Nicht viele Leute sind unterwegs, trotzdem sind die Flugblätter schnell aufgebraucht. «Schon gut, dass ihr das macht», sagen PassantInnen. Manche haben aber auch die Worte des Gemeindepräsidenten im Kopf: «So müsst ihr euch nicht wundern, wenn die Neonazis kommen.» Das bestätigt auch ein Jugendlicher, der schon öfter Ärger gehabt habe mit «solchen Halbschlauen», zum Beispiel an Bauernfesten in der Region. In Hochdorf selbst gebe es keine Neonazis, aber auf dem Land, im Seetal und im Freiamt, da gebe es sogar sehr viele. Das sagt auch Hans Stutz, Experte für Rechtsextremismus. Aus der Region stamme auch die Organisation Morgenstern, deren Mitglieder damals am Überfall auf das Festival für Völkerfreundschaft beteiligt waren.
Auch eine Journalistin von Radio Pilatus ist nach Hochdorf gekommen. Die Begrüssung ist freundlich. Sie kennt ein Mitglied der IG aus Kantizeiten. «Da habt ihr euch einen schlechten Tag ausgesucht», sagt sie und meint damit den Regen. Aber der Tag ist auch für sie nicht so gut. Denn die Flugblattverteilaktion verläuft unspektakulär, und sie muss doch zweieinhalb Minuten Sendezeit füllen. Den Menschen in Hochdorf scheint das vom Verbot ausgelöste bisschen Presse der letzten Tage schon zu viel des Guten gewesen zu sein, und die Journalistin hält das Mikrofon und den Minidisc-Recorder in den Händen und versucht PassantInnen anzusprechen, aber die müssen dringend zum Einkaufen oder haben andere Verpflichtungen und winken ab: Das Flugblatt hätten sie ja schon, und ja, sie fänden es gut, dass man gegen die Nazis sei. Aber ein Interview? Nein danke! Die Journalistin stöhnt ein wenig verzweifelt: «Jeder gibt mir einen Korb! Niemand möchte mit mir reden!» Dann verabschiedet sie sich und braust davon im Radio-Pilatus-Mini-Cooper.
Der Kulturturm Braui bringt laut Gemeinde «Kitt und Inputs» und will dank «öffentlicher Diskussion Impulse auslösen». Die Gedenkveranstaltung zum Neonaziüberfall wollte dann der Gemeinderat aber doch nicht in der Braui haben. «Wir werden Ihnen die gewünschten Räumlichkeiten und Plätze nicht zur Verfügung stellen», steht im Schreiben des Gemeinderates, mit dem er den VeranstalterInnen den Vertrag zur Raumnutzung eine Woche vor dem Anlass kündigte (siehe WOZ Nr. 44/05). Gemeindepräsident Peter Huber (FDP) am Telefon: «Diese Gedenkveranstaltung ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Sie setzt kein Zeichen für ein Miteinander. Durch die Veranstaltung fühlen sich Neonazis provoziert. Auf dem Flugblatt steht «Nazis auf den Mond». Man muss doch andere Meinungen akzeptieren.» Als wäre der Neonaziüberfall Ausdruck einer Meinung, die es zu akzeptieren gilt. Es ist wie in einem Dürrenmatt-Stück: Aufgrund der noblen Forderung nach Toleranz und Gewaltlosigkeit ist es in Hochdorf nicht möglich, ein Zeichen zu setzen gegen Intoleranz, weil dies die Intoleranten ausschliessen würde. Wahrscheinlich geht es aber sowieso um etwas anderes. Das vermutet auch Hans Stutz: Gemeindepräsident Huber sei FDP-Mitglied und wolle Hochdorf wachsen sehen, wolle so schnell wie möglich 10 000 Einwohner haben, und dafür brauche man ein gutes Image.
Im Gemeindeleitbild steht, dass man in Hochdorf zukunftsorientiert sei, man habe einen «entschlossenen Vorwärtskurs» eingeschlagen. Hochdorf brauche frisches Blut, fünfzig bis hundert Neu-zuzügerInnen pro Jahr, um «bald eine City» zu werden. Der Kulturturm Braui ist ein «Turm für alle!», denn «Kultur ist Begegnung!», eine «ideale Plattform für Kultur von Jodel bis Rock!». Man wirbt für die Dreifachturnhalle und für Wohnen am See und für den Güsel im Sack und für Bäume statt Autos und für kein Chaos im Lunapark, schliesslich sollen sich die Menschen in Hochdorf geborgen und sicher fühlen, in «Hofdere», und deshalb soll «mehr Polizeipräsenz für Ruhe und Ordnung sorgen». Vor einem Jahr begann die Region Seetal und mit ihr die Gemeinde Hochdorf mit einer Kampagne deutsche Unternehmen anzulocken: «Hartz hin oder her – deutsche Unternehmer zahlen bei uns keine Steuern.»
Wer auf solch «entschlossenem Vorwärtskurs» ist und im Gemeindeleitbild ein hyperproperes Bild zeichnet, der will keine braunen Flecken auf der weissen Weste. Schliesslich wurde schon in der Bibel Lots Frau in eine Salzsäule verwandelt, als sie einen Blick zurück wagte. Und vielleicht hat Gemeindepräsident Huber diese Haltung verinnerlicht, denn laut einem Marketingmenschen aus der Region hat man in Hochdorf «eine starke katholische moralische Grundhaltung» (siehe WOZ Nr. 47/04). «Vorbei ist vorbei», sagt der Gemeindepräsident am Telefon, und wenn man «Nazis auf den Mond» fordere, dann müsse man doch selbst extrem sein, auf die andere Seite halt, «nach links, linkslastig, linksextrem» (so Huber gegenüber «Schweiz aktuell»). Obwohl er es nicht sagt, es liegt auf seinen Lippen: Da muss man sich dann nicht wundern, wenn man eins auf den Deckel bekommt.
Der Gemeinderat wollte die Veranstaltung unter den Teppich kehren und hat das Gegenteil bewirkt. Der Reporter von «Schweiz aktuell» bezweifelte, dass der Flyer der Gedenkveranstaltung zur Gewalt aufrufe. Der «Blick» widmete dem Thema eine Seite inklusive Nico-Karikatur. Die Lokalzeitung «Seetaler Bote» warf dem Gemeinderat im Wochenkommentar mangelnde Courage vor: «Dass der Gemeinderat Ausschreitungen befürchtet, ist verständlich. Mit dem Verbot hat er aber nicht angemessen reagiert und sich den Vorwurf eingehandelt, er kusche vor rechten Hetzköpfen. Die Jugendlichen haben die Initiative ergriffen, ein Thema in Erinnerung zu rufen, das (leider) nichts an Aktualität eingebüsst hat. Der Gemeinderat hätte diese Initiative honorieren können, indem er mit den Jugendlichen eine Lösung gesucht hätte. Schliesslich, und dies wäre das Wichtigste gewesen: Der Gemeinderat hätte mutig ein deutliches Zeichen gesetzt: Rechtsextreme haben bei uns keine Chance.»
Für die Mitglieder und UnterstützerInnen der IG Jugendliche für Toleranz und Respekt habe der Gemeinderat durchaus ein Zeichen gesetzt, aber ein negatives. «Er interessiert sich nicht für unser Anliegen und toleriert damit indirekt den aufkeimenden Rechtsextremismus», sagt Roman*, Student, letzten Samstag im Café Ambiente am Braui-Platz. Boris, Wirt und Sprecher der IG, trinkt Kaffee und sagt: «Für uns waren die letzten Tage trotzdem ein Erfolg. Wir wollten an den Überfall erinnern. Und das ist uns gelungen.» Martina*, eine Lehrerin, nickt und Stefan*, ein Maschinenreiniger, hat erfahren, dass die Grünen demnächst eine Resolution verabschieden wollen mit dem Titel «Nein zur Behinderung antifaschistischer Aktionen durch Behörden und Polizei». «Das ist wichtig. Mit immer demselben Argument, man könne die Sicherheit nicht gewährleisten, werden Veranstaltungen wie in Hochdorf verboten. Wir hatten ein klares Programm: eine Mahnwache, einen Vortrag über Rechtsextremismus und Gewalt und zwei Konzerte. Es wäre Aufgabe der Gemeinde gewesen, dafür zu sorgen, dass dies möglich ist.»
Im Gegensatz zum Gemeinderat wollen die Jugendlichen aus der Region den Überfall nicht einfach vergessen. Eine Broschüre dokumentiert noch einmal jenen Abend im November. Einer hat auch eine Kopie des handgeschriebenen Aufrufs des Thurgauer Neonazis Pascal Lobsiger dabei, der damals zum Überfall führte. «Heil Kameraden», begrüsste der rechte Schläger. Der Aufruf zeigt: Eigentlich war an jenem Abend ein Überfall auf das Zürcher Niederdorf geplant gewesen, wo angeblich Lobsigers Freundin und andere «Kameraden» zusammengeschlagen worden waren. Die Neonazis änderten aber kurzfristig ihren Plan und fuhren nach Hochdorf. Nur ein paar Sätze stehen da, Treffpunkt und Zeitpunkt und am Schluss: «Wer nicht erscheint ist es nicht wert sich ein Kämpfer für unsere Rasse zu nennen. Erscheint alle in Schwarz mit Waffen und einem Tuch oder einer Sturmhaube.» Die Polizei konnte alle 56 am Überfall beteiligten Schläger (ausschliesslich Männer) eruieren. Lobsiger und zwei weitere Anführer mussten ins Gefängnis.
Eine Woche vor der verbotenen Gedenkveranstaltung las der Schriftsteller Peter Bichsel im Kulturturm Braui. Auch Mitglieder des Gemeinderates waren da und klatschten, und Bichsel sagte, noch nie habe ihm jemand den Unterschied erklären können zwischen Patriotismus und Nationalismus, und Letzteres sei ein Verbrechen. Derselbe Bichsel schreibt zum Begriff Heimat: «Ich bin da zu Hause, wo ich meinen Ärger habe.» Und: «Ich wünsche unserem Ärger einen guten Nachbarn: die kritische Zufriedenheit.»