Corona-Leugner radikalisieren sich

Sonntagsblick

Das Fedpol beobachtet eine steigende Gewaltbereitschaft. In Chats kommt es zu Todesdrohungen gegen Alain Berset. Nun wurde der Schutz ausgebaut.

FABIAN EBERHARD

Die Corona-Krise ist mit voller Wucht zurück. Und die Pandemie-Skeptiker werden aggressiver: In immer mehr Ländern schlagen Proteste gegen die Massnahmen in Gewalt um. Italien, Frankreich, Spanien – bei abendlichen Aufmärschen haben Demonstranten die Polizei angegriffen. In Deutschland entfalten Corona-Leugner sogar terroristisches Potenzial: Sie warfen Molotowcocktails und zündeten einen Sprengsatz.

Und in der Schweiz? Auch hierzulande radikalisiert sich ein Teil der Szene in rasendem Tempo. Ton und Taten werden militanter. Im Visier haben die Fanatiker alle, die vor den Folgen der Pandemie warnen: Virologinnen, Journalisten, Politiker.

Im Fadenkreuz der Radikalen steht insbesondere Gesundheitsminister Alain Berset. Als der Sozialdemokrat kürzlich schärfere Massnahmen des Bundes ankündigte, flippten einige Verschwörungsideologen in den Chats regelrecht aus.

«Leute, ich kann nicht mehr. Nie hatte ich so einen Hass im Herzen», schrieb ein User im Telegram-Kanal der sogenannten Corona-Rebellen. «Wenn ich das Bild von Herrn Berset sehe, der blanke Hass.» Ein anderer doppelte nach: «Wenn meinen Kindern etwas geschieht, dann hole ich euch Politiker bei euch zu Hause!! Wir kennen eure Adressen!!»

Am Samstag, 24. Oktober, um 17.09 Uhr, postete ein User mit dem Pseudonym MCDXCI eine Fotomontage, in der eine Pistole auf Bersets Schläfe gerichtet ist. Eine unmissverständliche Morddrohung gegen den SP-Bundesrat. Zum Hassobjekt wird auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Ihr wünschen einige der Corona-Leugner nichts weniger als den Tod. In der Facebook-Gruppe «Freunde der Verfassung» schreibt ein Mann Mitte 40: «Die ghörti scho längscht nach Birkenau. Angenehme ‹Dusche› geniessen.» Birkenau war ein Vernichtungslager der Nazis – mit Gaskammern, die als Duschen getarnt waren.

In Bern reagiert man alarmiert. Florian Näf, Sprecher des Bundesamts für Polizei (Fedpol), sagt: «Die steigende Gewaltbereitschaft der Corona-Leugner-Szene beschäftigt uns stark.» Die Entwicklung sei «besorgniserregend». Ungewöhnlich deutliche Worte für die nationale Sicherheitsbehörde.

Laut Näf beobachte man zurzeit eine deutliche Zunahme von Unmutsbekundungen, darunter Drohungen. Diese richteten sich vor allem gegen exponierte Stellen wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie gegen Politiker, die bei der Pandemiebekämpfung im Vordergrund stehen.

Der Fedpol-Sprecher bestätigt zudem: «In den letzten Monaten mussten die Schutzmassnahmen für einzelne Personen neu beurteilt und verstärkt werden.» Einzelheiten dazu gibt der Bund nicht preis. Es dürfte sich dabei aber insbesondere um Bundesrat Berset handeln.

SonntagsBlick weiss auch: Der Bund führte in Zusammenarbeit mit den Kantonspolizeien bei potenziellen Gewalttätern sogenannte Gefährderansprachen durch. Dabei sucht die Polizei einen Droher persönlich auf, schätzt dessen Risiko ein – und macht ihm klar, dass man ihn beobachtet. Ein Mittel, das sich bei Islamisten bewährt hat.

Wie ernst die Behörden die Corona-Leugner nehmen, zeigt ein Vorfall in Sitten. Unbekannte schickten einen Corona-Beschwerdebrief mit weissem Pulver an die Staatskanzlei des Kantons Wallis. Das Gebäude wurde sofort evakuiert. Später stellte sich heraus, dass es sich beim Pulver bloss um Stärke handelte.

Deutlich weiter gingen mutmassliche Corona-Leugner in Deutschland. Am letzten Wochenende schleuderten Unbekannte in Berlin erst mehrere Molotowcocktails auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts, die deutsche Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten, wenige Stunden später explodierte dann ein Sprengsatz vor den Räumlichkeiten der Leibniz-Gemeinschaft, einem Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen.

Verletzt wurde bei den Attacken niemand. In einem Bekennerschreiben forderten Fanatiker das sofortige Ende der Corona-Massnahmen und drohten mit weiteren Anschlägen. Das für rechtsextreme Gewalttaten zuständige Kommissariat des Berliner Landeskriminalamts hat die Ermittlungen übernommen.

Noch kam es in der Schweiz nicht zu vergleichbar militanten Aktionen. Als gestern Corona-Leugner und Verschwörungsideologen in Bern und Zürich aufmarschierten, blieb es mehrheitlich friedlich. Die Stimmung war allerdings deutlich gehässiger als bei ähnlichen Demos in den vergangenen Monaten.

Auf dem Bundesplatz störten die Massnahmen-Gegner eine Kundgebung des Pflegepersonals, vereinzelt zündeten sie Böller. Sowohl in Bern als auch in Zürich griff die Polizei rigoroser durch als auch schon und verhaftete mehrere Demonstranten.

Unterdessen hat sich der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) eingeschaltet – obwohl die Szene der Verschwörungsideologen und Corona-Leugner grundsätzlich nicht in dessen Zuständigkeit fällt. «Der NDB steht diesbezüglich in Kontakt mit den kantonalen Sicherheitsbehörden», sagt Sprecherin Isabelle Graber.

Der Chef des Nachrichtendienstes, Jean-Philippe Gaudin, kümmert sich zurzeit von zu Hause aus um die Sicherheit der Schweiz – er wurde vergangene Woche positiv auf Corona getestet.