300 Personen demonstrierten gestern gegen die zunehmende Gewalt
von Catherine Boss
BURGDORF · Die Stadtregierung von Burgdorf hat am gestrigen Aktionstag «Gegen Gewalt und Rassismus» ihre Bürger zu Courage aufgerufen. «Es darf nicht sein, dass nachts Rechtsextreme in unseren Gassen ‚Heil Hitler‘ skandieren und Menschen mit ‚Saujude‘ beschimpfen», sagte die SP-Gemeinderätin Elisabeth Zäch. Die Mehrheit dürfe nicht schweigen. Rund 300 Personen nahmen an der Kundgebung teil.
Auslöser für den Protest ist die kürzliche Attacke von 15 Rechtsextremen auf eine dreiköpfige Familie und deren Freunde in der Burgdorfer Altstadt. Drei Personen wurden verletzt. Sie erheben Vorwürfe gegen die Polizei: «Während ein Tatverdächtiger mit nach oben gerecktem Arm und ?Sieg heil?-Rufen daneben stand, fragte ein Polizist meine 53-jährige, verletzte Mutter, ob sie den Streit provoziert habe», erzählt Emanuele Brünisholz. Ein Rechtsradikaler lauerte einem Opfer später vor der Haustüre auf. Der Verfolgte musste sich über eine Stunde verstecken. «Es ist unverständlich, dass die Polizei die Tatverdächtigen nicht in Gewahrsam genommen hat, obwohl sie drei Personen verletzten», sagt Opfer-Anwalt Daniel Kettiger. Erst wenn sich ein Anwalt einschalte, nehme die Polizei solche Attacken ernst.
Regierung wird Massnahmen gegen Missliebige diskutieren
Zuvor war Emanuele bereits zweimal bei der Polizei, weil ihn die Neonazis mit dem Tod bedrohten. Die Gesetzeshüter unternahmen nichts. Die Polizei will die Vorwürfe nicht kommentieren.
Immerhin: Inzwischen steht die Musikerfamilie Brünisholz unter polizeilichem Schutz. Zudem beantragte der Gemeinderat bei der Kantonspolizei, die Nachtpatrouillen in Burgdorf zu verdoppeln. Dennoch lebt die Familie in Angst. «Meine Frau getraut sich kaum mehr aus dem Haus», sagt Erwin Brünisholz. Er hat nach dem Angriff eine Morddrohung auf sein Handy erhalten. «Du wirst bezahlen, dich legen wir um», meldete sich eine männliche Stimme. Die Polizei hat den Anruf verfolgt, der Mann rief aus einer Haftanstalt im Welschland an. Ob er Verbindung zu den Burgdorfer Rechtsextremen hat, klären die Ermittler ab.
Die letzte Attacke gehört zu einer ganzen Serie von Vorfällen. «Wer den rechten Kreisen nicht passt, muss mit Verfolgung rechnen», sagt Zäch. Die Angegriffenen schweigen meist – sie haben Angst. «Euch sollte man totschlagen», musste sich letzthin eine Burgdorferin sagen lassen. Einem Jungen haben die Neonazis angeblich das Hemd vom Leib gerissen und ihm mit einem Messer ein Hakenkreuz in die Brust geritzt. Ende Februar kam es zu einer Schiesserei, weil zwei Rechtsextreme einen Italiener bedrängten. Ein unbeteiligter Mann mischte sich ein. Als der Neonazi auf ihn zutrat, schoss er ihm in die Schulter und floh. Der mutmassliche Schütze sei ermittelt, teilte die Polizei gestern mit. Es sei auch gegen den verletzten Rechtsextremen eine Anzeige eingegangen.
Der Terror von rechts nimmt auch andernorts zu: «Seit Anfang Jahr haben wir für die ganze Region Bern überdurchschnittlich viele Meldungen», sagt Annette Lüthi von «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus». Der Trend gelte für die ganze Deutschschweiz, sagt Neonazi-Beobachter Hans Stutz.
Morgen diskutiert die Burgdorfer Regierung die Idee der Wegweisung von missliebigen Personen. Damit könnte die Polizei Neonazis fortschicken, wenn sie in Gruppen auftreten. Rechtsanwalt Kettiger verlangt zum Schutz der Opfer von der Regierung ein Rayon-Verbot für die Tatverdächtigen. Sie sollen die Altstadt von Burgdorf für drei Monate nicht mehr betreten dürfen.