Bund spielt rechte Gefahr runter

 

Der Sonntag vom 20.11.2011

Trotz deutscher Terrorzelle passt der Schweizer Nachrichtendienst seine Lagebeurteilung nicht an.

 

 

sandro brotz

Von Neonazis geht in der Schweiz keine grosse Gefahr aus. So sieht es der Nachrichtendienst des Bundes. Dabei pilgerte ein Pnos-Mitglied schon 2008 nach Zwickau – wo die Terrorzelle untergetaucht war, die zehn Morde begangen hat.Der Name einer Stadt geht um die Welt: Zwickau. Von Sachsen im Osten Deutschlands aus operierte das Mörder-Trio. Nach Zwickau zog es am 26. Oktober 2008 auch einen Schweizer Neonazi: Mario Friso, Mitglied der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), Sektion Berner Oberland. Eingeladen von der rechts-extremen NPD in Zwickau, referierte der 28-jährige Spiezer über «die Wichtigkeit eines europäischen Kampfes gegen Imperialismus und Kapitalismus». Bis heute ist der Bericht dazu im Internet abrufbar. Ein Foto zeigt Friso mit zwei bekannten Neonazis: Thomas Gerlach und Peter Klose werden von deutschen Medien dem Umfeld der rechten Terrorzelle zugerechnet. Gerlach gilt als Schlüsselfigur der Rechtsextremen in Zwickau und stammt aus Thüringen – wie das untergetauchte Trio. Klose ist NPD-Stadtrat und hatte laut «Die Welt» vermutlich Kontakte zu den Mördern.

Friso war Pressesprecher der Pnos und verlor dadurch den Job als Koch in einem Berner Coop-City-Center. «Friso ist heute nicht mehr Pnos-Mitglied», behauptet Präsident Dominic Lüthard. Auf die Reise nach Zwickau angesprochen, meint Lüthard, Mitglieder müssten «selber wissen, wo sie hingehen».

Lüthard gibt die braune Richtung vor: Am Pnos-Parteitag vor rund einem Monat im Kanton Luzern präsentierte er stolz Axel Reitz als Redner. Das 28-jährige NPD-Mitglied ist wegen Volksverhetzung und Verwendung von Nazisymbolen mehrfach verurteilt, wie der «Tages-Anzeiger» schrieb. In einem Pnos-Video beklagt Reitz, der sich «Gauleiter Rheinland» nennt, die «Vernichtung von Europa» durch Einwanderer. Sein Kampfappell tönt wie eine Drohung: «Wollen wir Tiger sein oder wollen wir Schafe sein?»Mit keinem Wort geht der Schweizer Nachrichtendienst in seinem Jahresbericht 2010 auf die engen Kontakte zwischen Rechtsextremen in beiden Ländern ein. Dabei ist die Liste lang und bedenklich. Zwei weitere Beispiele:

Roland Wagner, Nationalratskandidat und Vizepräsident der Schweizer Demokraten, gab 2007 einem deutschen Neonazi eine Art Trainingsstunde am Sturmgewehr 90.

Die Spur eines bei Lörrach bei Basel verhafteten süddeutschen Neonazis führte vor zwei Jahren in die Schweiz. Laut «Wochenzeitung» bastelte er an Bomben und suchte die Zusammenarbeit mit Schweizer Neonazis.

Für Extremismus-Experte Samuel Althof ist klar: «In der rechtsextremen Szene der Schweiz gibt es durchaus Personen, die ein hohes Gewaltpotenzial wie in Deutschland entwickeln könnten.» Althof muss es wissen: Er hat ein Netzwerk zur systematischen Erfassung von Neonazis im Internet aufgebaut und war an Forschungsprojekten zu Rechtsextremismus beteiligt.

Seine beunruhigende Analyse: «Mordanschläge, wie sie in Deutschland geschahen, sind auch in der Schweiz denkbar.» Die Situation hierzulande könne nicht mit Deutschland verglichen werden, sagt dagegen der Vizedirektor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), Jürg Bühler, dem «Sonntag»: «Der Rechtsextremismus in Deutschland hat eine andere Qualität, die Mitglieder sind dort viel gewaltbereiter als bei uns» (siehe Kasten). Extremismus-Experte Samuel Althof widerspricht. Aus unzähligen Gesprächen mit Neonazis und Aussteigern sieht der Basler Psychotherapeut im rechtsextremen Milieu «ein dominanzorientiertes, vereinfachtes und sehr gefährliches Denken, das nur Schwarz-Weiss-Lösungen kennt». Im Gegensatz zu Bühler stellt Althof keinen rückläufigen Trend fest: «Die rechtsextreme Szene in der Schweiz ist in den letzten Jahren konstant geblieben.»

Zu körperlichen Angriffen durch Rechtsextreme kam es dieses Jahr in Lausanne VD und in Hinwil ZH. Dabei wurde in der Westschweiz der Assistent eines Rabbiners und im Zürcher Oberland ein Chilbibesucher verletzt, der gegen den Hitlergruss des Schlägers eingriff. Die von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus geführte Chronologie registrierte dieses Jahr bisher 52 Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund.

Eine Serie von sieben Todesopfern mit rassistischem Hintergrund gab es in der Schweiz Ende der 80er-Jahre. Rechtsextremismus-Experte Jürg Frischknecht zählt Fälle in Chur, Zürich und der Westschweiz auf. Dass 20 Jahre später der Nachrichtendienst die rechte Gefahr runterspielt, bezeichnet Frischknecht als «in der Tradition liegend».

So gipfelt die Einschätzung zur Neonazi-Szene Schweiz im NDB-Jahresbericht in Eigenlob: «Der allgemeine Rückgang der rechtsextremen Aktivitäten hierzulande» wird auf eine «direkte und verbesserte Prävention und Repression» zurückgeführt. Insgesamt gelte die Lage in Europa als «relativ ruhig». Da lag der NDB genauso daneben wie der deutsche Verfassungsschutz.

Das Mörder-trio von zwickau

Die «Braune Armee Fraktion», wie die drei Neonazis von den deutschen Medien in Anlehnung an die «Rote Armee Fraktion» genannt werden (von links nach rechts): Beate Zschäpe (36), die sich der Polizei stellte. Uwe Böhnhardt (34) und Uwe Mundhals (38) erschossen sich selbst. Mindestens vier weitere Verdächtige befinden sich im Visier der Ermittler. Der Verdacht: Die Terrorzelle NSU («Nationalsozialistischer Untergrund») hatte ein Netzwerk an Helfern.

«In Deutschland gewaltbereiter als bei uns»

Nachrichtendienst-Vize Jürg Bühler über die rechte Terrorzelle und die Gefahr für die Schweiz

Nach Erkenntnisstand des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) hatte die rechte Terrorzelle «keine personellen Verbindungen in die Schweiz». Dies sagt NDB-Vizedirektor Jürg Bühler dem «Sonntag». Es gebe einen regen Informationsaustausch mit den entsprechenden Partnerdiensten. Bühler hält fest: «Die innere Sicherheit der Schweiz ist auch nach den Ereignissen in Deutschland nicht durch Rechtsextreme bedroht.» Die Situation hierzulande könnte nicht mit Deutschland verglichen werden: «Der Rechtsextremismus in Deutschland hat eine andere Qualität, die Mitglieder sind dort viel gewaltbereiter als bei uns.»

Die Kritik von Neonazi-Experten, der Bund spiele die rechte Gefahr in der Schweiz herunter, weist Bühler zurück: «Sicher nicht.» Die Aufgabe des NDB sei die präventive Bekämpfung im Bereich Gewaltextremismus: «Wir versuchen, Gefahren im Voraus zu erkennen, um so Probleme zu verhindern.» Rechtsextreme Ereignisse mit Gewaltbezug zeigten in der internen Statistik «einen rückläufigen Trend», so Bühler. Letztes Jahr wurden 55 rechtsextrem motivierte Ereignisse registriert. Darunter waren 13 mit Gewalttaten, vor allem Schlägereien. Die bisherigen Zahlen für das Jahr 2011 würden diesen Trend bestätigen.

Die Kontakte zwischen Neonazis in der Schweiz und Deutschland spielten sich laut Bühler «meist an privaten Anlässen ab, die wir nur von aussen beobachten dürfen». Er sieht den Nachrichtendienst bei der Informationsbeschaffung durch die bestehenden Rechtsgrundlagen limitiert: «So dürfen wir nur öffentlich zugängliche Quellen auswerten, Auskünfte einholen, amtliche Akten einsehen und Beobachtungen an öffentlichen Orten durchführen, aber weder Telefonverbindungen und private Räume überwachen noch in Computernetzwerke eindringen.»(BRO)

 

Ganzes Interview auf www.sonntagonline.ch