Brauner Sumpf im Freiamt?
Beinwil Aufgelöste Rechtsradikalenversammlung hatte laut Polizei nichts direkt mit der Region zu tun.
Eddy Schambron
Flackert der Rechtsradikalismus im Bezirk Muri wieder auf? Nein, sagen Bezirksamtmann und Polizei. Vor gut fünf Jahren war das anders.
Die Versammlung von 155 der rechtsextremen Szene zuzurechnenden Personen auf dem Allmendhof in Beinwil sei zufällig im Freiamt organisiert worden. «Sie bedeutet nicht, dass im Bezirk Muri die Rechtsextremen wieder zunehmende Aktivitäten entwickeln», sagt Rudolf Woodtli, Chef Informationsdienst der Kantonspolizei. 76 Polizisten und Polizistinnen lösten die Veranstaltung auf (AZ vom Montag). Mehrere Personen werden wegen Hinderung einer Amtshandlung und allenfalls wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte und wegen Verstoss gegen das Antirassismusgesetz zur Anzeige gebracht.
Szene wird beobachtet
Bezirksamtmann Urs Hoppler ist wie Woodtli der Ansicht, dass die Versammlung nichts mit dem Freiamt direkt zu tun hat. «Es waren nur wenige Freiämter unter den Leuten.» Das Lokal von Bauer Toni Broch, von einem 19-Jährigen aus der Region für eine «Geburtstagsfeier» gemietet, sei bewusst gewählt worden, weil es privat sei und damit von keinem staatlichen Organ kontrolliert wird. «Diese Nische wurde bewusst genutzt.» Hoppler bestreitet nicht, dass es im Freiamt eine rechtsradikale Szene gibt und dass diese von der Polizei permanent aufmerksam beobachtet wird. «Die Namen sind uns bekannt.» Aber die Szene verhalte sich seit einiger Zeit ruhig und habe sich auch nicht verstärkt.
«Immer präsent»
Zuständig im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus ist die Kantonspolizei. Aber die Regionalpolizei hat ebenfalls die Augen offen. «Wir stellen fest, dass Rechtsradikale vor allem an Waldfesten im Freiamt vermehrt in Erscheinung treten», sagt Daniel Selm, stellvertretender Chef der Repol Muri. Natürlich ist das nicht strafbar, «aber es zeigt, dass Rechtsextremismus latent vorhanden ist». Die Repol hat die Weisung, entsprechende Beobachtungen und Vorkommnisse der Kantonspolizei zu melden.
Peter Wiederkehr, Leiter der Jugend-, Ehe- und Familienberatungsstelle des Bezirks Muri, kann die Feststellungen der Polizei unterstreichen. «Offene Gewalt von Rechtsextremen gegen so genannt Linke oder Ausländer, wie wir sie vor fünf Jahren hatten, ist heute kein aktuelles Thema.» Auch auf den Schulhöfen habe sich die Situation verbessert. «Insofern gewinnt die rechte Szene im oberen Freiamt nicht an Bedeutung, ist aber zweifellos präsent.»
Das war vor gut fünf Jahren anders: Der Druck und die Auswüchse von Rechtsradikalen auf Andersdenkende nahmen 2001 zu. Da wurden Punks mit dem Auto verfolgt und, falls sie erwischt wurden, geschlagen. «Bomberjacken» lauerten beim Jugendhaus, in gewissen Schülerbussen gab es «Hackordnungen», die von rechtsextremen Schülern durchgesetzt wurden. Als einigerm0assen sicher galt der Bahnhof Muri, weil hier immer Leute anwesend sind und die Polizei regelmässig patrouillierte.
Material beschlagnahmt
Jetzt wird das Material, das am Samstag in Beinwil beschlagnahmt wurde, beurteilt und festgestellt, wie weit es gegen die geltende Gesetzgebung verstösst. «Schwieriger wird es sein, die von der Band gespielte Musik beziehungsweise deren Texte zu beurteilen», stellt Bezirksamtmann Urs Hoppler fest. Für die Polizei war «sogar kaum noch feststellbar, wer Musiker war und wer nicht». Im Vordergrund stehen Vergehenstatbestände, welche mit Gefängnis oder Busse geahndet werden, und Gewaltandrohung gegen Beamte. «Die polizeiliche Auflösung dieser Veranstaltung ist aber auch das klare Zeichen, dass die Behörden aufmerksam sind», betont Hoppler. «Extremismus wird weder von rechts noch von links toleriert.»
Handlungsbedarf in seiner Gemeinde sieht Gemeindeammann Toni Zemp nicht. «Die Polizei hat richtig gehandelt. So etwas darf man auf keinen Fall aufkommen lassen.»
In der Öffentlichkeit wird der Begriff Skinhead meist als Synonym für Neonazi gebraucht. Doch Rechtsradikalismus hat viele Gesichter. Keystone
«Die sind von der anderen Sorte»
Allmendhof-Bauer Toni Broch wurde überrascht
«Sie waren sehr zuvorkommend», sagt Allmendhof-Bauer Toni Broch. Als dann aber immer mehr kahl rasierte Männer auftauchten, merkte er, dass da etwas nicht stimmte. «Die sind von der anderen Sorte, sagte ich zu meiner Frau Nadia.» Der Besuch der Polizei auf die Meldung einer Drittperson bestätigte Broch dann, dass da keine gewöhnliche «Geburtstagsfeier» ablief. «Wir sind überrascht worden.» Er habe nicht gewusst, dass der Mieter zur rechtsradikalen Szene zu zählen sei. «Er war sehr nett zu mir.»
Angst, dass ihm die ganze Geschichte schaden wird, hat Toni Broch nicht. Immerhin ist noch ein Umnutzungsgesuch für die ohne Baubewilligung ausgebaute Scheune hängig. «Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.» Abgesehen davon seien alle Anlässe zuvor in seinem «Gourmet-Paradies» gut abgelaufen. (es)
Miteinander gegen Gewalt
Bezirk Muri bietet eine Notfall-Telefonnummer
Seit 2002 gibt es im Bezirk Muri die Anlaufstelle «Miteinander gegen Gewalt» für Lehrkräfte, Jugendliche und Eltern. Über die Telefonnummer 079 761 14 61 wird ein Erstkontakt und Beratung für Betroffene von (rechtsradikaler) Gewalt angeboten. Zwar fand die Stelle anfangs nicht jene Resonanz, welche man erhofft hatte. «Trotzdem hat das Projekt in der Öffentlichkeit ein hohes Problembewusstsein ausgelöst», ist Peter Wiederkehr, Leiter der Jugend-, Ehe- und Familienberatung des Bezirks Muri, überzeugt. Heute wird die Notfallnummer immer wieder mal gewählt.
In verschiedenen Schulhäusern stehen zudem Briefkästen bereit, welche Schülerinnen und Schüler als Anlaufstelle bei erlebten oder beobachteten Gewaltvorfällen nutzen können. Ausserdem ist auf www.miteinander-gegen-gewalt ein Notfall-E-Mail möglich. (es)
Hammerskins, Pnos usw.
Es existieren verschiedene rechtsradikale Organisationen. Die «Hammer skins» beispielsweise verstehen sich als elitäre Bruderschaft. «Blood and Honour» ist ein Netzwerk von neonazistischen Skinheads. Die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) ist eine Schweizer Partei, die im Jahr 2000 gegründet und 2001 vom Schweizer Bundesamt für Polizei als rechtsextreme Organisation eingestuft wurde.