Berner Zeitung: ANSCHLAG Im August 2007 endete ein Konzert in der Berner Reitschule um ein Haar im Inferno. Seit heute steht der mutmassliche Bombenleger jener Nacht vor dem Bundesstrafgericht. Der Prozessauftakt verzögerte sich jahrelang.
Laute Musik, ausgelassene Stimmung, tanzende Menschen – mittendrin eine tickende Bombe: Was nach dem Horrorszenario jedes Konzertbesuchers tönt, spielte sich am 4. August 2007 in der Berner Reitschule ab.
Es ist der Abend des zweiten antifaschistischen Festivals. An die 1500 Besucher befinden sich in der Grossen Halle. Die schottische Punkband Oi Polloi spielt gerade auf, als sich Benzingeruch in der Zuschauermenge ausbreitet. Einem Besucher fällt in der Nähe des Mischpults ein herrenloser Rucksack auf. Die herbeigerufenen Sicherheitskräfte bringen den verdächtigen Gegenstand ins Freie. Was sie noch nicht wissen: Das Gepäckstück enthält drei PET-Flaschen voll mit Benzin sowie ein mit Feuerwerkspulver gefülltes Plastikrohr, das per Kabel mit einem Zeitzünder verbunden ist. Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich bezeichnet die Vorrichtung später in einem Bericht als «klassische Rohrbombe». Der Sprengsatz detoniert schliesslich, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Augenzeugen berichten von einer rund fünf Meter hohen und mehrere Meter breiten Stichflamme – kaum auszumachen, was diese inmitten der Feiernden angerichtet hätte.
Ab heute steht der mutmassliche Bombenleger vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona. Die Anklage lautet auf Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie versuchte Sachbeschädigung und versuchte Brandstiftung.
Karabiner als heisse Spur
Dem Prozess ging ein jahrelanges juristisches Hickhack voraus, welches die «Wochenzeitung» (WOZ) im April 2014 ausführlich beleuchtete. Demnach wurde die Justiz erst eineinhalb Jahre nach dem vereitelten Anschlag auf den mutmasslichen Täter aufmerksam. Zuvor tappte die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland im Dunkeln, stellte im Februar 2008 die Ermittlungen mangels Hinweisen gar ein. Schliesslich war es der Angeklagte selbst, der die Behörden auf die richtige Spur brachte, indem er ein Gesuch für einen Waffenerwerbsschein stellte.
Beim routinemässigen Hintergrundcheck stellte sich heraus, dass der Mann seit längerem in rechtsextremen Kreisen verkehrte. Ausserdem wurde er wegen rassistischen Äusserungen in einschlägigen Internetforen angezeigt. Wenig später wurde bekannt, dass sich der junge Mann aus dem Berner Seeland trotz fehlender Bewilligung einen Karabiner zugelegt hatte. Die Behörden lehnten das Gesuch daraufhin ab und ordneten stattdessen eine Hausdurchsuchung an.
Dabei stiessen die Beamten auf ein veritables Waffen- und Munitionsarsenal. Überdies fanden sie auch eine Kiste mit Anleitungen sowie Materialien für den Bombenbau. Vieles deutete auf eine Beteiligung am Anschlag auf das Festival hin. Eine DNA-Analyse bestätigte schliesslich: Der Mann hatte definitiv seine Hände mit im Spiel.
Im März 2013 brachte die Bundesanwaltschaft, welche den Fall in der Zwischenzeit übernommen hatte, den Fall zur Anklage. Allerdings lautete diese lediglich auf Verstoss gegen das Betäubungsmittel- sowie Waffengesetz – das Sprengstoff-Delikt fehlte. Der zuständige Staatsanwalt des Bundes begründete dies damit, dass dem Verdächtigen weder der Bau des Brandsatzes noch das Platzieren des Rucksackes eindeutig nachgewiesen werden könne.
Doch noch vor Gericht
Gegen diese Begründung wehrte sich der Verein Musik und Kultur, welcher das «Antifa-Festival» organisiert hatte. Mit Erfolg. Das Bundesstrafgericht hiess die Beschwerde gut: Es liege «kein Fall von klarer Straflosigkeit» vor, auch wenn der «harte Beweis» fehle. Somit gelte der allgemeine Grundsatz, wonach im Zweifel eine Anklage zu erheben sei. Und so kommt es also am Bundesstrafgerichtin Bellinzona nun zu einer ordentlichen Verhandlung. Doch selbst bei einer Verurteilung, der Bombenanschlag auf die Reitschule ist damit nicht restlos aufgeklärt. Denn: Es deuten viele Indizien darauf hin, dass der Bombenleger nicht alleine gehandelt hatte.