Blocher bewegt

Neue Zürcher Zeitung 02.12.2010

Die SVP setzt in der Kunst des Politikmarketings neue Massstäbe – und ist der Konkurrenz weit voraus

René Zeller

Die SVP vermittelt neben Klartext auch Nestwärme. Das in Zürich erprobte «Wir-Gefühl» trägt schweizweit Früchte. Die Konkurrenz schaut zu und staunt. «Die SVP ist eine Bewegung.» Mehr zu sein als eine gewöhnliche Partei – das sei eines der Erfolgsrezepte der SVP. Christoph Blocher gab dieses «Geheimnis» anno 2000 im Zürcher Albisgütli preis. Eine Mitgliedschaft bei der Volkspartei sei nicht vergleichbar mit jener in einem Golf- oder Philatelistenklub. Das SVP-Mitglied zeichne sich dadurch aus, dass es Fronarbeit leiste, sich aktiv, unentgeltlich, unermüdlich auf allen Stufen für die Partei engagiere. Der Konkurrenz gab Blocher zu bedenken: «Eine Partei, die keine Bewegung mehr ist, die sich damit begnügt, die lukrativen Ämter unter sich zu verteilen, erstarrt.»

Swissness

Wenn die Analyse Christoph Blochers falsch gewesen wäre, hätte die SVP in den nachfolgenden Wahlen – und soeben an der Urne – keine durchschlagenden Erfolge gefeiert. Die anderen Parteien müssen deswegen nicht gleich in Ehrfurcht erstarren. Aber sie sollten sich mindestens überlegen, was die SVP besser macht. Die lapidare Antwort lautet: Die SVP mobilisiert besser.

Ende der siebziger Jahre mutierte der Kanton Zürich zum Labor für eine «konservative Revolution». Die SVP begann, in hoher Kadenz Publikumsanlässe zu organisieren. Schauplätze waren vorzugsweise Bauernhöfe, Weinkeller, Dorfbeizen, Schiessstände, Freiluftbühnen. Die Konkurrenz belächelte oder verspottete diese urchige Versammlungskultur als rückwärtsgewandte Folklore. Als Blocher 1989 erstmals zur Albisgütli-Tagung einlud, erschien gleichwohl eine tausendköpfige Fangemeinde. Blocher bewegte die Massen.

Die programmatische Rezeptur von Christoph Blochers Zürcher SVP umfasste neben der Verteidigung von Unabhängigkeit und Neutralität schon damals die Ausländerpolitik. Kennzeichnend war zudem der Kampf für einen schlanken Staat. Verpackt wurden diese Inhalte, die heute integraler Bestandteil des schweizerischen SVP-Programms sind, konsequent in eine heimatlich-konservative Hülle. Diese SVP-Swissness manifestierte sich 1995 auf der Zürcher Bahnhofstrasse. Wenige Wochen vor den nationalen Wahlen feierten mehrere tausend Anhänger Christoph Blocher und dessen Botschaften («Ja zur Schweiz, Nein zu EWR und EU»). Trachten, Fahnen, Alphörner, Treichler prägten – nebst einer randalierenden rechtsextremen Splittergruppe – das Ambiente.

Symbolik und Tradition

Die SVP setzt systematisch auf Symbolik, auf Geschichte und Tradition. Sie vermittelt ihren Mitgliedern das Gefühl, einer trotzig-verschworenen Grossfamilie anzugehören. Diese kämpft Schulter an Schulter gegen den Rest der Schweiz. Vorzugsweise im Alleingang, aber kraftvoll und unbeugsam.

Wenn die SVP ruft, steht die Basis früh auf. Und sie geht weite Wege. Im September 1997 strömten bei Tagesanbruch tausend Mitglieder der Zürcher SVP zu einer Landsgemeinde zusammen. Auf der nass-glitschigen Altrüti in Gossau, dem geografischen Mittelpunkt des Kantons, wurde im Frühtau das Beresina-Lied intoniert. Christoph Blocher plädierte fürs Schweizerische, für den Kleinstaat, gegen Europa. Eine Resolution wurde verlesen. Alle Hände schnellten zustimmend empor.

Im September 2003 forderte die SVP Schweiz ihre Delegierten auf, auf die Älggi-Alp zu wandern. Hier, im geografischen Zentrum der Schweiz, forderte Parteipräsident Ueli Maurer den unermüdlichen Einsatz für «Schweizer Qualität». Die Versammelten, die unter freiem Himmel auf Strohballen und Holzbänken Platz genommen hatten, waren natürlich einverstanden.

Die SVP hat eine Meisterschaft entwickelt in der Kunst, sich selber zu inszenieren. Sie feiert Jubiläen, die gar keine sind. Als sich 2005 das Ende des Zweiten Weltkriegs zum sechzigsten Mal jährte, organisierte ein Komitee unter SVP-Nationalrat Toni Brunner im zürcherischen Rafz eine Gedenkfeier. Zu Hunderten marschierten die Teilnehmer auf den Hügel Gnal. Bundesrat Blocher hielt ein flammendes Votum gegen die Auflösung von Grenzen (und gegen Schengen). Eine Fahnenwache in antiquierter Uniform flankierte ihn.

Vaterländisches Spektakel

Das Bestreben, anders aufzutreten als die politische Konkurrenz, ist längst nicht mehr nur in Zürich Programm. SVP-Jassturniere werden schweizweit ausgeschrieben, an SVP-Grümpelturnieren stellt sich die nationale Parteiprominenz ein. Die SVP Baselland veranstaltet ihre Landsgemeinden in Schulanlagen, die SVP Obwalden hat den historischen Landenberg wiederentdeckt. Als die schweizerischen Delegierten 2001 den Halbkanton beehrten, verkündete der kantonale Parteipräsident stolz: «Auf keinem andern Platz kann die SVP die symbolische Stärke der direkten Demokratie besser demonstrieren als hier auf dem Landenberg ob Sarnen.»

Im Wahljahr 2007 kochten in Bern die Emotionen hoch. Die grossangelegte Kundgebung der SVP in der Bundesstadt geriet zum Fiasko für die örtlichen Behörden. Mehrere hundert gewaltbereite Linksaktivisten verhinderten, dass der Wahlkampfanlass der SVP planmässig stattfinden konnte. Dieser Krawall war der unrühmliche Kulminationspunkt des letzten eidgenössischen Wahlkampfs. Der Marsch durch die Berner Altstadt blieb der SVP verwehrt, nicht aber der Durchmarsch bei den Wahlen selber.

Die SVP marschiert weiter. Die Maschinerie ist bestens geölt: personell, konzeptionell, finanziell. Christoph Blocher bewegt die Basis nach wie vor. Als er sein Erfolgsrezept in Zürich erprobte, stand ihm Hans Fehr als Parteisekretär tatkräftig zur Seite. Der SVP-Nationalrat und unermüdliche Parteisoldat hat vor kurzem die Auns verlassen, um 2011 den Wahlkampf der Volkspartei zu befeuern. Also wird es auch künftig an vaterländischem Spektakel nicht mangeln. Die nächste SVP-Landsgemeinde findet am kommenden Wochenende unter dem freien Himmel des Waadtlands statt.