Der Lega-Präsident verunglimpft Bundespräsi-dentin Ruth Dreifuss auf die übelste Weise. Das Tessin schaut weg. Wie lange noch?
Autor: Von Antonio Cortesi, Lugano
Giuliano Bignasca lässt keine Gelegenheit aus, um sein zweifelhaftes Image als Exponent der politischen Unkultur zu pflegen. Als Multiplikator dient ihm dabei sein Gratisblatt „Il Mattino della domenica“. Sonntag für Sonntag fällt der Chef der Lega dei Ticinesi über neue Opfer her, verunglimpft Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit Verbalinjurien und skandalösen Illustrationen. Strafrechtliche Folgen steckt der mehrmals rechtskräftig verurteilte Parteipräsident scheinbar locker weg. Mehr noch: Weil bei der Leserschaft ein Effekt der Abstumpfung droht, greift der Rechtsaussen zu immer primitiveren Mitteln.
An Geschmacklosigkeit alles Bisherige übertroffen hat Bignasca in der „Mattino“-Ausgabe vom Sonntag. Die neuste Attacke, terminiert auf den Nationalfeiertag, galt Ruth Dreifuss. Die Bundespräsidentin wird auf der Frontseite in einer üblen Fotomontage als Sexgirl mit riesigen Brüsten verunglimpft. Darüber prangt als Schlagzeile „Vaffanculo“ („Leckt mich am A…“) – so der unappetitliche 1.-August-Wunsch von Bignasca und Lega-Nationalrat Flavio Maspoli an die Adresse Berns. In der Unterzeile folgt die abstruse Erklärung für die Illustration: Obwohl hier zu Lande immer mehr Menschen unter der Armutsgrenze lebten, gebe der Bundesrat Milliarden für die Kosovo-Flüchtlinge aus; entsprechend hätten „die Masse“ der Bundesrätin zugenommen.
Schweigen von Fall zu Fall
Das Erstaunliche: Die Tessiner Öffentlichkeit hat die schmutzige Brühe ohne einen Aufschrei der Empörung geschluckt. Leicht übel wurde es am Montag lediglich der linksliberalen Tageszeitung „La Regione“. Sie kommentierte die neusten Ausfälle Bignascas in einem kleinen Einspalter auf Seite drei unten als „rekordverdächtige Vulgarität“. Gerade Ruth Dreifuss, die in ihrer 1.-August-Rede viel Verständnis für die italofone Minderheit der Schweiz gezeigt habe, habe eine solche Verunglimpfung zuletzt verdient. Und der anonyme Schreiber fragt: „Wie lange werden die Tessiner solche Imageschädigungen noch tolerieren?“.
Die Frage trifft den Nagel auf den Kopf. Denn das Verhältnis der hiesigen Medien, politischen Parteien und Amtsträger zu den sonntäglichen Anwürfen aus der Lega-Zentrale ist äusserst zwiespältig. „Augen zu und durch“, lautet in der Regel die Devise. Im Juni letzten Jahres beispielsweise konnte Bignasca in seinem Blatt ungebremst mit üblen antisemitischen Sprüchen um sich schlagen. Erst als die Deutschschweizer Presse das Thema aufgriff, stellte man sich in den Medien des Südkantons nicht mehr taub. Inzwischen ist der Lega-Chef von der Tessiner Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Anti-Rassismus-Strafnorm zu einer Busse von 7000 Franken verurteilt worden. Bignasca hat Rekurs eingereicht.
Umgekehrt, wenn es ihnen in den Kram passt, können die Tessiner Medien äussert rasch auf noch so haarsträubende Geschichten des „Mattino“ reagieren. So geschehen im letzten November, als Bignasca zwecks Verhinderung der vom Ringier-Verlag mitgetragenen neuen Sonntagszeitung „Il Caffè“ den Vorwurf konstruierte, das Blatt werde indirekt vom Kanton mitfinanziert. Die drei Tessiner Tageszeitungen zogen tags darauf die Geschichte in voller Länge nach, ungeprüft. Der Vorwurf hat sich inzwischen in Luft aufgelöst. Aber es gab ein Bauernopfer: Ringier-Manager Marco Solari trat vom Präsidium des Tessiner Verkehrsvereins zurück.
„Ekelhaft, ein Skandal“
Ob es diesmal im Tessin bei einem grossen Schweigen bleiben wird, ist offen. Bignasca hat die bisher grösste Dreckschleuder benutzt, doch er hat einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt. Da die Politik Sommerpause macht, haben viele den Artikel gar nicht wahrgenommen. Chiara Simoneschi-Cortesi, CVP-Grossrätin und Präsidentin der eidgenössischen Frauenkommission, genügte aber die Schilderung einer Freundin. „Ekelhaft und ein Skandal“, sagt sie. „Eigentlich müsste das ganze Tessin aufstehen und sich entrüsten.“ Zugleich befürchtet sie, dass Bignasca drei Monate vor den Wahlen damit noch mehr Publizität erhielte.
Auch der linksfreisinnige Ständerat Dick Marty, selber oft Zielscheibe von Bignascas populistischen Attacken, schwankt zwischen Nichtbeachtung und Protest. „Schlimm ist, dass solche Politiker längst salonfähig geworden sind, nicht nur im Tessin.“ Blocher agiere auf nationaler Ebene nach demselben Muster. Marty warnt: „Der Faschismus in Italien hat seinerzeit auf genau gleiche Weise angefangen.“
Einig sind sich beide, dass nun endlich auch die Tessiner Regierung reagieren müsste. Und in der Tat: „Ich distanziere mich in aller Form von diesem Artikel“, erklärte gestern Regierungspräsident Marco Borradori auf Anfrage. Damit weist die Regierung Bignasca zum ersten Mal in die Schranken. Die klare Stellungnahme überrascht zudem, weil sie von einem Lega-Staatsrat kommt. Borradori stellte eine Erklärung der Gesamtregierung in Aussicht.
Dreifuss prüft rechtliche Schritte
Mit Konsequenzen hat der Lega-Chef auch seitens der Bundespräsidentin zu rechnen. Man prüfe rechtliche Schritte, sagte EDI-Sprecherin Catherine Cossy. Ob Dreifuss gegen diese „Verletzung ihrer persönlichen Würde“ klagen wolle, werde sie demnächst entscheiden. Die Magistratin befand sich gestern auf einer Bergwanderung und wollte vorerst nicht in den Ferien gestört werden.