Wirbel um neues Phänomen an Demonstrationen: Gewerbe protestiert, Polizei reagiert, Sprayer enerviert
Rudolf Gafner
Parolen mit Kreide kritzeln statt mit Sprühfarbe sprayen: eine neue Erscheinung an Demonstrationen in Bern, erstmals festgestellt an der Irak-Friedenskundgebung am 15. Februar. Und erstmals massiv zur Anwendung kam die Kreide beim «4. Antifaschistischen Abendspaziergang» vom 1. März: Am Abendspaziergang 2002 war nämlich heftig gesprayt worden, so dass die Polizei eingriff, es zu Zusammenstössen kam, und heuer wollten es die Veranstalter aus Berns linksautonomer Szene nicht dazu kommen lassen. Wer spraye, fliege aus der «Demo» raus, wurde über Megafon gewarnt – damit aber dennoch «die Stadt bunt» werde, verteilten Aktivisten Strassenkreide.
Polizei wie auch Presse sahen es eher gelassen, hängten das Thema tief, zumal Kreide ja leicht fortzuputzen sei; die Polizei meldete, an der «ruhigen» Demonstration seien «kaum Sachbeschädigungen» angerichtet worden. Innenstadt-Organisationen und Gewerbetreibende indes sahens ganz anders: Der Antifa-Aufmarsch sei «keinesfalls so friedfertig» verlaufen, die Kreide-Sprüche seien eine «massive Sachbeschädigung», von der Polizei werde «entschlosseneres Vorgehen» erwartet, fand die Spezialgeschäfte-Vereinigung Bern Shopping. Ähnlich tönte die Vereinigung Heit Sorg zu Bärn, die zu dem Thema jetzt gar eine parlamentarische Diskussion initiieren will: Der neue Trend sei «Besorgnis erregend», der Schaden «beträchtlich», die Polizei solle «konsequent vorgehen – und bei künftigen Demos keine Toleranz walten lassen».
Polizei zeigt Härte gegen Kritzler
Gespannt erwartet wurde denn auch der letzte Donnerstagabend, denn da würde sich zeigen, wie mit dem Phänomen fortan umgegangen werde: Angesagt war eine Palästina-Kundgebung – und auf dem Flugblatt wurde ausdrücklich aufgerufen, Kreide mitzunehmen. Und siehe: Polizei-Einsatzleiter Ulrich Bütikofer drohte, wer mit Kreide kritzle, riskiere eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. – Die Polizei toleriert es also doch nicht, sie frisst die «Demo»-Kreide nicht.
«Die Polizei war sich der rechtlichen Situation zu wenig bewusst, und hinzu kommt, dass die Kreide offensichtlich doch nicht so leicht zu entfernen ist», erklärt Stapo-Informationschef Franz Märki. Eine juristische Prüfung habe gezeigt: Kreide-Kritzelei falle unter Sachbeschädigung – ja, im Rahmen von Demonstrationen sei es sogar ein Offizialdelikt, das heisst, die Polizei muss es von Amts wegen verfolgen. Dies will sie denn künftig auch tun. Mehr noch: Polizeikommandant Daniel Blumer ist in Kontakt mit Bern Shopping und dem Oberstadt-Leist, diese Woche soll ein Merkblatt mit Tipps zum Entfernen von Kreide-Graffiti verbreitet werden, und geplant ist laut Märki eine Aufklärungskampagne in Schulen, da vor allem Teenager als Kritzler aufgefallen seien.
Sprayer-Wut auf «Antifa-Polizei»
Und: Die Polizei hat die autonome Antifa («Antifaschistische Aktion») und das «Bündnis Alle gegen Rechts» angeschrieben und ihnen als Demonstrationsveranstaltern die rechtliche Sachlage dargelegt.
Aufgewühlt war nach dem Antifa-Marsch übrigens nicht nur das Berner Gewerbe, sondern auch die Antifa-Szene. Denn dass der «Berner Demoschutz» im Sinne eines Ordnungsdiensts Sprayer und Provokateure in die Schranken gewiesen hatte, löste einen Streit aus: Die Antifa sei Polizei, Politik und Presse auf den Leim gekrochen, der «Demoschutz» sei eine «Demopolizei» und «nicht mehr tragbar», fanden in Internet-Debatten die einen – ach was!, hier protestierten vorab «Wirrköpfe» ohne politisches Verständnis, es gehe um die Stärke der Antifa-Bewegung, fanden andere.
Eine Gruppe «Sprayende Kinder der Freiheit» rief gar zur «Protestdemo», um Polizei wie «Antifa-Demopolizei zu zeigen, was Sache ist» – nämlich: «Den lächerlichen Kreide-Kinderkram übersprayen». Die Polizei war parat, doch die «Demo» blieb aus – die «Kinder der Freiheit» waren auch szeneintern isoliert.