POLIZEIPOLITIK / Linksgrüne verlangen in der Stadt wie übrigens auch auf Kantonsebene die Bildung einer Polizei-Fachkommission. Der bürgerliche Polizeidirektor Wasserfallen wehrt das Ansinnen ab.
? RUDOLF GAFNER
Der Polizeieinsatz beim «Antifaschistischen Abendspaziergang» vor einer Woche habe einmal mehr gezeigt, «wie schnell die Grenzen der Verhältnismässigkeit überschritten werden können», sagte Annemarie Sancar, GB-Stadträtin und als Stadtratspräsidentin dieses Jahr protokollarisch die höchste Bernerin, gestern vor den Medien. Polizeiliches Handeln sei grundsätzlich heikel, bewege es sich doch in einem «Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit». Die Polizei habe insbesondere die Grundrechte der Menschen zu schützen, doch «kommt es immer wieder zu Situationen, wo diese Rechte auch durch die Polizei verletzt werden». Hinzu komme das revidierte kantonale Polizeigesetz, das «zu willkürlichem Handeln geradezu einlädt», so Sancar, während auf der anderen Seite die Polizeiarbeit selber zu wenig kontrolliert, begleitet werde. Gerade für eine wirksame parlamentarische Kontrolle fehle es an Zeit, Kraft und Fachwissen.
Die Polizei kritisch begleiten
Mit einer Motion, die nächsten Donnerstag im Stadtrat deponiert wird, fordert die linksgrüne Fraktion (Grünes Bündnis, Grüne Partei, Junge Alternative) deshalb die Einsetzung einer «verwaltungsexternen Polizei-Fachkommission», die sich aus Fachleuten der Bereiche Bürger- und Menschenrechte, Polizeipraxis, Staats- und Verwaltungsrecht, aber auch Sozial- und Familienpolitik zusammensetzen soll. Diese soll die Stadtregierung und Parlamentskommissionen in Polizeifragen beraten – um so «das polizeiliche Handeln zu optimieren», etwa wenn es um den Schutz der Grundrechte geht, aber andererseits auch, um bereits «präventiv Fehlentwicklungen zu verhindern», vorab wenn es um polizeilichePrioritätensetzung geht, also etwa um die Frage, wo wann welche Polizeipräsenz angezeigt ist, «gegen Raser oder gegen Kiffer». Die Fachkommission soll die nötigen Mittel und Befugnisse, so insbesondere Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte, erhalten.Sie soll auch Polizeiübergriffe untersuchen können. Aber sie soll ausdrücklich nicht die Ombudsstelle der Stadt konkurrenzieren, ebenso wenig die Rolle der Geschäfts-prüfungskommission (GPK) des Stadtrats, wie GB-Stadträtin Catherine Weber, Vizepräsidentin der GPK und Leiterin der GPK-Polizeidelegation, sagte. Im Übrigen, sagte Weber, gelte es zu bedenken, dass es ja zu vielen Themen besondere Fachkommissionen gebe, im KantonBern seien dies rund 30 – doch ausgerechnet im Polizeibereich, «wo es um die Grundrechte geht», gebe es hierzulande, anders als in anderen Ländern, noch keine. Dies soll sich nach dem Willen der Linksgrünen nun ändern, und zwar nicht bloss in der Stadt Bern, sondern auch auf Kantonsebene, wo GrossrätinRegula Rytz nächste Woche gleichfalls eine Motion für eine Fachkommission einreichen wird. Die Bürgerlichen hätten, so etwa mit der DNA-Profildatenbank, der Polizei «ständig grösseren Ermessensspielraum» gegeben, und für den Vollzug vonAusschaffungen gebe es keine Kriterien für Zwangsmittel, beklagte sie.
GB will Wasserfallen bremsen
Dem GB-Vorstoss im Stadtrat ist indes mehr politische Brisanz beizumessen als Rytz‘ Pendant im Grossen Rat, denn angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse hat die Forderung in der Stadt wesentlich bessere Chancen auf Durchkommen als im bürgerlich dominierten Kanton. Und der GB-Vorstoss imStadtrat ist um so pikanter noch, als es selbstredend natürlich auch darum gehen soll, Polizeidirektor Kurt Wasserfallen, den rechtsfreisinnigen Stachel im rot-grün dominierten Gemeinderat, «in die Schranken zu weisen». Hierin versage die RGM-Mehrheit nämlich völlig, «diese Verantwortung wird massiv zu wenig wahrgenommen», sagte GPB-Stadtrat Daniele Jenni. Die Fachkommission könne als beratende Stelle des Gemeinderats positiv einwirken. Einen konkreten Fall solchen rot-grünen Versagens gegenüber Wasserfallscher Politik ortet Jenni bei den Wegweisungen störender Auffälliger aufgrund Artikel 29 des Polizeigesetzes («Lex Wasserfallen»): Immer mehr Kreise seien davon betroffen, diese Polizeipraxis sei von einer «unkontrollierbaren Dynamik», innert nur eines Jahres sei die Anzahl der Wegweisungen von 340 auf 790 hinaufgeschnellt. Jenni geht jetzt rechtlich vor, um die Wegweisungspraxis zu Fall zu bringen (vgl. «Bund» vom 26. 2.), doch müsse auch politisch reagiert werden, meint er – so mit der Bildung der Fachkommission.
Kurt Wasserfallen gibt zurück
Die geforderte Kommission sei schlicht und einfach «nicht nötig» und würde die Polizeiarbeit allenfalls nur «erschweren», sagte dazu Wasserfallen auf Anfrage. Die heutige parlamentarische und exekutive Kontrolle genüge sehr wohl: «Wenn ich so die Schweiz ansehe, so sind wir wohl dasjenige Land mit der grössten demokratischen Kontrolle über die Polizei.» Und es gebe ja auch noch die Gerichte, die angerufen werden könnten. Und:«Dass beim GB-Vorstoss natürlich auch Misstrauen gegen meine Person mitspielt, ist so, und ich erwarte es auch nicht anders.» Wasserfallen verhehlt seinerseits denn auch nicht, was er umgekehrt von den Linksgrünen hält – nämlich nicht viel: Die GB-Leute habe er am Donnerstag bei der Antifa-Debatte im Stadtrat ganz genau beobachtet – und festgestellt: «Sie haben sich als einzige nicht explizit von Gewalt distanziert.»