Basel: Umstrittenes Urteil schlägt hohe Wellen in der Politik

srf.ch

Nach einem Urteil gegen eine Demonstrantin sehen Politiker und Anwälte die Unbefangenheit des Strafgerichts in Gefahr.

ernb

«Acht Monate Gefängnis unbedingt» lautete das Urteil des Basler Strafgerichts Mitte September. Auf der Anklagebank sass eine Frau, die 2018 an einer Demonstration gegen die rechtsextreme Partei PNOS dabei war. Bei Ausschreitungen am Rande der sogenannten «Basel Nazifrei»-Demo wurden mehrere Personen, auch Polizisten, verletzt.

Das Urteil sorgt in Basel derzeit für heftige Diskussionen. Grund: Die Frau war zwar an der Demonstration dabei, eine Beteiligung an Gewalttaten konnte ihr jedoch nicht nachgewiesen werden. Dass die Frau eine unbedingte Gefängnisstrafe wegen Landfriedensbruchs erhielt, wird als zu hart kritisiert – nicht nur von Anwälten, sondern auch von Politikern aus dem linken Lager.

Art. 260 LandfriedensbruchArt 260 im Strafgesetzbuch lautet: «Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Dieser Gesetzesartikel sorgt immer wieder für Diskussionen. Der Vorwurf: Wer demonstriert, wird kriminalisiert.

«Ich bin erschrocken über die Höhe des Urteils», sagt beispielsweise SP-Grossrätin Danielle Kaufmann, die 2018 auch gegen den PNOS-Aufmarsch demonstriert hatte. Sie lehne jegliche Form von Gewalt ab, betont Kaufmann. «Aber man kann nur für etwas verurteilt werden, dass einem auch nachgewiesen werden kann.»

Begründung im Zeitungsinterview

Doch nicht nur das Urteil selber gibt Anlass für Diskussionen, auch dass sich der zuständige Richter René Ernst (SP) vor ein paar Tagen in einem Interview mit der Basler Zeitung zum Urteil äusserte, sorgt für Kopfschütteln. Ernst begründete im Interview den Schuldspruch damit, dass die Frau an vorderster Front dabei gewesen sei und gegen sie zudem weitere Verfahren am Laufen seien. Man könne der Frau keine günstige Prognose stellen, deshalb habe sie eine unbedingte Strafe erhalten.

Mit seinen Äusserungen beeinflusse Strafrichter Ernst die Gerichtsverfahren, die in den nächsten Tagen und Wochen gegen weitere Demoteilnehmer folgen, lautete daraufhin der Tenor eines offenen Briefs von 16 Anwältinnen und Anwälte der «Nazifrei»-Demonstranten. «Nach den pauschalen Ausführungen des Strafgerichtspräsidenten erscheint die Linie des Gerichts unverrückbar zementiert», schrieben die Anwälte.

Es ist auf den ersten Blick ein hartes Urteil.Jeremy StephensonGrossrat LDP, Ex-Strafgerichtspräsident

Unterdessen hat das Thema auch die Basler Politik erreicht – mitten im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen Ende Oktober. «Es ist auf den ersten Blick ein hartes Urteil», sagt Jeremy Stephenson, Grossrat der bürgerlichen Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Bis vor ein paar Jahren amtete er selbst als Strafrichter. Das Urteil sei jedoch gut begründet.

Dass sich Richter Ernst nach dem Prozess in einem Interview äusserte, sei nicht problematisch. Der ehemalige Strafgerichtspräsident wehrt sich zudem gegen den Vorwurf, es handle sich um ein politisch gefärbtes Urteil. «Das kann ich ganz klar ausschliessen.» Dass es derzeit in Basel viele Prozesse gegen Linksautonome gebe, sei selbst verschuldet.

Ich erwarte von einem Gericht, dass es unvoreingenommen ist.Danielle KaufmannGrossrätin SP

Danielle Kaufmann dagegen betont, sie sei irritiert gewesen über das ungewöhnliche Vorgehen des Strafgerichtspräsidenten mit seinem Interview. Mit seinen Äusserungen gebe Ernst quasi die Richtung vor für die weiteren Prozesse. «Ich erwarte von einem Gericht, dass es unvoreingenommen ist», sagt Kaufmann. Die Grossrätin stört sich ausserdem daran, dass es gegen die PNOS-Demonstranten keine Verfahren gegeben habe, obwohl diese antisemitische Parolen geäussert hätten.

Die Nazifrei-Demo 2018 wird die Basler Gerichte noch länger beschäftigen, über den Wahltag Ende Oktober hinaus. Insgesamt stehen 40 Verfahren an. Die nächsten Urteile folgen diese Woche. Praktisch alle bisherigen Urteile wurden an die nächste Instanz weitergezogen.