Von Thomas Gerber
Den bisher grössten Schweizer Anti-Rassismus-Prozess vor dem Bezirksgericht Baden (AG) haben die zwei angeklagten Holocaust-Leugner gestern Donnerstag zur Selbstdarstellung genutzt. Autor Jürgen Graf und Verleger Gerhard Förster hielten an ihren Ansichten fest.
Baden. Schauplatz Rathausgasse Baden. Es ist acht Uhr. Vor dem «Roten Turm» in der Altstadt stehen engagierte Bürger und verteilen Flugblätter: «Wer den Holocaust leugnet, geht von einer antisemitischen Phantasie aus.» Gleichzeitig gehen einige junge Neonazi strammen Schrittes zum Eingang des «Roten Hauses».
Aargauer Kantonspolizisten kontrollierten gestern jede Person, die dem bisher grössten Anti-Rassismus-Prozess gegen zwei Holocaust-Leugner vor dem Bezirksgericht Baden beiwohnen wollten. Bald war klar, die Verhandlungen, die heute Freitag weitergehen, sind auch ein Treffpunkt für die rechte Szene und die Revisionisten. Die Besucher und Medienvertreter misstrauten sich gegenseitig. Zwei Jugendliche verteilten – aus einem «Denner»-Papiersack – die Verteidigungsrede des angeklagten Verlegers Gerhard Förster. Es sei ein «klassischer politischer Schauprozess», war da zu lesen.
Es sei «kein Schau- und kein Musterprozess», sagte Gerichtspräsidentin Andrea Staubli zu Beginn der Verhandlungen im fensterlosen Kellersaal. «Es soll ein fairer Prozess werden.» Staubli leitete die Befragungen kühl und streng. Als erster Angeklagter musste sich Gerhard Förster verantworten. Der 78jährige Verleger sass im Rollstuhl mit Nackenstütze, trug eine überdimensionierte Metallbrille. Der zu grosse Pullover fiel lose über die Schultern. Die Aargauer Staatsanwaltschaft fordert 16 Monate Gefängnis unbedingt (siehe BaZ von gestern).
Den Holcaust banalisiert
«Ich bin ein Zahlenmensch», hielt Förster grundsätzlich fest, und er versuchte, mit unterschiedlichen Angaben über die Zahl der Nazi-Opfer die Zweifel am Holocaust zu begründen. In den Büchern stünde «kein Satz, kein Wort» von ihm. Doch er halte die rechtsradikalen Printprodukte «inhaltlich, sachlich für richtig». Er wolle «endlich eine Diskussion haben». Es fänden «immer nur Quellendiskussionen» statt, kritisierte Förster.
Für den ehemaligen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht und heutigen Schweizer steht fest, dass er als Geschäftsführer des Verlages «Neue Visionen» weiterhin Bücher publizieren und einschlägige Prospekte versenden will. In seiner «Verteidigungsrede» schreibt Förster: «Juristen haben nicht darüber zu entscheiden, ob Wilhelm Tell gelebt hat oder ob es das sagenhafte Atlantis gab.» Diese Aussage verdeutlichte eine Absicht des Angeklagten ganz klar: den Holocaust und die millionenfachen Judenmorde zu banalisieren. Seine Aussagen in der Befragung zeigten, dass der Holocaust-Leugner auch ein Judenhasser ist. Aus gesundheitlichen Gründen war Förster am Nachmittag von den Verhandlungen freigestellt.
Selbstdarsteller Graf
Den Prozess als Bühne für seine Botschaften wusste auch der Angeklagte Jürgen Graf zu nutzen. Der 47jährige, der an einer Basler Privatschule unterrichtet, redete über die millionenfachen Judenmorde so, als würde etwa über Geschmacksverstärker in der Erdbeerglace diskutiert. Er sei «gewiss ein Revisionist», sagte Graf, der für «seine etlichen Freunde» im Publikum Schriftdeutsch sprach. Graf, in grauen Hosen und dunklem Kittel, redete oftmals so schnell, dass ihn die Gerichtspräsidentin bremsen musste.
Freimütig gab er Auskunft, wollte seine Ansichten umfassend darstellen. Und er sprach immer wieder von «uns» – er meinte damit «uns Revisionisten». Über weite Strecken waren seine Ausführungen kaum zu ertragen. Aber Graf hält seine Arbeiten für «wissenschaftlich». Seine vor Gericht bewusst wiederholte Kernaussage: «Für Massenmorde gibt es weder Sach- noch Dokumentenbeweise.» Er bestritt nicht, seine Texte in Kanada und Schweden ins Internet gespeist zu haben, um weltweit Leser zu finden. Die Bücher, die im deutschen Sprachraum eine Auflage von bis zu 10 000 Exemplaren erzielten, schrieb er, wie er erklärte, «um bewusst mein Gedankengut zu verbreiten».
Graf präsentierte sich vor Gericht als Opfer und nicht als Täter. «Ich fühle mich absolut unschuldig. Ich traue unserem Rechtsstaat nicht. Ich lasse mir nicht von gewissen Leuten verbieten, was ich schreiben will.» Das vom Schweizer Souverän in einer Abstimmung gebilligte Anti-Rassismus-Gesetz ist für ihn nur ein «Maulkorbgesetz». Einzelne Männer im Gerichtssaal hörten dem Eiferer sehr genau zu: Als Graf von einem «politischen Prozess» sprach, gab es sogar einen Bravoruf.
Klage gegen den Zeugen
Graf ist der Hauptangeklagte des Prozesses. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt 18 Monate Gefängnis unbedingt sowie eine Busse von 27’700 Franken. Die Anklage lautet, er habe «öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind». Dies ist auch der zentrale Vorwurf gegen den Verleger Förster.
Gleich zu Prozessbeginn machte Grafs Pflichtverteidiger deutlich, er tue sich schwer mit seiner Rolle. Er verlangte eine Einstellung des Strafverfahrens, «weil keine korrekte Verteidigung möglich ist». Davon wollte das Gericht jedoch nichts wissen. Und der beantragte Zeuge durfte in der Folge auftreten: Wolfgang Fröhlich aus Wien. Der 47jährige, elegant gekleidete Mann mit netten Umgangsformen bezeichnete sich als «Diplomingenieur der Verfahrenstechnik». Die Aussagen in Grafs Büchern betreffend die Vergasungen in den Konzentrationslagern seien «absolut wissenschaftlich haltbar», sagte er. Faktisch leugnete der Zeuge damit den Holocaust – Staatsanwalt Dominik Aufdenblatten kündigte Fröhlich eine Strafanzeige an. Die Urteile werden entweder heute Freitag oder am kommenden Dienstag eröffnet.