Aus Corona-Skeptikern werden Putin-Versteher

Sonntagszeitung. Der Kampf der Schweizer Massnahmengegner hat sich verlagert. Statt wie bisher über das Virus, verbreiten einige jetzt Verschwörungstheorien über den Krieg in der Ukraine.

Noch vor Tagen wetterten sie gegen Corona-Massnahmen. Nun haben sie auf Putins Krieg in der Ukraine umgeschwenkt: Verschwörungstheoretiker haben in ihren Onlinekanälen ein neues Lieblingsthema gefunden. Auf «CoronaFrei», «Shipi», «kla.tv» oder «AgoraTV» sind nun statt rot durchgestrichene Masken und Spritzen massenhaft russische Panzer oder Putin-Porträts zu sehen. 

«Russische Truppen feiern mit den Ukrainern, die die russische Armee als Friedenssoldaten begrüssen», heisst es beispielsweise unter einem Video, das am Tag des Einmarschs der Russen in der Ukraine in der Zürcher Gruppe «CoronaFreiZH» geteilt wurde. Darin sind Soldaten zu sehen, die mit Zivilisten tanzen, wobei weder Ort noch Datum erkennbar sind. 

Diktatur herrsche im Westen, nicht in Russland

Zahlreiche Impfskeptiker haben sich seit Kriegsausbruch in vermeintliche Experten für die politische Lage Osteuropas und in glühende Putin-Fans verwandelt. Diese «alternative Szene», wie sie sich selbst gerne nennt, folgt oft Punkt für Punkt der Argumentation des russischen Präsidenten. So ist in ihren Kanälen etwa von der «Nazi-Regierung» Wolodimir Selenskis zu lesen, die gestürzt werden müsse. Oder dem angeblichen «Völkermord im Donbass», begangen von Ukrainern an der russischen Minderheit. 

«Hier in Russland sind die Menschen frei, es ist definitiv keine Diktatur.»

Wadim, Influencer auf Tiktok, dem auch viele Schweizer User folgen

Immer wieder wird der Link zur Corona-Pandemie gemacht: «Hier in Russland sind die Menschen frei, es ist definitiv keine Diktatur», verkündet der Putin-freundliche Influencer «Wadim», dem auf Tiktok mehr als 66’000 Abonnenten folgen. In einem Video, das auf dem Telegram-Kanal «Shipi» von Deutschschweizer Corona-Skeptikern geteilt wurde, verspottet er die Kritiker des russischen Präsidenten. «Bei euch entscheidet die Regierung, wer Zugang zu bestimmten Orten hat, indem sie 2-G und 3-G einführt. Es liegt an euch, zu beurteilen, wo sich die Diktatur wirklich befindet.»

Auch die Freiheitstrychler, die bei vielen Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen an vorderster Front mitliefen, zeigen sich teils als Putin-Versteher. Auf ihrem Telegram-Kanal schrieben sie am 27. Februar, drei Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine: «Man darf und soll sich fragen, weshalb man seitens der Nato vor 2-3 Wochen damit begonnen hat, die beiden Republiken Luhansk und Donezk zu beschiessen und warum polnische Söldner aufseiten der ukrainischen Armee daran beteiligt waren.»

Die Freiheitstrychler sind allerdings nicht mit demselben Engagement für Putin auf den sozialen Medien unterwegs wie andere Massnahmengegner. Sie veröffentlichten dazu bisher lediglich zwei Posts.

Schuld seien die Nato, die USA, Deutschland

Auf dem Westschweizer Kanal «Actions Suisse» verweisen die Nutzer auf «die Globalisten» als die wahren Verantwortlichen und Profiteure des Kriegs in der Ukraine. Damit sind die Führer der «Neuen Weltordnung» gemeint, dem Projekt einer weltweiten Diktatur, die sich hinter angeblich demokratischen Institutionen verstecken soll.

Corona-Skeptiker beschuldigen die Nato sowie die Regierungen der USA, Deutschlands oder Frankreichs als Drahtzieher der «neuen Weltordnung». «Wir sprechen hier von der Diktatur der Neuen Weltordnung und ihrer zukünftigen einzigen Weltregierung, die von der WHO/UNO-Elite angeführt wird», schreibt ein Nutzer, der sich «Raphapal» nennt, auf dem Telegram-Account «CoronaFreiZH». «Diejenigen, die Putin unterstützen, stellen sich gegen die globale Diktatur der Neuen Weltordnung, deren globale Armee die Nato ist.»

Wie schon in der Corona-Pandemie hetzen die Nutzer der einschlägigen Kanäle auch jetzt gegen die «Mainstream-Medien», die Lügen verbreiteten und die Realität verzerrten. Dazu verdrehen einige User selber die Fakten und streuen Fake News. 

Etwa zum bekannten Foto der Frau mit blutverschmiertem Gesicht, die laut Bildlegende in der ukrainischen Stadt Charkiw von Bombensplittern verletzt worden ist: In den letzten Tagen tauchten wiederholt Berichte auf, zum Beispiel auf CoronaFreiZH, wonach das Bild gar nicht aktuell sei, sondern von einer Gasexplosion aus dem Jahr 2018 stamme.

Im Telegram-Kanal von CoronaFreiZH wird das Bild als Fake bezeichnet: Zerstörte Wohnsiedlung und verletzte Frau in Charkiw, Ukraine. 
Im Telegram-Kanal von CoronaFreiZH wird das Bild als Fake bezeichnet: Zerstörte Wohnsiedlung und verletzte Frau in Charkiw, Ukraine. Foto: PD 

Das Recherchedesk von Tamedia hat die Authentizität des Fotos mithilfe eines Programms überprüft, mit dem man feststellen kann, wann eine Aufnahme auf Google erstmals erschien. Tatsächlich wurde das Bild am 24. Februar 2022 erstmals veröffentlicht – dem Tag des Bombardements von Charkiw. 


KASTEN:

Bezüglich Putin sind Rechtsextreme gespalten

Seit Beginn der Pandemie mischten sich Mitglieder der Neonazi-Gruppierungen Junge Tat, Hammerskins oder Blood & Honour bei Protesten gegen Corona-Massnahmen unter die Demonstranten.  Doch in der Frage des Ukraine-Konflikts sind die Neonazis gespalten.

«Wir sagen nicht, dass Europa und die USA unschuldig an der aktuellen Situation sind. Aber es ist auch eine Tatsache, dass die Russen den Krieg wollen, um Europa zu destabilisieren und grosse Gebiete im Osten zu erobern», analysiert die Gruppe Junge Tat auf ihrem Instagram-Account. Die Neonazi-Gruppe Combat 18 wiederum ruft dazu auf, zu den Waffen zu greifen, um «Europa zu verteidigen». 

Für Ignaz Bearth, den ehemaligen PNOS-Vorsitzenden, handelt Russland hingegen in Notwehr. Er prangert eine «antirussische Desinformationskampagne» im Westen an. Und der in Lausanne lebende rechtsextreme Essayist Alain Soral bezeichnete die russische Aktion als «Gegenangriff»