Auf dem rechten Auge blöd

Die Wochenzeitung vom 15.03.2012

Prozess gegen Antifaschist

Am kommenden Montag steht in Rheineck ein Antifaschist vor Gericht, der gegen ein Treffen der «Europäischen Aktion» protestiert hat. Der Fall erzählt viel über den Umgang der Behörden mit Rechtsextremismus.

Von Kaspar Surber

Harald Walser hat gleich zurückgerufen aus dem Parlament in Wien. Dort politisiert er als grüner Nationalrat aus Vorarlberg. Walser war früher Direktor am Gymnasium in Feldkirch, seine Dissertation hat er über die NSDAP geschrieben. Er erinnert sich gut an den strahlenden Herbsttag im letzten Jahr: «Überhaupt nichts hat die Polizei zur Deeskalation bei­getragen.»

Am 10. September 2011 hatte die «Europäische Aktion» des Holocaustleugners Bernhard Schaub zu einem Fest mit Reden und Volksmusik geladen. Die Aktion war der erste Versuch, Rechtsextreme auf europäischem Niveau zu verbinden (siehe WOZ Nr. 34/11). Treffpunkt war ein Parkplatz in Widnau im St. Galler Rheintal.

In einem Café in Winterthur erzählen die AktivistInnen Errico, Daniel und Sarah (Namen der Redaktion bekannt). Das Bündnis gegen «Rassismus, Faschismus und Antisemitismus» hatte den Treffpunkt der Rechtsextremen erst publik gemacht. Wie es ihn herausgefunden hat – «Berufsgeheimnis», sagt Errico und lacht. «Wir sind informiert.»

Durch die Büsche gejagt

Die Polizei sperrte an jenem Samstag den Parkplatz ab, worauf sich die Rechtsextremen bei einer Tankstelle in Diepoldsau auf der anderen Seite des Rheins aufstellten. Ordner lotsten die vorbeifahrenden Mitglieder zum eigentlichen Festlokal in Einsiedeln. «Einen properen Eindruck machten sie, mit ihren schwarzen Hosen und weissen Hemden», sagt Daniel. Etwa siebzig Leute vom Bündnis gegen Rassismus zogen los über die Brücke. Die Rechtsextremen hätten sich Schlaghandschuhe übergezogen, ein Anwohner habe die DemonstrantInnen angebrüllt: «Verpisst euch, Chaoten!»

Die AntifaschistInnen protestierten vor der Tankstelle, danach lösten sie ihre Demo auf. «Die Polizei ging nicht darauf ein, wie es andernorts üblich ist», sagt Errico. Stattdessen blockierte eine Hundertschaft Polizisten in Kampfmontur den Zugang zur Brücke. Die AntifaschistInnen flohen ins Rheinvorland, wo sie auf einem Werksgelände verhaftet wurden. Sie mussten sich Fingerabdrücke nehmen lassen, der ganze Körper wurde gefilmt. «Eine solche Fichiererei habe ich noch nie erlebt», sagt Errico.

Die Grünen aus Vorarlberg protestierten etwas abseits gegen das Treffen der Rechtsextremen. Als sie sich mit einer Velokarawane auf den Heimweg machten, wurden sie in Diepoldsau attackiert. «Zuerst griff mich ein Bürger an», erinnert sich Harald Walser. «Dann Neonazis mit Baustellenlatten.» Walser und ein Kollege wurden verletzt. Sie baten eine Verkehrsstreife einzugreifen, doch die reagierte nicht. Eine Anzeige, hiess es, könne Walser beim nächsten Polizeiposten machen. Als er dem ORF vom Vorfall berichtete, wollte die Polizei das Interview unterbinden.

Das Ziel des Polizeieinsatzes habe darin bestanden, eine Konfrontation von Linken und Rechtsextremen zu vermeiden, sagt Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der St. Galler Kantonspolizei. «Dass man die Demonstranten einer Personenkontrolle unterzog, hat sich aus der Entwicklung ergeben. Mit der illegalen Demonstration haben sie ein Rechtsgut verletzt.» Und die Rechtsextremen, hatten sie mit dem Angriff auf die Grünen nicht auch ein Rechtsgut verletzt? «Die Tätlichkeit ist auf einem Nebenschauplatz passiert, weshalb die Polizei sie nicht mitbekommen hat.» Obwohl sie darauf aufmerksam gemacht wurde? «Es waren Ordnungspolizisten, die darauf hingewiesen wurden. Später erhielten die Betroffenen die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten.» Es treffe nicht zu, dass man Linke und Rechte unterschiedlich behandle. «Nach einem Polizeieinsatz gibt es immer Kritik, so oder anders.»

Gestern und heute

44 AntifaschistInnen erhielten einen Straf­befehl wegen Hausfriedensbruchs und Teilnahme an einer unbewilligten Demo. Sie schlossen sich als «Diepoldsau 44» zusammen und reichten Einsprachen ein. Nacheinander zogen sie diese zurück, sodass stellvertretend nur ein Fall übrig bleibt. Das Kreisgericht Rheintal befindet am Montag darüber. Beim Unter­suchungsamt Altstätten heisst es, man ermittle auch wegen des Übergriffs der Rechtsextremen. Man hoffe, die Täterschaft ermitteln zu können.

«Wir sehen in diesem Fall zwei Tendenzen», sagt Aktivistin Sarah. «Zum einen erstarkt in der Krise der Rechtsextremismus. Das sieht man in Ungarn mit der Jobbik-Partei, in Deutschland mit dem Nationalsozialistischen Untergrund oder eben hier mit der Europä­i­schen Aktion.» Andererseits werde jeder Widerstand im öffentlichen Raum, der ausserhalb der bürgerlichen Legalität stattfinde, mit aller Härte verfolgt. Neben Strafeinträgen wurden den AntifaschistInnen horrende Bussen und Gebühren aufgebrummt: Die «Diepoldsau 44» müssen an die 100 000 Franken bezahlen.

Ein brisantes Detail: Die Anzeige wegen Hausfriedensbruchs wurde vom Rheinunternehmen eingereicht, dem das Werksgelände gehört. Es ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons St. Gallen. Die DemonstrantInnen baten um einen Rückzug der Anzeige, das Unternehmen zeigte Verständnis. Doch ein Entscheid von oben habe den Rückzug verunmöglicht. Beim Rheinunternehmen heisst es heute: «Wir haben mit der Sache nichts zu tun.» Man müsse beim St. Galler Baudepartement nachfragen. Dort heisst es: «Über laufende Verfahren wird keine Auskunft erteilt.»

Im Februar beschloss der St. Galler Regierungsrat, eine Brücke von Diepoldsau nach Hohenems nach dem Flüchtlingsretter Paul Grüninger zu benennen. Der Umgang mit dem Antifaschismus in der Vergangenheit fällt also leichter als mit jenem in der Gegenwart. Den Prozess wollen die «Diepoldsau 44» als öffentliche Plattform nutzen. «Es wird ein Spass», sagt Daniel, «die Geschichte steht auf unserer Seite.»

Mehr Infos zum Prozess: www.diepoldsau44.ch.vu