Der Sonntag vom 24.07.2011
Grosse Sicherheitsvorkehrungen für internationales Juso-Treffen – Schweizer Geheimdienstchef hatte sich mit CIA-Direktor in Genf getroffen
Othmar von Matt, Katia Murmann und Florence Vuichard
Es geschah am 23. Juni 2007, kurz nach 18 Uhr. Die Jungsozialisten demonstrierten gerade im Glarner Volksgarten «für ein buntes Glarnerland ohne Rassismus». Mit Konzerten und Reden.
Wie aus dem Nichts tauchten 30 Gestalten auf. Sie waren mit Brillen, Kappen und Schals vermummt, trugen Wurfgegenstände und Reizstoffe auf sich. «Die gewalttätigste Spitze der Rechtsextremen der Schweiz trat auf, verprügelte Leute und fuhr wieder weg», erzählt Marco Kistler von der Juso, heute Gemeinderat von Glarus Nord. «Ich landete im Brunnen. Zum Glück ging die Sache einigermassen glimpflich aus und niemand wurde schwerer verletzt.» Verprügelt worden seien selbst Zivilpolizisten.
Es war der gravierendste Vorfall der letzten Jahre, der sich zwischen Rechtsextremen und Jungsozialisten in der Schweiz ereignete. «Die Rechtsextremen wollten unsere Veranstaltung zerschlagen», sagt Kistler. «Jusos im ländlichen Glarus waren der ländlichen Rechtsextremismus-Szene ein Dorn im Auge.»
Der Vorfall in Glarus «lässt sich zwar niemals mit Norwegen vergleichen», betont Kistler. Dass aber Jusos aus dem rechtsextremen Lager auch heute immer wieder bedroht werden, weiss Cédric Wermuth aus eigener Erfahrung. «Drohbriefe und Beleidigungen sind gang und gäbe. Pro Woche bekomme ich einen bis zwei per Mail, über Facebook und per Post», sagt der ehemalige Juso-Chef. «Zum Beispiel hat mir vor kurzem jemand geschrieben, einer wie ich wäre in den 30er-Jahren noch standesrechtlich erschossen worden, und das sollte man auch heute tun. Oder in einem rechtsradikalen Forum hat jemand angekündigt, er würde zu mir nach Hause kommen und meine Familie auslöschen.»
Bis jetzt habe er die Drohungen nicht so ernst genommen, sagt Wermuth. «Und ich will es auch nicht, weil das ja genau das ist, was diese Kreise wollen.» Aber was jetzt in Norwegen passiert sei, «fährt einem schon ein. Ich überlege mir nun sicher früher, ob ich Anzeige erstatten soll und ob ich generell früher reagieren soll.»
Die Sicherheitsvorkehrungen für Juso-Treffen jedenfalls werden nach den tragischen Ereignissen auf Utoya in ganz Europa erhöht. «Streng bewacht» wird gemäss «Kurier» die International Union of Socialist Youth (Iusy), die Sozialistische Jugendinternationale, die schon morgen Montag im österreichischen Weissenbach am Attersee beginnt. Rund 3000 Jugendliche aus über 100 Ländern werden erwartet. Die Schweizer Jungsozialisten sind mit einer Delegation von 25 Personen dabei, wie Juso-Präsident David Roth sagt. Eine Absage nach dem Anschlagin Norwegen sei kein Thema. Roth: «Wir dürfen jetzt nicht resignieren.» Anstelle der Eröffnungszeremonie findet eine Gedenkveranstaltung statt. Aus Norwegen sollten gemäss früheren Angaben etwa 80 Teilnehmer kommen.
Ebenfalls festhalten will Roth am Sommercamp der Juso, das vom 2. bis zum 7. August in Chandolin VS stattfinden soll. Wie immer informiert die Juso aber im Vorfeld die entsprechende Kantonspolizei. «Schliesslich gabs auch schon Angriffe auf uns», so Roth.
Der Jahresbericht «Sicherheit Schweiz 2010» des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), der eben erschienen ist, zeigt auf, dass Linksextreme neben Ausländern zu den hauptsächlichen Feindbildern der Rechtsextremen gehören. Rechtsextreme seien «nach wie vor bereit, sehr gewalttätig zu agieren», heisst es im Bericht. «Ihre Affinität zu Waffen und Kampf zeigt sich auch in den Wehrsportübungen und Kampftrainings, die von verschiedenen rechtsextremen Exponenten organisiert und besucht wurden.» Für Europa taxierte der NDB die Lage «insgesamt als relativ ruhig». Die Konspiration nehme aber in der rechtsextremen Szene zu. «Aktivitäten werden äusserst klandestin geplant.» Doch in den letzten Monaten hatte die Aufmerksamkeit des NDB eher der linksextremen Szene gegolten, deren Gewaltbereitschaft er als «hoch» einstuft.
Zurzeit geben sich die Behörden äusserst bedeckt dazu, ob sie im Nachgang zu Oslo und vor dem heissen Wahlherbst in der Schweiz höhere Sicherheitsvorkehrungen treffen. Es ist der NDB, welcher den Bundesrat und die Kantone laufend mit entsprechenden Lageanalysen versorgt. «Wir machen Lagebeurteilungen mit Empfehlungen», sagt Sprecher Felix Endrich. «Und stellen sie Auftraggebern zur Verfügung.»
Der NDB ist dabei international besser vernetzt, als man gemeinhin denkt. Das zeigt sich am direkten Draht zur CIA. Gemäss zuverlässigen Quellen hatte CIA-Direktor Leon Panetta im letzten Herbst in Genf den Schweizer Geheimdienstchef Markus Seiler getroffen. Der NDB hat aber auch zu Geheimdiensten anderer grosser Länder wie selbst China guten Zugang. Anders als die USA oder Deutschland hält sich der NDB aber mit Terrorwarnungen bewusst stark zurück.Nur: Bei einem Einzeltäter nützen selbst beste internationale Netzwerke nur wenig. «Radikale Einzeltäter sind sehr schwierig zu erkennen», hatte Seiler kürzlich an einer Medienkonferenz betont. Das beweist auch der Fall Norwegen.