Die Wochenzeitung. Kampf, Körperkult und Kommerz: Der deutsche Sportjournalist Robert Claus hat ein Buch über die boomende rechtsextreme Kampfsportszene geschrieben.
Interview: Natalia Widla
WOZ: Robert Claus, in Ihrem Buch kommen Sie immer wieder auf rechtsextreme Kampfsportevents wie den «Kampf der Nibelungen» in Deutschland zu sprechen. Warum sollte uns das überhaupt stören, wenn sich Neonazis gegenseitig verprügeln?
Robert Claus: Es ist leider naiv zu glauben, dass es beim Kampfsport unter Neonazis beim Sport im Ring bleibt. Aus den Szenemedien etwa wird schnell klar, dass es primär darum geht, sich für den politischen Strassenkampf wehrhaft zu machen. Wenn man auflistet, wer organisatorisch tätig ist, wer diese Events finanziert und wer sie besucht, dann hat man eine lange Liste von rassistischen Ideologen und Gewalttätern vor sich, bis hin zu Menschen, die wegen Totschlag verurteilt wurden. Wir können auch beobachten, dass sich gewisse dieser rechtsextremen Kampfsportgruppen zu Schiesswaffentrainings verabreden und paramilitärische Camps im Ausland besuchen – der Wettkampf untereinander ist nur ein Aspekt. Die nationalsozialistische Ideologie ist tiefgehend gewaltvoll und besessen von der Idee des Lebens als Kampf. Es ist daher nicht überraschend, dass diese Kampftrainings in politische Gewalt münden.
Über die Kampfsportszene der extremen Rechten in Europa ist, im Vergleich zum Rechtsrock etwa, bislang wenig bekannt. Liegt das daran, dass dieses Phänomen neu ist?
Dass Neonazis trainieren, kämpfen und die entsprechende Rhetorik für ihre Propaganda verwenden, ist nicht neu. Seit etwa 2010 haben sich jedoch eine ganze Reihe von rechtsextremen Events und Kampfsportlabels etabliert, wie etwa White Rex aus Russland oder Pride France. Am Beispiel vom «Kampf der Nibelungen» kann man diesen Boom gut nachzeichnen: 2013 hatte der Event, damals noch als «Ring der Nibelungen», mit ungefähr 120 Zuschauern begonnen. 2018 war er dann mit fast 1000 Zuschauern der grösste Kampfsportevent der militanten Neonaziszene in ganz Europa. In Szenemedien wird Kampfsport als politisches Mittel, aber auch als Vernetzungs- und Rekrutierungsmedium wieder vermehrt rezipiert. Kurzum: Kampftrainings sind in der Szene gar nicht neu, nur der ganze kommerzialisierte Boom drumherum ist es.
Wie erklären Sie sich diesen Boom?
Da kommen verschiedene Tendenzen zusammen. Zum einen sind der Kampfsport und der Fitnessmarkt gesamtgesellschaftlich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen. Vorgängig hat vor allem die Hooliganszene sehr stark in den Kampfsport investiert und sich da professionalisiert, was dazu führte, dass zentrale Neonazikader das Potenzial erkannten. Diese Kader wiederum kommen alle – ausnahmslos – aus der Rechtsrockszene und bringen das entsprechende Veranstaltungs-Know-how mit, das es zur Kommerzialisierung braucht. Der letzte Punkt sind die ganzen Debatten um die Einwanderung der letzten Jahre.
Was meinen Sie damit konkret?
Es geht in extrem rechten Medien stets darum, dass sich die Männer wehrhaft machen müssen für den Kampf gegen die «fremden» Einwanderer und sich abgrenzen müssen gegen alles, was sie als Bedrohung für ihr Phantasma eines weissen Europa sehen. Deswegen ist es wohl auch kein Zufall, dass etwa der «Kampf der Nibelungen» in den Jahren 2017 und 2018 so gross wurde.
In Ihrem Buch kommen kaum Frauen vor. Warum ist das so?
Frauen, die in militanten Neonazigruppen führend sind, sind mir zumindest für Deutschland nicht bekannt. Es gibt Ausnahmen, aber auch international sind Frauen in leitenden Positionen eine Minderheit. Politisch relevanter ist dagegen die Rolle von Müttern in nationalsozialistischen Familien, also jener Frauen, die in einer sehr traditionellen Geschlechterwelt für die Kindererziehung verantwortlich sind. Es gibt zahlreiche Interviews aus der Szene, in denen Frauen sagen, dass sie ihre Kinder zum Kampfsporttraining verpflichten, da Kampfsport als Weg zur Wehrhaftigkeit im Sinne des nationalsozialistischen Ideals ein Erziehungsmittel darstellt. Ideologisch spielen Frauen eine zentrale Rolle als Rückgrat der Szene.
Dennoch scheint das Ausschlusspotenzial im Kampfsport deutlich grösser zu sein als in anderen Bereichen: Schliesslich muss man eine gewisse Fitness und Physis mitbringen. Ist es nicht eine Gefahr für die Szene, über den Fokus auf Kampfsport einen Teil potenzieller Anwärter zu verlieren?
Das eine ist es, Menschen aktiv für den Sportbetrieb zu rekrutieren, das andere, das Zuschauerinteresse zu nutzen – beides sind Rekrutierungswege. Nicht jeder Zuschauer, der zu einem Kampf geht, Geld ausgibt, Strukturen finanziert und in die Szene hineinrekrutiert wird, muss selber aktiver Kampfsportler sein.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass sich viele Neonazis in dieser Szene bewusst von Drogen und Alkohol abwenden oder Veganismus propagieren. Geht das auch auf dieses Bedürfnis zurück, möglichst wehrhaft zu sein, oder ist das eher ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der sich hier eben auch findet?
Diese beiden Ansätze widersprechen sich nicht. Auf der einen Seite ist es eine Tatsache, dass auch Neonazis versuchen, gesellschaftlich anschlussfähig zu bleiben und Trends zu bedienen. Auf der anderen Seite gibt es eine lange Geschichte davon, wie eine Nazielite versucht, die Masse zu disziplinieren und das Fussvolk dazu zu bringen, Wehrhaftigkeit und Fitness zu trainieren. Es geht um die kollektive Bereitschaft für den Strassenkampf. Dennoch sollten wir nicht vergessen, wie viele Neonazis Strafverfahren wegen des Betäubungsmittelgesetzes durchlaufen haben.
Beobachten wir eine Renaissance des arischen Volkskörpergedankens?
Ich würde eher von modernisierten Inszenierungen sprechen. Die Vorstellung eines «ethnisch reinen Volkskörpers» verbunden mit dem Ideal einer soldatischen Männlichkeit zieht sich durch die Jahrzehnte in dieser Szene. Es mag sich in der Darstellung und Inszenierung modernisiert haben, aber im ideologischen Kern hat sich kaum etwas verändert.
Sie gehen im zweiten Teil des Buches neben Deutschland auch auf einige Länder mit bekannter rechter Kampfsportszene ein, etwa Polen, Russland und Frankreich. Welche Rolle spielt die Schweiz?
Diese Szenen agieren grenzübergreifend, es handelt sich um ein europäisches Netzwerk, wobei in jedem Land Labels und Strukturen entstehen – genauso in der Schweiz. Dass etwa eine Firma wie White Rex über eine Aktiengesellschaft in der Schweiz vertrieben wird, die offensichtlich ins Umfeld der PNOS gehört, dass dort schon ein Messerkampfseminar mit russischen Neonazis angeboten wurde, dass es Schweizer Hooligangruppen wie Swastiklan gibt, die genauso europäisch vernetzt sind, lässt die Schweizer Szene nahtlos an dieses europäische Netzwerk aus Hooligangruppen, militanten Neonazis und Kleidungsmarken anschliessen.