WoZ und Jüdische Rundschau vom 15.7.99
von Hans Stutz
Chavannes-près-Renens. Eine Vorortsgemeinde von Lausanne. Einer oder mehrere Unbekannte brechen ins unterirdische Zivilschutzzentrum ein und legen Feuer in einem Aufenthaltsraum, so dass die Anlage unbrauchbar wird. Am folgenden Tag hätten in den Bunkerräumen rund 130 Flüchtlinge aus Kosovo untergebracht werden sollen. In der Gemeinde waren 400 Unterschriften gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gesammelt worden. Die Ereignisse in Chavannes-près-Renens erinnern an Bronschhofen, wo im vergangenen Oktober eine Bombe explodierte, unmittelbar bevor AsylbewerberInnen in eine leerstehende Militärunterkunft einziehen sollten. In Bronschhofen hatten die Gemeindebehörden die rassistisch motivierte Opposition gegen die Ankunft der Flüchtlinge unterstützt, in Chavannes-près-Renens initierte Gemeindepräsidentin Denise Perler (einst SPS, nun parteilos) persönlich die Unterschriftensammlung, unterstützt von zwei weiteren Gemeinderatsmitgliedern.
Dass den Worten Taten folgen“ sei bisher eine Deutschschweizer Spezialität“ gewesen, kommentiert der Genfer Leiter der HEKS-Flüchtlingsabteilung auf Anfrage. Die Entwicklung sei beunruhigend. Die Rechte bereitet die objektiven Bedingungen für Rechtsextreme“. Er will seinen Namen nicht in der Zeitung sehen, auch zum Schutze seiner beiden Töchter. Er hatte sich im Abstimmungskampf gegen das nochmals verschärfte Asylgesetz engagiert. Eine Woche vor der Abstimmung warfen Unbekannte Steine gegen die Genfer HEKS-Büros, eine Woche später versuchten unbekannte Täterschaft einen Brandanschlag gegen die Büros und in der gleichen Nacht legte sie Feuer vor der Wohnungstüre des Flüchtlingsverantwortlichen, der in einem mehrstöckigen Miethaus wohnt. Eine schlaflose Nachbarin bemerkte gerade noch rechtzeitig die brennende Türe. Zwei Tage später – noch vor der ersten publizistischen Erwähnung der Angriffe – erhielt er einen anonymen Brief, aufgegeben in Lausanne. Handschriftlich hatte die unbekannte Täterschaft SOS SUISSE: halte aux réfugiés criminiels!“ (SOS SCHWEIZ: Stopp den kriminellen Flüchtlingen) geschrieben und dazu einen Bericht der Tageszeitung Le Matin“ über kriminelle AusländerInnen beigelegt. Briefe mit dem gleichen Überschrift (SOS SUISSE“), ebenfalls aufgegeben in Lausanne hatte Anfang 1999 bereits eine andere Person erhalten, welche sich beruflich mit Flüchtlingsfragen beschäftigt.
Steht die Schweiz vor einer neuen Welle von gewalttätigen Angriffen auf Asylbewerber-Unterkünfte und Einrichtungen von AusländerInnen? Klar ist: Erstmals seit mehreren Jahren wurden innerhalb kurzer Zeit mehrere Asylbewerber-Unterkünfte angegriffen. Letztmals am vergangenen Wochenende, als in Wienacht/Kanton Appenzell-Ausserrhoden mehrere unbekannte Jugendliche eine Asylbewerber-Unterkunft mit Steinen und Bierdosen bewarfen und Ausländer raus“ schrien. Doch rund die Hälfte der bekanntgewordenen Attacken geschahen im Zürcher Unterland. Bereits mehrere Male in diesem wurde in Rümlang eine Asylbewerberunterkunft angegriffen, die von Schwarzafrikanern bewohnt wird. Weder Kantonspolizei noch Gemeindebehörden zeigten bis anhin irgendwelche Anzeichen von Beunruhigung. Im Gegenteil. Nach der Meldung über eine versuchte Brandstiftung begnügte sich eine Patrouille der Kantonspolizei mit der Vorbeifahrt im Patrouillenwagen (Siehe WoZ 24/1999). Und bei einer frühmorgendlichen Attacke gegen Wohnwagen Fahrende im benachbarten Glattfelden rückte die Polizei erst nach Stunden aus. Als ganz gewöhnliche Sachbeschädigung“ verniedliche ein Sprecher der Zürcher Kantonspolizei diese rassistisch motivierten Angriff.Auch die Bundespolizei hat die Kantone in ihrem Monatsbericht auf die Zunahme von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte hingewiesen. Klar ist aber auch: Die Schweiz ist glücklicherweise noch weit entfernt von der hohen Zahl von 77 Anschlägen, die 1991 gegen Einrichtungen des Asylwesens“ (Terminologie der Bundespolizei) verübt worden waren.