Der Bund.
Man kann auch antisemitisch sprechen, ohne es zu merken. Der Leitfaden des Journalisten Ronen Steinke erklärt, weshalb es auf die richtige Wortwahl ankommt. Und wie man sie trifft.
Kann schon die Verwendung des Wortes «Jude» antisemitisch sein? Das ist eine der Fragen, die Ronen Steinke in der zweiten, aktualisierten und erweiterten Ausgabe seines Buches «Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt» aufgreift.
Der Autor, der als Journalist bei der «Süddeutschen Zeitung» arbeitet, legt dar, dass «Jude» bereits im Mittelalter «auch losgelöst von realer jüdischer Religion oder Herkunft als griffiges Negativwort» funktionierte. Der Nationalsozialismus machte daraus das rassistische Schimpfwort schlechthin, und so verspüren heute auch Jüdinnen und Juden eine Scheu, es überhaupt auszusprechen.
Steinke zitiert die Münchnerin Charlotte Knobloch, die stattdessen lieber «jüdische Menschen» sagt. Der Autor fügt hinzu: «Mir geht es anders, ich bin gern ‹Jude›. Die in Ostberlin geborene Schriftstellerin Mirna Funk beklagt indessen: «Deutsche können das Wort ‹Jude› bis heute nicht normal aussprechen.»
Es gibt über die Frage, ob schon das Wort «Jude» rassistisch sei, sogar ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Im Jahr 2001 kam es zum Verdikt, der Begriff sei noch «keine Herabsetzung». Zwei Jahre später befand jedoch ein niedersächsisches Oberlandesgericht, es komme schon darauf an, in welchem Zusammenhang und mit welchem historischen Unterton jemand das Wort verwende. «Nicht das Wort ‹Jude› ist die Herabwürdigung. Aus dem Kontext und der Form kann sich diese aber ergeben», schreibt Steinke.
Es gibt den unverhohlenen sprachlichen Antisemitismus, für den der Autor Beispiele nennt wie «Keine jüdische Hast» oder «Hier herrscht ein Lärm wie in einer Judenschule». Darüber hinaus analysiert er Wörter und Wendungen, deren antisemitischen Charakters sich die Sprechenden oft gar nicht bewusst sind. Steinke tut es kenntnisreich, unterhaltsam, oft mit subtiler Ironie und vor allem: ohne jemals den Zeigefinger zu heben oder den Brustton des Anklägers auszustossen.
Nach einem kurzen historischen Abriss der jiddischen Sprache hält Steinke fest: Es spricht absolut nichts dagegen, dass Nicht-Juden jiddische Wörter verwenden, weil sie sie für besonders treffend, ausdrucksstark oder liebenswert halten. Etwa «Tacheles», «Zores» (Ärger), «koscher», «meschugge», «Chuzpe». Oder den Ausruf: «Du hast eine Macke!», abgeleitet vom hebräischen «maka» für: Hieb, Stoss oder Plage. Diese Wörter verbindet laut Steinke, dass sie in die deutsche Sprache aufgenommen, dabei aber nicht verbogen wurden.
«Je mehr Jiddisch, desto besser»
Sprecherinnen und Sprecher des Jiddischen würden sie semantisch genauso verwenden. Bei einem Telefongespräch betont der Autor, dass es aus seiner Sicht absolut nicht anbiedernd oder schuldbewusst oder aufgesetzt wirke, wenn Nicht-Juden all diese Wörter gebrauchten. Er halte es vielmehr für Zuneigung, eine verbale Verbeugung vor dem Charme und der Schönheit des Jiddischen. «Je mehr Jiddisch, desto besser.»
Allerdings gibt es eine zweite Kategorie von Wörtern. Ein Beispiel dafür ist «Mischpoke». Im Jiddischen ist es das neutrale Wort für Familie, während es im Deutschen mit dem antisemitischen Klischee aufgeladen wird, wonach sich Juden gern zu geheimen, anrüchigen, verschwörerischen Zirkeln zusammenschliessen.
Oder, ein anderes Beispiel: «schachern» und «Geschacher», die sich vom jiddischen «sachern» herleiten. Eigentlich bedeutet «sachern» ganz einfach «Handel treiben», im Deutschen transportiert das Wort ein antisemitisches Vorurteil. Dasselbe gilt für «mauscheln» und «Mauschelei», die von «Mauschel» abgeleitet sind, der jiddischen Form des Wortes «Moses», hebräisch: Mosche. Und «Mauschel» wiederum war früher ein abschätziger Begriff für jüdische Händler oder für arme Juden.
Der den Sprechenden oft unbewusste Antisemitismus, schreibt Steinke, hänge damit zusammen, dass ein Wort nicht aufgrund seines lexikalischen Inhalts, sondern allein wegen seiner jiddischen Herkunft eine negative Deutung erhalte.
Halbjüdinnen gibt es nicht
Ein weiteres Beispiel. Ob jemand Jüdin oder Jude ist, hängt von der Religionszugehörigkeit der Mutter ab. Oder davon, ob die Person zum jüdischen Glauben übergetreten ist. «Halbjuden» und «Halbjüdinnen» gibt es deshalb nicht, und vor allem: «Es sind Erbgenetiker gewesen», schreibt Steinke, «die in Vorbereitung der rassistischen Nürnberger Gesetze von 1935 die jüdischen beziehungsweise nicht jüdischen ‹Anteile› einer Person nach mathematischen Verteilungsmodellen à la Gregor Mendel berechneten.»
Wie geht Ronen Steinke im Alltag mit Antisemitismus um? Er erwähnt im Gespräch, dass er damit direkt oder indirekt häufig konfrontiert sei, in sozialen Medien öfter als im persönlichen Umfeld. «Auf offenen, bewussten Antisemitismus gehe ich gar nicht erst ein», sagt er. «Gebraucht hingegen jemand ein Wort wie ‹Mischpoke› oder ‹mauscheln›, wasche ich der Person nicht die Kappe, sondern weise sie darauf hin, dass sie soeben antisemitisch geredet hat.» Meist würden die Angesprochenen dankbar darauf reagieren. Steinkes Haltung entspricht der Tonalität, in der auch sein Buch geschrieben ist.