Antisemitische Hetze verlagert sich auf Facebook und Twitter

Tages-Anzeiger.

Die Schweizer Juden zeigen sich besorgt über die Zunahme der Hassreden im Internet.

Eine jüdische Familie kommt aus den Sommerferien nach Hause, und da prangt plötzlich ein Schriftzug auf dem Garagentor: «Hier lebt ein Jude.» Der Schock über den Graffito traf vor allem die Kinder: «Was haben wir getan?», fragten sie die Eltern. ­Vorfälle wie diesen haben der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) zusammen­getragen. Die Resultate werden im jährlichen Antisemitismusbericht für die Deutschschweiz dokumentiert.

Während die Zahl der physischen und verbalen Attacken in der realen Welt im letzten Jahr mit 42 Vorfällen stabil blieb, zeigen sich die Berichtsautoren besonders besorgt über antisemitische Hassreden im virtuellen Bereich und dabei vor allem in den sozialen Medien. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf, schreiben der SIG und die GRA. Erstmals wurden die Onlinevorfälle im letzten Jahr systematisch erfasst. Rund 90 Prozent der Hassreden fanden sich dabei auf Twitter und Facebook.

Mit dem eigenen Namen

Auffallend sei, dass viele Menschen jegliche Zurückhaltung ablegten und unter ihren Klarnamen Antisemitisches absonderten. Einen vergleichbaren Bericht zur Muslimfeindlichkeit gibt es zwar noch nicht, doch ­beobachten Vertreter der islamischen Verbände in der Schweiz ähnliche Entwicklungen bei den muslimfeindlichen Hassreden auf Facebook und Twitter.

Von den insgesamt 535 erfassten Onlinefällen entfallen 219 auf antisemitische Verschwörungstheorien. Dazu zählt das alte Klischee der jüdischen Weltverschwörung, die heute zum Teil in neuem Kleid daherkommt, etwa in der angeblich vom jüdischen Investor George Soros finanzierten «Umvolkung» Europas. Von dieser in rechtsextremen Kreisen beliebten Theorie gibt es verschiedene Varianten. Eine geht davon aus, dass sich die Juden für den Holocaust rächen wollten, indem sie unzählige Migranten nach Europa schleusten. Diese sollten dann die «eingeborenen Weissen» verdrängen und vernichten.

An zweiter Stelle folgt mit 164 Vorfällen israelbezogener Antisemitismus. Kritik an Israel sei nicht generell antisemitisch, heisst es dazu im Bericht. Wenn zum Beispiel Israeli mit Juden gleichgesetzt oder die Politik Israels mit der Politik der Nazis verglichen werde, handle es sich aber um Antisemitismus. Wenn die israelische Luftwaffe auf Raketenangriffe von Islamisten reagiert und Ziele im Gazastreifen bombardiert, kommt es online regelmässig zu einem Anstieg der antisemitischen Hassreden.

Allgemeiner Antisemitismus – dazu gehört zum Beispiel die Aussage «Juden sind geizig» – steht mit 121 Vorfällen an dritter Stelle. Relativ selten ist mit 31 Vorfällen die Leugnung oder Banalisierung des Holocausts.

Wiederholungstäter

Neben Hassreden der extremen Rechten und Linken gibt es auch antisemitische Kommentare von Muslimen. Die verwendeten Profilnamen und Äusserungen lassen dabei oft auf eine Herkunft vom Balkan schliessen. Ein Beispiel wäre ein bosnischstämmiges Gründungsmitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz, das durch die Verbreitung antisemitischer Karikaturen auffällt.

Viele Kommentare stammen von relativ wenigen «Wiederholungstätern». Zu ihnen gehören neben einem am Montag in Frauenfeld wegen Rassendiskriminierung verurteilten Palästinenser auch der Vorsitzende der Basler Sektion der rechtsextremen Pnos (Partei National Orientierter Schweizer), Tobias Steiger. Er hat inzwischen zwei Verfahren wegen antisemitischer Rassendiskriminierung am Hals. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Ein anderer Twitter-Nutzer, der ständig durch Hassrede auffällt, ist ein Neonazi aus der Innerschweiz. Er bezeichnet den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund zum Beispiel als israelische Terrororganisation, deren Ziel es sei, die Euro­päischen Völker zu zersetzen und auszurauben. Unzählige Deutschfehler in den antisemitischen Kommentaren lassen allgemein vermuten, dass es um den Bildungsstand der Hetzer nicht zum Besten bestellt ist.