Antifaschismus. Blick hinter die Kulisse.

Megafon.

Rechte Netzwerke sind in der Schweiz wieder auf dem Vormarsch. Nach einem Boom in den späten 90ern und frühen Nullerjahren, gerät die Szene heute in eine neue Dynamik – dank der Corona-Pandemie auch in unerwarte- ter Geschwindigkeit und Form. Und doch bleibt antifaschistische Arbeit, selbst in Journalist*innenkreisen, meist missverstanden. Ein Gespräch mit der Antifa Bern über Rercherchearbeit, die rechte Szene und die radikale Linke.

Antifa. Keine ominöse Gruppe, sondern viel mehr die Umschreibung jeglicher antifaschistischen Einstellung, die in einer Form oder einer anderen in einer politischen Aktivität ausgelebt wird. Innerhalb der (radikalen) Linken ein allgemein gut verstandenes Konzept. Doch tun sich grosse Teile der Gesellschaft weiterhin schwer, ein Verständnis dieser Arbeit zu entwickeln. Nicht zuletzt daran schuld ist eine andauernde mediale Hetze gegen eine missverstandene Untergruppe der Linken, die von Bürgerlichen und Rechten nur allzu gerne befeuert wird.

Am meisten missverstanden bleibt wohl die Tätigkeit antifaschistischer Recherchekollektive. Eines der schweizweit bekannteren: Die Antifa Bern. Das Kollektiv veröffentlicht regelmässig das Magazin «lautstark!» und betreibt die Website «antifa.ch», auf der zahlreiche Informationen über die rechte Szene aufgeführt sind. Auch Medienarbeit gehört zu ihren Schwerpunkten. Mühsame Arbeit, wie Sina1 aus eigener Erfahrung weiss: «Heute musst du Journalist*innen alles vorkauen.» Alois ergänzt: «Im Zeitalter des Mails schreiben uns Medienschaffende an, anstatt selbst zu recherchieren. Oft können wir einfach auf die Inhalte unserer Website verweisen. Teilweise werden dann Informationen ohne Quellenangabe von uns abgeschrieben.»

Planlose Medien

Trotz aller Frustrationen muss diese Medienarbeit geleistet werden. Heute befasst sich nämlich kaum jemand ausserhalb klandestiner Gruppen ernsthaft mit der schweizerischen Rechten. «Antifaschistische Recherche würde ohne Kollektive wie unserem komplett untergehen. Das sehen wir am Beispiel von Unterwasser», schätzt Alois ein. Zur Erinnerung: 2016 veranstalteten Nazis im St. Gallischen Hinterland das grösste jemals dokumentierte Rechtsrock-Konzert der Schweiz, anlässlich dessen über 6000 Neonazis aus ganz Europa aufmarschierten. In den Fokus von Medien und Behörden geriet die Veranstaltung erst, als die Antifa Bern sie öffentlich enthüllte. Andrea analysiert: «Rechtsextremismus als solcher ist in der Schweiz kaum ein Thema. Höchstens einzelne Vorfälle und Ereignisse werden von Medien dokumentiert.» «Und kurz nach der Veröffentlichung von Unterwasser kehrte sich der Diskurs schnell wieder gegen ‹die Antifa› als Feindbild. Das erstaunt nicht, da dies aus Sicht der Medienhäuser erlaubt, noch mehr Klicks zu generieren», mischt sich Sina ein.

Rechtes Paradies

Die mangelnde Beobachtung der rechtsradikalen Szene ist fatal. «Die Schweiz bleibt für Nazis ein Konzertund Untertauchparadies», so Sina. Das hänge mitunter mit der Schwierigkeit zusammen, die extreme Rechte zu dokumentieren, fügt Alois hinzu. «Offen zu recherchieren ist sehr schwierig. Damit erreichst du auch keine Tiefe.» So sei die Szene in den 80er und 90er-Jahren wissenschaftlich durchaus gut dokumentiert worden. Seitdem sei dies nicht mehr der Fall.

Ein Wandel dieser rechten Strukturen helfe dabei nicht, so Sina: «Heute entsprechen Rechtsextreme nicht mehr dem Bild des ‹Stiefelnazis›.» Diese tendenziell abnehmende Wiedererkennbarkeit erleichtere, sich öffentlich der Auseinandersetzung mit dem Phänomen zu verweigern. Sina fährt fort: «Im Gegensatz zu Deutschland existieren hierzulande auch keine Stellen wie ‹Exit›, die Rechten beim Ausstieg helfen. Auch im akademischen Bereich interessiert sich hier kaum jemand für Nazis.»

Nicht nur von Medien, sondern von Behörden werden die Nazis weitgehend in Ruhe gelassen: «Nach dem der NSU 2011 aufflog, tauchten diverse Nazis bei uns unter – und kein Schwein interessierte sich dafür», ist Sina empört. Für die Gleichgültigkeit der Geheimdienste sieht Andrea auch historische Gründe: «Alle europäischen Geheimdienste sind ein Symptom der empfundenen ‹roten Gefahr› in der Zeit des Kalten Krieges.» Innerhalb dieser Logik, interessierten sich diese vor allem für Organisationen, welche die «demokratische Grundordnung bedrohten». Eine Bedrohung seien Nazis aus Sicht der Staatsschützer*innen wohl vor allem für marginalisierte Gruppen. Zynisch formuliert: Kein Grund sich um sie zu sorgen.

Mit dem rechten Virus infiziert

Ihren Zenit erreichte die Schweizer Rechte Ende 90er, Anfang Nullerjahre. Nicht zuletzt dank Recherchearbeit und einer starken linksradikalen Aktivität (sprich: Nazis boxen) nahm die Zahl rechtsradikaler Aktivitäten ab. Doch auch der zunehmende Rechtsrutsch in der Schweiz liess das politische Territorium von Nazis schrumpfen. So gewann die ebenfalls rechtsextreme SVP dermassen an Bedeutung, dass selbst Hetze gegen Flüchtende nicht mehr ein alleiniger Mobilisierungsfaktor von Faschist*innen war.

Mit Ausbruch der Corona-Pandemie begann eine rasante Verstrickung des rechtsextremen Milieus mit einer Horde Schwurbler*innen. Resultat dieser Eskalation: Regelmässig ein nationalistisches, aggressives Fahnenmeer in der Berner Innenstadt. «Corona startete eine Dynamik mit einem Mobilisierungspotential, dass bei den Linken mit dem Irakkrieg oder dem Fukushima-GAU zu vergleichen wäre. Nun hat die extreme Rechte die Gelegenheit, über die Grenzen ihrer Szene zu treten», ordnet Andrea ein. «Sprach und hilflos», sei Sina nach den Demos im Spätsommer 2021 gewesen, «Eine PNOS (Anmerkung der Redaktion: Partei national orientierter Schweizer) oder SVP, obwohl selbst auch braun, waren bisher voneinander klar abgegrenzt. Was wir heute beobachten ist so nicht mehr fassbar.»

Hat die Antifa Bern zu lange gewartet? «Lange haben wir dieses Feld bewusst ausgeblendet, da es für unsere Tätigkeit zu wenig relevant war», so Alois. Einig ist man sich jedoch nicht auf der ganzen Linie. Sina kontert: «Dabei müssen auch wir auf unsere Themen fokussiert bleiben, sprich bei der organisierten extremen Rechten. Da stellt sich nun schon die Frage, ob die Corona-Massnahmenbewegung nicht auch dazu gehört.»

Antifaschistisch in die Zukunft

Wie sich antifaschistische Arbeit entwickelt bleibt offen. Dieses Jahr veröffentlichte die Antifa-Bern eine Neuauflage ihrer Broschüre «Die Braune Szene der Schweiz». Die Entwicklungen der Corona-Pandemie fliessen dabei noch nicht auf den Inhalt ein, ganz zufällig ist das aber nicht, so Alois: «Unsere Veröffentlichungen sind immer Momentaufnahmen. Manchmal wollen wir mehr zu einer Gruppe sammeln. In anderen Fällen ist eine Gruppe zum Zeitpunkt einer Veröffentlichung bereits wieder Geschichte.» Zudem hätten die Recherchen oder Outings der Antifa Bern mehr als einen passiven Effekt, betont Sina: «Je nachdem wo unser Fokus liegt, können wir Druck auf eine Gruppe ausüben. Da ist es schon relevant, wann und in welchem Recherche-Stadium Outings passieren.»

An der Funktion der Broschüre ändern diese Abwägungen wenig. Sie soll helfen, eine niederschwellige Übersicht der rechtsradikalen Bewegung zu erleichtern. Relevant ist dies, da die Aufarbeitung der Entwicklungen der Corona-Pandemie wieder mehr organisierter antifaschistischer Handarbeit bedürfen, auch jenseits der bisherigen Strukturen. «Unsere Arbeit ist anspruchsvoll und fordert komplettes Vertrauen ineinander», folgern die drei Aktivist*innen. Heisst: Bei Bedarf können nicht einfach neue Leute beitreten. Eine Alternative heben sie heraus: «Offene antifaschistische Treffen sind wichtige Orte, vor allem was die Vernetzung von jungen Menschen betrifft. Aber auch für unsere eigene.»

Der Haken: Solche Gruppen sind heute im Raum Bern Mangelware. Für Sina ist verständlich, warum sich die Linke in den letzten Jahren in ihren Kämpfen diversifiziert hat, wobei weniger Ressourcen der Antifa-Arbeit gewidmet werden: «Antifaschistische Arbeit ist im Grundsatz reaktionär und alleine kein Weg in eine emanzipierte Gesellschaft.»

Trotz allem: Gut möglich, dass sich in der Region bald etwas bewegt. Im Herbst 2021 formierte sich mit dem «Solidarischen Bündnis Bern» endlich Widerstand gegen die neuen rechten Tendenzen. Über die zukünftige Ausrichtung und Relevanz der Gruppe lässt sich bislang nur spekulieren, aber ihre Existenz ist ein Zeugnis dafür, dass Aktivist*innen weiterhin bereit sind, die wichtige Arbeit gegen Rechts aufzugreifen.